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Ich meld michBrüder zur Sonne

Sport ist Mord, vor allem im Urlaub. Denn gerade dann sollte man das Nichtarbeitenmüssen mit kaltem Bommerlunder und Nichtstun feiern.

Die Kunst zu Faulenzens Foto: imago/Westende

H ätte die Natur gewollt, dass der Mensch wie ein Irrer durch Wälder hastet, in reißenden Flüssen herumplanscht oder sich bedenkenlos in unberechenbare Aufwinde stürzt, hätte sie ihm Straußenbeine, Schwimmhäute und einen ordentlichen Propeller verpasst.

Stattdessen hat sie ihn mit einem sensiblen Gaumen fürs Austernschlürfen, zwei scharfen Augen zum „Tatort“-Gucken und einer genetischen Anlage zum Bierbauch gesegnet. Jedem Lebewesen ist eine Bestimmung zugedacht. Die des Menschen, des urlaubenden im Besonderen, ist es, gemütlich vom Strandkorb zur Eisbar zu spazieren, schönen Frauen und Männern hinterherzusehen und die Tatsache des Nichtarbeitenmüssens hin und wieder mit einem eisgekühlten Bommerlunder zu feiern.

Einige aber wollen sich mit dieser naturgegebenen Ordnung nicht abfinden. Sie missbrauchen ihren Urlaub, um Sport zu treiben. Das ist nicht richtig. Was bringt verständige Mitteleuropäer dazu, sich auf zwei Rädern 70 Grad steile Anhöhen hochzuschinden und dabei ein Totes Meer von Salzwasser zu vergießen?

Was zwingt sie, auf einem Brett ins Meer hinauszupaddeln, nur um sich anschließend zurückspülen zu lassen? Was treibt erwachsene Menschen, sich in papageienbuntes Plastik zu zwängen und Werbung zu laufen für Firmen, deren Chefs sich kringeln vor Lachen über die unbezahlten Litfasssäulen? Und wozu, bitte sehr, kraxelt jemand stundenlang einen Berg hinauf und schaut aufgeregt von oben hinunter – wo er doch solche Blicke viel besser ausgeleuchtet in „Länder Menschen Abenteuer“ erleben kann?

Gefühle, hört man immer wieder, Gefühle seien es, die diese Zeitgenossen antrieben. Jenes „Runners High“ etwa, die Sekunde, in der die Endorphine ins Gehirn schießen – jenes Runners High also, das sich nur einbildet, wer mindestens ein Dutzend Laufbücher gelesen hat. Oder der sogenannte Gipfelrausch – ein cleverer Werbegag von North Face, Lowa und Marmot.

Blasen am Zeh? Wozu? Japsen auf dem See? Weshalb? Kilos adé? Nee, nee. Wozu sich regen, Nichtstun ist Segen, lautet unsere lebenskluge Devise

Die Glücklicheren sind wir. Wir, die wir uns den ganzen Tag am Strand wälzen und dabei zu uns selbst finden. Brüder, zur Sonne, heißt es. Nicht: Schwestern zum Gipfel, aufs Fahrrad, ans Ruder. Klug verschließen wir uns allen Anfechtungen morgendlichen Canyonings, mittäglichen Glidings oder abendlichen Kajakings. Wir sind nicht und wir lassen uns nicht vom Ehrgeiz zerfressen. Großzügig füttern wir unseren inneren Schweinehund mit Koteletts, tätscheln und hätscheln ihn. Blasen am Zeh? Wozu? Japsen auf dem See? Weshalb? Kilos adé? Nee, nee. Wozu sich regen, Nichtstun ist Segen, lautet unsere lebenskluge Devise.“

So denken sie, nehme ich an. Aber jetzt muss ich los. Joggen. Höchste Zeit, an meiner Bestzeit zu arbeiten.

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2 Kommentare

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  • Kein Zweifel: Die Natur HAT gewollt, dass der Mensch wie ein Irrer durch Wälder hastet, in reißenden Flüssen herumplanscht oder sich bedenkenlos in unberechenbare Aufwinde stürzt. Die Natur, nämlich, will, dass (auch) der Menschen überlebt.

     

    „Straußenbeine“, „Schwimmhäute“ oder einen „Propeller“ hat die Natuir dem Menschen zwar nicht „verpasst“, aber immerhin ein Gehirn, das auf Endorphine reagiert. So ein Gehirn aber ist viel effektiver als alle anderen biologischen Hilfskonstruktionen. Das lässt sich statistisch belegen. Man braucht nur alle paar Jahre die verbliebenen Arten und deren Individuen zu zählen.

     

    Mit Straußenbeinen kann der Strauß ziemlich schnell laufen, das ist wahr. Mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen können Biber und Ente wunderbar paddeln. Und mit einem „Propeller“ auf dem Rücken sind Libellen wahre Flugkünstler. Der Mensch aber, der weder schnell laufen noch ausdauernd schwimmen und auch nicht akrobatisch fliegen kann, ist allen anderen Lebewesen so weit überlegen, dass er sich flächendeckend ausgebreitet hat und die übrigen Arten leicht vollständig ausrotten könnte. Und warum? Weil es ihm Spaß macht, Dinge auf die Spitze zu treiben.

     

    Erkenne dich selbst, Mensch! Und dann halte wenigstens im Urlaub die Füße still. Lege die Hände in den Schoß, guck in die Sterne und genieße den Augenblick. Und keine Panik: Es wird den Hals nicht kosten. Im Gegenteil. Wenn du nur so viel tust, wie du tun musst, damit du überleben kannst, haben auch andre Arten eine Chance. Wenn du das aber nicht kapieren kannst vor lauter Rennerei, wird die Natur sich dafür furchtbar rächen. Und zwar, in dem sie dir nicht in den Arm fällt. Die Natur, schließlich, hat keine Lieblingskinder.