Ausstellung „Die Stunde der Matrosen“: Ikone Matrose
Das Kieler Schifffahrtsmuseum erzählt vom Aufstand der Kieler Matrosen vor hundert Jahren. Es ist die erste Ausstellung zu diesem Thema in der Landeshauptstadt.
Und so ist ein Foto der Menge, die sich am 10. November 1918 auf dem Wilhelmplatz zu einem Trauermarsch für die sieben getöteten Menschen versammelt hatte, eines der wenigen sogenannten authentischen Bilder in der Sonderausstellung „Die Stunde der Matrosen – Kiel und die deutsche Revolution 1918“ im Kieler Schifffahrtsmuseum.
Dabei standen Tillmann und ihr Team vor folgender Herausforderung: Wie die Ereignisse – im Kern vom 1. November bis zum 11. November – samt ihrer jahrzehntelangen Vor- und auch Nachgeschichte so erzählen, dass die damaligen Akteure eine Stimme bekommen und ihr Anliegen vermittelt werden kann? Denn es gibt kaum Bildmaterial, es gibt kaum Exponate, die die Beteiligten der Matrosenrevolte hinterlassen haben.
Dafür gibt es im Gegenzug umso mehr Material, das erzählt, wie das Kaiserreich zuvor seine Machtfülle sicherte, wie es für seinen Krieg warb, seine Propaganda perfektionierte, wie es die Sozialdemokratie zähmte, bis schließlich die anhaltende Mangelwirtschaft, die Spannungen zwischen den einfachen Mannschaften und ihren elitären Befehlsgebern und nicht zuletzt die bevorstehende Kriegsniederlage dazu führten, dass die Matrosen des Kieler Geschwaders sich ihren Offizieren widersetzten und revoltierten, um zuvor verhaftete Kameraden frei zu bekommen.
Der oft banal klingende Satz, nach dem die Sieger auch noch die Geschichte ihrer Siege schreiben und damit reinszenieren – er gilt für die Phase der Kieler Revolution noch einmal besonders.
Weshalb die wenigen Dokumente, die zu finden waren und die nun exponiert zu sehen sind, umso eindringlicher sind: Ein Foto aus einem privaten Album vom Leben an Bord etwa zeigt drei Matrosen, wie sie zusammenstehen, über ihnen der Schriftzug „Seemannsruh“. Hinter ihnen ist die Arrestzelle zu sehen, die es auf fast jedem Schiff gab und in die man schon wegen kleinster Kleinigkeiten gesteckt werden konnte.
Vor 100 Jahren wurden aus „blauen Jungs“ – so der populäre Name der blau uniformierten deutschen Marinesoldaten – „rote Matrosen“:
Im November 1918 verweigerten auf mehreren Kriegsschiffen der kaiserlichen Marine vor Wilhelmshaven sowie später in Kiel die Matrosen den Befehl; hier schlossen sich der Revolte auch Arbeiter an – es war der Anfang vom Ende des Kaiserreichs.
Ausstellungen in Kiel, Hamburg und Wilhelmshaven erinnern im Jubiläumsjahr an das Geschehen. Die taz nord würdigt sie am heutigen Dienstag sowie an den beiden folgenden. Kommende Woche folgt zunächst die Ausstellung „Revolution! Revolution?“ über die revolutionären Ausläufer in Hamburg.
Dabei erzählt die Ausstellung nicht nur die pure Ereignisgeschichte, sondern widmet sich eben auch der nachfolgenden Interpretationsgeschichte der Revolte von 1918: „Interessant ist, wie der Matrose, der eben noch für die kaiserliche Welt steht, nun auf Plakaten und Postkarten zur Ikone der Revolution wird – und nicht der Arbeiter“, sagt Tillmann.
Spannend auch der Strang in der Ausstellung, der sich mit der Wirkungsgeschichte der Ereignisse von 1918 beschäftigt: Der revoltierende Marinesoldat, der eben nicht für immer sein Gewehr wegwirft und dem Krieg abschwört, sondern es stolz auf den Demonstrationen und Aufmärschen trägt, wird etwa eine tragende Gestalt der DDR-Militärphilosophie.
„Die Stunde der Matrosen – Kiel und die deutsche Revolution 1918“: bis 17. März 2019, Schifffahrtsmuseum, Wall 65, Kiel, Di-So 10-18 Uhr, Do bis 20 Uhr. www.aufbruch1918.de
Generell gelingt der Schau ein bemerkenswerter Spagat: Sie bedient Besucher mit Vorwissen, nimmt aber genauso diejenigen mit, die sich von ihrem Geschichtsunterricht her nur noch vage an die Gründungsgeschichte der Weimarer Republik im Nachklapp der Kieler Marinerevolte erinnern können. Sie werden wieder auf Stand gebracht.
Dabei verhehlt die Ausstellung nicht, dass der Marinestadt Kiel, in der die Bundesmarine allein als Arbeitgeber bis heute eine wichtige Rolle spielt, eine grundsätzliche und vor allem kritische Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Marinegeschichte noch bevorsteht. Schließlich ist diese Ausstellung die erste, umfassende Auseinandersetzung mit der Kieler Novemberrevolution – nach 100 Jahren.
Die Zahl 100 dürfte dabei geholfen haben, sich einem in der Stadt als schwierig empfundenem Thema anzunähern, gibt die Revolte von 1918 doch Kiel so etwas wie ein großgeschichtliches Flair, auch wenn die Abdankung des Kaisers und die Ausrufung der Republik dann in Berlin stattfanden. Mag also sein, dass es demnächst im Tourismus-Info-Shop in der Andreas-Gayk-Straße 31 lustige T-Shirts mit Revolutionsmatrosen-Konterfeis oder den klobigen Kaffeebecher mit der Aufschrift „Kiel – Stadt der Revolution“ zu erwerben gibt.
Wenn so im Fahrwasser von euphorischem Stadtmarketing solide historische Forschung möglich wird und im zweiten Schritt eine so gelungene Präsentation der Ergebnisse zu betrachten und zu genießen ist – warum auch nicht.
Der fundierte und gutgemachte Ausstellungskatalog in aller Ruhe nähert sich in 40 (!) Essays Themenfeldern wie dem Einfluss der russischen Revolution auf die Kieler Matrosen, der Rolle der Frauen in jener Zeit revolutionärer Geschehnisse oder den Kieler Hungerkrawallen von 1916 bis 1918.
Und die beiden rot gewandeten und medial gekonnt bestückten Container sind zu erwähnen, die demnächst auf eine lange Reise durch das Land gehen. Nicht nur, weil Schleswig-Holstein im Gegensatz zu anderen Bundesländern kein Landeshaus der Geschichte hat, sondern weil damals auch die Matrosen von Kiel aus nach Eckernförde, Schleswig oder Flensburg eilten, um die Botschaft ihrer Marinerevolution zu verbreiten, die dortigen Marineeinheiten auf ihre Seite zu ziehen und hier und dort auch den verhassten Offizieren ihre Säbel abzunehmen – und zu zerbrechen.
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