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Autorin über Marx und Feminismus„Wir dürfen faul sein“

Luise Meier sieht kein Problem darin, mit Marx spielerisch umzugehen. In ihrem Buch verknüpft sie seine Theorien mit Feminismus.

Will Marx den Feminismus aufzwingen: Autorin Luise Meier Foto: André Wunstorf
Interview von Thomas Winkler

taz am wochenende: Ist Ihr Buch „MRX-Maschine“ der Versuch, Marx fit zu machen für die Jetztzeit?

Luise Meier: Tatsächlich haben mich die Fragen, die die Gesellschaft gerade umtreiben, mehr interessiert als der alte Marx. Ich habe mich gefragt, ob es funktionieren würde, seine begrifflichen und theoretischen Instrumente auf die Probleme der Gegenwart anzuwenden.

Und, hat das geklappt? Brauchen wir Marx heute noch?

Schon bevor ich mit dem Buch begann, habe ich bemerkt, dass mich diese Begriffe von Marx, die ich noch aus dem Studium kannte, plötzlich zunehmend beschäftigten. Auch aus dem ganz profanen Grund, dass ich angefangen hatte zu arbeiten. Plötzlich dachte ich darüber nach, wie sich mein Lohn eigentlich zusammensetzt, und Begriffe wie Proletariat oder Lohnarbeit spielten eine Rolle für mich.

Welche denn?

Ich habe schnell gemerkt, dass man anders über die eigenen, aber auch über gesamtgesellschaftliche Verhältnisse nachdenkt, wenn man diese Begriffe benutzt. Natürlich könnte man das auch mit einem moderneren Begriff wie „Diskurs“ verhandeln, aber wenn man Marx benutzt und dessen Begriffe wie Ideologie, dann kommen plötzlich ganz neue Querverbindungen zum Vorschein. Ich habe mir quasi einen Spaß daraus gemacht, diese altgedienten Begriffe, die – seien wir ehrlich – eigentlich als überholt und unbrauchbar, ja zum Teil sogar als widerlegt gelten, wieder zu verwenden, wenn auch nicht mit der Strenge von früher. Und sie damit wieder benutzbar zu machen, ihr kritisches Potenzial offenzulegen.

Spaß mit Marx?

Beim Lesen der Warenformanalyse kann ich durchaus in rauschhafte Zustände geraten

Ja, das geht. Ich bin aber auch niemand, der Marx von hinten nach vorne am Stück liest. Aber beim Lesen der Warenformanalyse kann ich durchaus in rauschhafte Zustände geraten, wenn ich merke, da hilft mir jemand die Welt zu verstehen, wie ich die Welt verstehen will.

Tut man dem guten alten Marx mit so einer Modernisierung nicht Zwang an?

Im Interview: Luise Meier

Jahrgang 1985, arbeitet als Autorin und Servicekraft in Berlin. In ihrem Buch „MRX-Maschine“ (Matthes & Seitz, 2018) verschränkt sie marxistische Theorie mit Feminismus, Queerness und Postkolonialismus.

Auf jeden Fall. Aber ich tue ihm ja nicht weh, er ist ja tot. Ich finde es eher seltsam, dass ausgerechnet Marx, bei dem es doch gerade um Befreiung geht – und zwar nicht nur der Arbeitenden, sondern aller Menschen –, so eine Vorsicht, so eine Buchstabenhörigkeit entgegengebracht wird. Dabei merkt man schnell, wenn man mit Marx mal spielerisch umgeht, dass eine Reibung entsteht zwischen den alten Begriffen und einer Welt, die sich ständig neu beschreibt, dabei aber vor allem verschleiert, dass es Verhältnisse gibt, hauptsächlich ausbeuterische, die kontinuierlich sind.

Um aus diesen Verhältnissen herauszukommen, entwerfen Sie das Motiv „MRX-Maschine“. Deren Formel lautet: „Fuck-Up + Solidarität = Revolution.“ Das müssen Sie erklären.

Fuck-Up, dieser Begriff von Valerie Solanas, war für mich interessant, weil er sowohl das Scheitern aus Versehen, aber auch eine absichtliche Verweigerung wie einen Streik umfassen kann, und mit dem „Fuck“ auch noch die Lust, ja sogar Hedonismus drinsteckt. Ich glaube, wenn das alles zusammenkommt, wenn wir lernen, Scheitern und Verweigerung zu genießen, kann das eine Grundlage für Solidarität werden, mit der es dann tatsächlich zur Revolution kommen kann.

Da sagt jetzt der Laie: Einfach nicht mehr arbeiten, wie soll das denn gehen? Wer bezahlt denn dann mal meine Rente?

taz am wochenende

Zum 200. Geburtstag des großen Ökonomen, Denkrevolutionärs und Genussmenschen: Eine Sonderausgabe zu Karl Marx, mit 12 Seiten – in der taz am wochenende vom 5./6.Mai 2018. Außerdem: Vor einem Jahr zog "En Marche" ins französische Parlament ein. Die Partei wollte Bürger stärker an der repräsentativen Demokratie beteiligen. Haben die Partei und Emmanuel Macron ihr Versprechen erfüllt? Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Ja, das ist erstaunlich, welche Ablehnung gerade dieser Punkt, der Hedonismus, auslöst. Es gibt eine große, aber meiner Meinung nach völlig grundlose Angst, die herrschenden Verhältnisse grundsätzlich infrage zu stellen. Ich finde aber: Wir haben ein Recht darauf, glücklich zu sein. Wir dürfen faul sein. Das ist eben der Trick bei Marx, dass er seine Ideologie nicht aus einer christlichen Moral entwickelt. Seine Idee ist es, wirklich egoistisch zu sein. Es geht dabei nicht um den verblendeten Konsumenten-Egoismus, zu dem uns der Kapitalismus erzieht. Es geht darum, selber zu gucken: Was will ich? Wo will ich eigentlich hin? Es geht eben nicht darum, dass wir alle gute Menschen werden, sondern darum, die Gesellschaft zu bauen, in der es uns gut geht und in der wir gute Menschen sein können.

So weit sollte Ihnen jeder ehrliche Traditions-Marxist auch noch folgen können, aber dass Sie Feministinnen, Queers, Rassismusopfer und alle Marginalisierten mit hinein ins Proletariat packen?

Das ist wahrscheinlich ein antiautoritärer Impuls in mir, dass ich so etwas in Marx hineininterpretieren will. Es geht mir auch darum, das Denken über Marx zu befreien. Vor allen Dingen wollte ich aber kein Buch schreiben, in dem ich beklage, dass Marx nicht feministisch genug war.

Sondern?

Interessanter fand ich, die entsprechende Verknüpfung zu suchen, mit der der Feminismus an seine Theorie andocken kann, ihm den Feminismus sozusagen aufzuzwingen und dann auch gleich noch Queerness mit ins Boot zu holen. Ich gehe ja sogar noch weiter: Für mich fällt auch die Selbstoptimierung unter den Begriff Arbeit. Ständig sollen wir uns verbessern, fit machen, an uns arbeiten. Wir haben heutzutage einen inneren Vorarbeiter, sodass in jedem von uns eine Art inneres Proletariat entsteht. Ich unterstelle Marx, dass er das Proletariat auf den Industriearbeiter beschränkt hat, damit seine Theorie am Schluss auch aufgeht. Den Zwang zur Widerspruchslosigkeit seines Gedankengebäudes muss man so aber nicht übernehmen – man muss ihr nicht die Solidarität zwischen den ausgebeuteten Schichten opfern.

Wie stünde Marx zum bedingungslosen Grundeinkommen?

Das Grundeinkommen löst noch nicht das Problem des Eigentums. Die Idee ist natürlich ein guter Anlass, die Leistungsgesellschaft, in der wir leben, anzugreifen. Das Grundeinkommen ist für den Einzelnen sicher ein ganz konkreter Ansatz, es ist ein politischer Impuls, um über Arbeit und Bezahlung jenseits der ideologisch-moralischen Verkrustungen zu sprechen. Aber das Grundproblem, das fremdbestimmte Leben, die Abhängigkeit vom Markt, die bleibt doch. Vor dem Hintergrund, dass allen alles zusteht, ist es sicher nicht ganz falsch, ein bisschen was zu fordern.

Es sind eine Menge Bücher in diesem Marx-Jahr erschienen. Ihres ist das einzige von einer jungen Frau. Fühlen Sie sich ernst genommen in dieser Debatte?

Die Frage wäre vielleicht nicht so sehr, ob ich ernst genug genommen werde, sondern ob man die anderen nicht zu ernst nimmt. Mir geht es nicht darum, das Vorrecht des männlichen Experten, Autors und Buches für mich einzufordern, sondern darum, es infrage zustellen. Wir werden ja gerade dadurch gefährlich, dass wir, unbekümmert vom Vorwurf, dilettantisch oder irrational oder hysterisch zu sein, Marx lesen.

Wenn sich nun alle Queers, alle Randgruppen und Marginalisierten tatsächlich solidarisieren und gemeinsam kapitulieren sollten und das System stürzen, was kommt dann?

Dann kommt das Paradies. So lese ich jedenfalls Marx.

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13 Kommentare

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  • Gut, daß mal jemand in einfachen Worten daran erinnert, daß es den Linken mit Marx nach wie vor darum geht, diese Gesellschaft zu zerstören, nicht nur darum, die Umwelt zu erhalten, Frauen zu fördern oder den Armen zu helfen. Und jetzt sollte sich ehrlicherweise jeder fragen, der mit Marx sympathisiert, ob er diese Bundesrepublik, diese Demokratie, auch diesen globalen Kapitalismus, der uns mit iPhones und Erdbeeren im März versorgt, nach der Revolution nicht vermissen würde.

  • Der Gedanke an eine Revolution ist nicht schlecht. Die Aussicht, daß wir alle klassenfolgsame Schlechtlinge in einer bestehenden Herrschaftsordnung sein sollen, ein Graus. Dazu dürfen wir den Diener in einem Wirtschaftssystem geben, also demjenigen dienen der sich das Wirtschaftssystem ausgedacht hat - im Ernst? Selbst die Idee von einem guten Leben in einem guten Menschen ist eine Mär, das gute Leben der guten Menschen ist mitten dabei sich selbst zu erledigen. Wir sollten drauf und dran sein, uns etwas besseres einfallen zu lassen. Tun wir das, wir tun es nicht. Deshalb ist Marx Geschichte, die Revolution lebt!

  • “Aber beim Lesen der Warenformanalyse kann ich durchaus in rauschhafte Zustände geraten, wenn ich merke, da hilft mir jemand die Welt zu verstehen, wie ich die Welt verstehen will.”

     

    An Ehrlichkeit scheint es Frau Meier ja nicht zu mangeln. Sie möchte die Welt gerne so erklärt bekommen wie sie sie verstehen will (,nicht wie sie wirklich ist).

     

    Ich finde es interessant und verwirrend, wie viele Menschen glauben aus Marx ökonomischen Theorien etwas lernen zu können. Schließlich hat sich mal um mal erwiesen das seine Lösungsansätze untauglich sind und das ihre Implementierung zuverlässig unterdrückerische und mörderische Regime hervorbringt, die ihre Bevölkerung jeder Freiheit berauben und ihre Lebensumstände drastisch verschlechtern.

     

    “Es gibt eine große, aber meiner Meinung nach völlig grundlose Angst, die herrschenden Verhältnisse grundsätzlich infrage zu stellen.”

     

    Das infragestellen im Sinne einer Meinungsäußerung ist nicht das Problem. Das kann ja jeder gerne tun aber die Implementierung einer grundsätzlich anderen Form von Gesellschaft und Ökonomie ist eine heikle Angelegenheit bei der ein fürchterliches Scheitern der mit Abstand wahrscheinlichste Ausgang ist. Menschen die noch etwas Bodenhaftung haben sehen diese Gefahr kommen, darum die Skepsis.

     

    “… Wir dürfen faul sein.”

     

    Das haben Sozialisten und Kommunisten in der Realität aber ganz anders gesehen. Wenn man eine Wirtschaft planen will (was natürlich keine gute Idee ist) dann wird einem schnell klar das auch im “Paradies” die Erzeugnisse irgendwo her kommen müssen und damit findet das Recht auf Faulheit dann ganz schnell ein Ende. In der UdSSR hat man deshalb gerne die Opposition versklavt und sie zur Zwangsarbeit verdonnert.

     

    Im übrigen ist Feminismus bereits durchsetzt von marxistischen Ideen. Das Ideal des gleichen Lohnes für ungleiche Arbeit ist ein gutes Beispiel dafür.

    • @Januß:

      "Schließlich hat sich mal um mal erwiesen das seine Lösungsansätze untauglich sind und das ihre Implementierung zuverlässig unterdrückerische und mörderische Regime hervorbringt, die ihre Bevölkerung jeder Freiheit berauben und ihre Lebensumstände drastisch verschlechtern."

       

      Interessante These, die ja immer wieder auftaucht. Ich kann allerdings nie erkennen, wo sich die ökonomischen Verhältnisse z.B. in Russland verschlechtert hätten, wenn man die Situation im zaristischen rückständigen Agrarstaat damals betrachtet und die nach der Industrialisierung. Die Menschenrechtslage dürfte ungefähr gleich geblieben sein in dem zaristischen und dem stalinistischen Rußland, die dürfte sich erst später verbessert haben mit dem Einsetzen der verbesserten Lebensverhältnisse nach der Industrialisierung.

      • @Age Krüger:

        Im Zuge der Revolution (im weiteren Sinne) hat man auch die erfolgreicheren Bauern, die Angestellte und Vieh hatten, einen Kopf kürzer gemacht. Diese Bauern waren für den Großteil der Lebensmittelproduktion verantwortlich. Man hat sie dann durch linientreue aber inkompetente Menschen ersetzt. Das hat zu einem massiven Einsturz der Lebensmittelproduktion geführt. So ist es in allen Industriezweigen gelaufen aber in Versorgung mit Lebensmitteln waren die Konsequenzen natürlich besonders gruselig.

        Kommunismus und Sozialismus haben noch zuverlässig jede Wirtschaft zu Grunde gerichtet. Aktuelles Beispiel ist Venezuela.

         

        "Die Menschenrechtslage dürfte ungefähr gleich geblieben sein..."

         

        Sie meinen sie war gleichbleibend Katastrophal?!^^

         

        Nein im Ernst: Das millionenfache internieren von Oppositionellen in Konzentrationslagern (So hat Lenin sie selbst genannt) halten Sie für keine Verschlechterung der Menschenrechte? Die Menschen wurden dort in Zügen hingekarrt, die nicht beheizt waren und wer direkt an den Wänden der Wagons stand hatte kaum eine Chance einen längeren Transport zu überleben. Die Parallelen zum dritten Reich sind auch in dieser Hinsicht erschreckend. Der Klassiker zu diesem Thema ist der Archipel Gulag von Solschenizyn.

         

        Insgesamt kommt es beim Thema Menschenrechte häufiger zu dem Fehlglauben es handle sich um ein Urlinkes Thema. Tatsächlich sind die Menschenrechte aber eine liberale Idee und Linke, wie Rechte haben sie traditionell mit Füßen getreten. Ein Blick nach Nordkorea gibt Aufschluss darüber wie gut sich Menschenrechte und Kommunismus vertragen. Schließlich ist der Grundgedanke der Menschenrechte das jedes Individuum unumstäßliche Rechte hat, hinter welchen die Interessen der Gruppe (zum Beispiel eine Kommune....) anstehen müssen.

      • @Age Krüger:

        So einfach sollte man den Holodomornicht ausblenden! https://de.wikipedia.org/wiki/Holodomor

        Nach unterschiedlichen Berechnungen fielen 3,5 bis 14,5 Millionen Menschen dieser von Menschen (KPDSU) gemachten Hungersnot 1932/33 zum Opfer fielen

  • zu:

    "Ich unterstelle Marx, dass er das Proletariat auf den Industriearbeiter beschränkt hat, damit seine Theorie am Schluss auch aufgeht."

    Marx beginnt seine Analyse im "Kapital" ja mit der Ware, um dann zu einer besonderen Ware, der Ware Arbeitskraft, zu kommen, und daraus Mehrwert und Ausbeutung abzuleiten.

    Arbeit, die nicht Ware ist, geht also in die Analyse gar nicht ein. Marx beschreibt sie zwar an verschiedenen Stellen, aber er analysiert die Ausbeutungsverhältnisse, die diese Verschiedenheit der Arbeiten innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft mit sich bringt, nicht. Diese Beschränkung der Analyse verläuft entlang Geschlechtergrenzen. Deshalb: Es lohnt sich schon sehr, Marx zu lesen, aber es ist eben nur höchstens die halbe Wahrheit. Immerhin, es lässt sich drauf aufbauen.

  • „Dann kommt das Paradies“

     

    Mit oder ohne Jungfrauen?

     

    Was soll das werden?

    So ein Art Marx=Egoismus-Hedonismus-Religion? Ein pseudolinkes Heilsversprechen?

     

    Und wieviele Revolutionen hättens denn gerne? Währen zwei genehm?

    Ach Sie hatten schon eine!

     

    Fuck-Up! Mein Hirn revoltiert schon wieder.

  • Woraus nährt sich die Solidarität, wenn Marxens Ideologie im Kern auf Egoismus aufbauen soll? Egoisten aller Länder vereinigt euch? Wohl kaum.

    • @Rudolf Fissner:

      Ganz einfach:

      Der Umsturz ist nur gemeinsam zu schaffen, also muss eine Solidarität mit anderen "Egoisten" erfolgen, um endlich das herauszubekommen, was alle zufriedenstellt.

      • @Age Krüger:

        Was Egoisten mit Marxens Ideologie anrichten hat die Welt zur genüge erfahren. Definitiv nicht mehr!

      • @Age Krüger:

        Man könnte es auch Demokratie nennen. Demokratie statt Markt mit Parlamentarismus

  • Das Sein bestimmt das Bewusstsein.

     

    Wenn Geld aus dem Automaten, Wasser aus der Wand, Strom aus der Dose und Müll in den Container kommt, dann entsteht schnell die Haltung, dass Arbeit unnötig sei. Irgendein anderer Dummer wird sich schon finden. Das

     

    ... und das Paradies von Frau Meier möchte ich nicht erleben müssen.