piwik no script img

Auf dem Holzweg

Sie waren die Lieblinge der Stadt. Mit ihrem urbanen Dorf hat sich Berlin im Ausland geschmückt. Nun steht der Holzmarkt an der Spree vor dem Aus. Und alle schieben dem andern den Schwarzen Peter zu. Die Geschichte eines Missverständnisses

Das Bauprojekt Holzmarkt nahe dem Ostbahnhof Foto: Karsten Thielker

Von Uwe Rada und Susanne Messmer

Am Ende ging es einfach nicht mehr. Da sind Mario Husten und Juval Dieziger aufs Dach gestiegen und haben die schwarze Fahne gehisst. Seitdem weht über dem Holzmarkt an der Spree der Schriftzug „Halbmast“. Als Zeichen der Trauer, dass etwas gestorben ist. Dass neben ihrem Hippiedorf ein Nullachtfünfzehnturm hochgezogen werden könnte. Dass sich die Mieter dann über den Lärm der Clubs und der Nachtschwärmer beschweren. Dass am Ende sogar das Dorf verschwinden könnte. „Wir wollen nicht, dass da etwas hinkommt, das mit uns nichts zu tun hat“, sagt Juval Dieziger. In seiner Stimme liegt Verbitterung. „Wir sind ausgebrannt.“

Diese Geschichte handelt von einer Utopie, die das Zeug hatte, Wirklichkeit zu werden. Und davon, wie sie an den Mühen der Ebene scheiterte, weil die anfängliche Euphorie in Misstrauen umschlug. Und sie erzählt, wie inzwischen jeder die Schuld beim andern sucht.

Seid realistisch, fordert das Unmögliche: Husten und Dieziger, beide im Vorstand der Holzmarkt Genossenschaft, haben sich den Spontispruch zu Herzen genommen. 2012 haben sie den Zuschlag für das ehemalige Gelände der BSR an der Spree bekommen. Ein Filetgrundstück mit den Glastürmen der BVG auf der einen und dem Radialsystem auf der anderen Seite. Käufer war die Pensionskasse Abendrot aus der Schweiz, die das Gelände den Holzmarkt-Leuten in Erbpacht gab. Alternative Projektentwickler gewinnen ein Bieterverfahren gegen Immobilienhaie. Und das in bester Lage. Schöne Schlagzeilen waren das. Berlin, die Hauptstadt der Kreativen, hatte sein schräges Image wieder einmal unter Beweis gestellt.

Und schräg war es wirklich, was Husten und Dieziger vorhatten. Ein Mörchenpark sollte das Spreeufer für die Berlinerinnen und Berliner zugänglich machen. Ein urbanes Dorf, bestehend aus in- und übereinander verschachtelten Holzhütten, sollte zum Ort von Party und alternativem Wirtschaften werden, und am Rande des Dorfes sollte das Eckwerk entstehen, getrennt durch die Trasse der Bahn. Das Eckwerk sollte zeigen, dass auch Hippies Immobilienprojekte stemmen können. Keine von der Stange, sondern innovativ und nachhaltig, wie Juval Dieziger immer wieder betont. „Wir wollten, dass im Eckwerk Arbeiten und Wohnen ineinander übergehen.“

Das Holzmarkt-Projekt hatte das Zeug, nach dem Tacheles zum zweiten großen alternativen Anziehungspunkt Berlins zu werden

Aus Holz sollte das Eckwerk sein, die Entwürfe stammen aus der Feder von Stars wie Graft Architekten und Jan Kleihues. Büros für neue Ideen und Unternehmen, aber auch 115 Wohneinheiten, wo bis zu 900 Studierende für 250 bis 350 Euro im Monat selbst bestimmen sollten, wie viel Privatsphäre sie brauchen und wie viel Raum zum Arbeiten. Die Tourismusbranche jauchzte, auf Immobilienmessen schmückte sich die Stadt mit den kreativen Hippies. Das Holzmarkt-Projekt hatte das Zeug, nach dem Tacheles zum zweiten großen alternativen Anziehungspunkt Berlins zu werden.

Ein bisschen davon ist nun, da es Frühling wird, zu spüren. Die Touristen lümmeln auf den Holzpodesten am Spreeufer. Das kunstvolle Backsteinpflaster stammt von Abrissscheunen aus der Region, draußen hängen Plakate, die die Games Week ankündigen und einen Poetry Slam. Es gibt einen Proberaum für Artisten, das Sälchen für Veranstaltungen, Café, Bäcker, Weinladen, Physiotherapeut, Kindergarten. Wer gut und teurer essen will, bucht im Restaurant Katerschmaus direkt an der Spree. Noch immer atmet das Treiben etwas von der unfertigen Atmosphäre der Bar 25, einer wilden, vertrauensvollen Zwischennutzungsidylle für Partygänger, die 2003 an diesem Ort gegründet worden war – unter anderen von Juval Dieziger.

Das Dorf ist fertig, doch auf der anderen Seite der Bahn ragt noch immer kein Turm in die Höhe. Im Gegenteil. Das Scheitern des Eckwerks hat das Zeug, den gesamten Holzmarkt zusammenstürzen zu lassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen