Barbara Dribbusch über Langzeitarbeitslose und die SPD: Mut zur Ehrlichkeit
In seiner Antrittsrede am Donnerstag erwähnte der frisch gebackene Sozialminister Hubertus Heil (SPD) das Vorhaben nicht. Es steht aber im Koalitionsvertrag und man sollte den SPD-Minister darauf festnageln: das Programm für einen „sozialen Arbeitsmarkt“. Laut Ankündigung sollen 150.000 Langzeitarbeitslose daran teilnehmen können, eine Milliarde Euro pro Jahr sind als Förderung dafür vorgesehen.
Programme für Langzeitarbeitslose sind zuletzt etwas aus der politischen Mode geraten, schließlich boomt der Jobmarkt. Wer jetzt zu den knapp eine Million Langzeitarbeitslosen zählt, dem wird gerne unterstellt, doch irgendwie selbst daran schuld zu sein.
Eine Studie des IAB-Instituts der Bundesarbeitsagentur jedoch zeigte: Unter den rund eine Million langzeitarbeitslosen Hartz-IV-Empfängern befinden sich viele, die älter sind, schlecht qualifiziert, gesundheitlich angeknackst. Es handelt sich also um Menschen, die wahrscheinlich nicht mehr in der Lage sind, im Tempo der Privatwirtschaft mitzuhalten und selbst das Geld für ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Suchtkranke, Bandscheibengeschädigte, Nervenkranke, die theoretisch noch mindestens drei Stunden am Tag arbeiten können, werden nicht frühverrentet, sondern bleiben als „Langzeitarbeitslose“ im Hartz-System hängen.
Mit dem „sozialen Arbeitsmarkt“ könnte man nun endlich zugeben, dass es viele Menschen gibt, die man nicht mehr über irgendwelche Maßnahmen in die Privatwirtschaft „integrieren“ kann. Es geht stattdessen darum, Arbeitslosen eine freiwillige Beschäftigung und einen kleinen Mehrverdienst zu verschaffen. Ein „sozialer Arbeitsmarkt“ könnte eingeschränkten älteren Menschen die Chance geben, in Büchereien, Nachbarschaftszentren, Suppenküchen, Kleiderkammern oder Altenheimen aktiv zu werden und Anschluss zu finden.
Stimmt, das klingt alles eher palliativ als integrativ. Und ist genau deswegen ein Bekenntnis zur Realität. Eine Befreiung. So viel Mut sollte Heil haben.
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