Umgang mit Drogentod im Berghain: Ja, hier wird konsumiert
Eine „Spiegel“-Reportage mystifiziert einen Ecstasy-Todesfall. Dabei sind Drogen längst Mainstream. Nur wer das akzeptiert, kann aufklären.
Es ist wieder passiert, eine Reportage aus dem Drogenmilieu verschreckt die Spiegel-Leser. Alle paar Jahre ist es so weit, da berichtet ein Journalist von „Pferdenarkosemitteln“ und „Graffitientfernern“, die sich die „Techno-Jünger“ reinziehen. Das bleibt zwar auch in der Wiederholung tendenziös und ungenau, aber es ist immer wieder aufregend.
Diesmal setzt der preisgekrönte Journalist Alexander Osang noch einen drauf, er beschuldigt in seiner ausführlichen Reportage für den aktuellen Spiegel über eine junge Frau aus den USA, die im Sommer 2017 innerhalb weniger Stunden wohl zwei Ecstasy-Pillen nahm und am Morgen in einem Berliner Krankenhaus an Multiorganversagen verstarb, die Betreiber des Berliner Clubs Berghain, nach dem Tod der Frau „einfach so weiter“ zu machen.
Er beschuldigt auch eine Mitarbeiterin der unterlassenen Hilfeleistung, weil sie die Rettung zu spät rief. Ob das stimmt, lässt sich nicht nachprüfen. Die Polizei hat sie nicht vernommen und ob das Leben der Amerikanerin gerettet worden wäre, hätte sie der Notarzt die strittigen 15 Minuten früher behandelt, fragt der Reporter niemanden.
Ein Mensch stirbt anscheinend an einer Überdosis. Das ist in den wenigsten Fällen eine Geschichte für ein Nachrichtenmagazin. Aber jede Redaktion weiß, dass das Berghain in der Aufmerksamkeitsspirale gleich nach Sex kommt. Mythen verbinden sich mit diesem Ort, weil das, was da passiert, quasi auch unter der Bettdecke geschieht. Doch genauso, wie sich die meisten von uns denken können, was beim Nachbarn auf der Schlafcouch vor sich geht, so steht es auch mit diesem Club, der in den immer gleichen Umschreibungen durcherzählt wird. Und ähnlich langweilig wie bei Nachbars Sex geht es übrigens auch in den Clubs her.
Nicht nur in Berlin gibt es Drogen
Die Geschichte ist also nicht die Frau, sondern der Ort. Das Berghain muss herhalten, genauso wie der tragische Tod einer Frau, um die Empörungssau durchs Dorf zu treiben: In Clubs werden Drogen konsumiert und keiner tut etwas! So weit, so richtig. Was genau getan werden soll, bleibt aber leider unklar. Die meisten Berliner Clubs kontrollieren ihre Gäste auf Drogen und nehmen sie ihnen ab. In vielen Berliner Clubs patrouillieren die Türsteher und wecken – zum Leidwesen der Gäste – Schlafende auf, um zu gewährleisten, dass sie nicht gerade an Erbrochenem ersticken. Viele Clubs haben Räume, in denen Gäste mit – leichter – Überdosis ausnüchtern können oder auf das Eintreffen der Rettung warten. In einigen Clubs hängen Warnungen, man solle auf seine Getränke achten, manche Clubs hängen Bilder von Pillen auf, die viel zu hoch dosiert sind.
Leider nicht alle. Die Mitarbeiter kennen zwar Symptome einiger Drogen, doch sind die Angestellten weder Ärzte noch immer empathisch gegenüber den wenigen Gästen, die sich bis zur Besinnungslosigkeit abschießen, anstatt einen Therapeuten zu konsultieren oder aber den Zwängen der Lohnarbeit anders zu entkommen. Kunden können nerven. Clubs tolerieren Drogenkonsum auch als Teil der Technokultur, nicht immer nur aus bloßem Profitkalkül. Daraus ergibt sich eine Verantwortung. Aber keine alleinige.
Das Berghain muss nicht mit der Presse reden. Das ist für viele Journalisten ein Affront. Für andere eindrucksvoll. Diese Schweigekultur mag den Reiz des Technomythos noch ein bisschen erhalten und Freiheitsräume, sexueller und hedonistischer Prägung, für einige erhalten.
Drogen gehören zu Berlin als einstiges Freiheitsversprechen. Doch das Bundeswehr-Verweigerer-Berlin, das Nach-Wende-Rave-Berlin, das ist nicht mehr. Drogen erhalten nicht mehr den Mythos Berlin, denn sie gehören genauso zu Zürich, zu Bremen, zu Nürnberg und Tiflis. Techno ist schon länger kein Gegenmodell mehr, Drogenkonsum bedeutet keine Individualität, sondern ist Mainstream.
Die Verantwortung des Reporters
Denn Menschen nehmen überall Drogen. Ob es die Speed-Kids auf den Parkplätzen von Osnabrück sind oder die Stylisten in der Berliner Paris Bar, es ist schon verwunderlich, wie sehr verdrängt wird, dass die Mitmenschen schnubbeln. Da ist der Chirurg, da der Anwalt, da die Sozialpädagogin. Der Schriftsteller klar, die Schauspielerin. Aber auch der angehende Lehrer, der Fernsehverkäufer im Elektronikfachmarkt, sie alle nehmen ab und zu mal Kokain, Pillen, Gras oder Ketamin.
Letzteres muss man übrigens nur mal googeln, um herauszufinden, dass es nicht nur bei Pferden, sondern auch in der Humanmedizin als Narkotikum eingesetzt wird, aber auch in der Behandlung von Depressionen wirksam ist.
Aber wenn Drogenberichterstattung nicht auf Aufklärung bedacht ist, sondern auf größtmögliche Emotion, wird sie Konsumenten nicht dazu bringen, zunächst mit einer Viertel-Pille zu starten, sondern befeuert die Attraktivität des Verbotenen. Der Reporter hat also eine ähnliche Verantwortung wie der Clubbetreiber. Denn die Drogenkonsumenten, die man an der Kasse von Aldi trifft, beim Kinderarzt, im Meeting, die ihre Drogen nicht nur im Berghain konsumieren, sondern auch auf der Hochzeitsfeier in Husum, in der Eckkneipe, dem Restaurant, nehmen keine zwei Pillen in kurzer Zeit, wenn sie sich ein bisschen auskennen.
Man erfährt im Spiegel-Text zwar, dass die Anwältin des Opfer-Ehemanns raucht, allerdings nichts über die Gefahren durch die unterschiedliche Zusammensetzung von Ecstasy-Tabletten. Ob man sie bei Freunden, auf der Straße, im Darknet, in Clubs kauft, in den letzten Jahren tauchen immer wieder Pillen auf, die extrem hohe MDMA-Dosierungen haben oder anstatt MDMA andere Inhaltsstoffe enthalten, letztens zum Beispiel Tadalafil, ein Potenzmittel. Oder Paramethoxyamphetamin, das günstiger ist und auch schnell mal tödlich.
Drugchecking rettet Leben
Im Internet findet man Warnungen: „Diese XTC-Tablette enthält 243.1 mg MDMA.“ Daneben ein Bild einer grünen Tablette mit der Aufschrift „Flügel“. „Bei solch hohen Dosen können auftreten: ‚Kiefer mahlen‘, Augen- und Nervenzucken, Kopfschmerzen, Übelkeit, Krampfanfälle, Halluzinationen. Es besteht zudem die Gefahr einer lebensbedrohlichen Überhitzung, da die Körpertemperatur ansteigt.“
Diese Warnungen werden von Drugchecking-Organisationen durchgeführt, der Berliner Senat überlegt auch, welche einzuführen. Sie retten Leben. Doch die Opposition zeigt sich entsetzt – und es braucht nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, was Boulevardmedien titeln würden, wenn der Berliner Senat Menschen oder Organisationen beauftragen würde, in Nachtclubs Drogen auf ihre Reinheit hin zu überprüfen.
Die Stadt Zürich hat so etwas schon: Die Webseite Saferparty.ch wird durch das Sozialdepartement der Stadt betrieben. „Es gibt keinen Drogenkonsum ohne Risiko! Risikofrei ist nur ein vollständiger Verzicht auf Drogen! Wenn du dich dennoch entscheidest, Drogen zu konsumieren, solltest du zumindest die Safer-Use-Regeln befolgen“, schreiben sie auf ihrer Seite.
Anstatt Clubbesuchern am Eingang das Club-Logo aufzustempeln, könnte man auch mal so eine Warnung auf die Handrücken drücken. Vielleicht bringt es was. Aber es wäre eben auch ein Eingeständnis der Clubs: Ja, hier wird konsumiert. Und dieses Eingeständnis könnte zu Problemen führen. Denn Drogen sind immer noch illegal. Deswegen gibt es zu wenig Aufklärung, deswegen gibt es saugefährliche Pillen, deswegen ist diese junge Frau gestorben.
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