piwik no script img

Kolumne Jung und dummHaben Gefühle Schweigepflicht?

Überall geht es um Mitleid: in der Fußgängerzone, in der Politik. Aber warum müssen wir dazu immer erst gezwungen werden?

Kevin Kühnert hat verloren. Und dann auch noch abgenommen Foto: dpa

W enn ich mich nicht gerade darüber wundere, was alte, häufig bärtige Männer so alles in Magazine und Moderationstexte von „aspekte“ oder „Kulturzeit“ hineinreihern dürfen, dann überprüfe ich voller Angst mein Gesicht auf Altersanzeichen (Plunderfalten, Tränensackausbeulungen, Wülste), liege blutend auf irgendwelchen Liegen oder beobachte die Greenpeace- und WWF-Anquatschjungs in der Fußgängerzone dabei, wie ältere Frauen sie zwingen, ihr Alter zu schätzen.

Der Markt ist eben einfach das beste Allokationsmedium für die gar nicht so knappe Ressource „Mitleid“ oder „schlechtes Gewissen“. Kaum ein heiler Schritt durch die Fußgängerzone ist mehr möglich, ohne dass daran, werbepsychologisch optimiert, gerührt würde. Die Verdrängung geht einher mit der Wiederkehr des Verdrängten.

Charity übernimmt freudestrahlend die Aufgaben, die eigentlich staatliche wären, wie Arbeitslose nicht verhungern zu lassen, und ihre Träger können sich endlich auch wie gute Menschen fühlen, „geben“ der „Gesellschaft“ was „zurück“ (im Zweifel halt Essensreste). Gloria, Gnade. Die entstehende Sinnlücke muss, anders geht es nicht, durch den falschen – fremden – Nehmer gefüllt werden. Er kann jetzt gehasst werden.

Mitleid mit Kevin Kühnert

Mitleid haben muss man, außer mit mir, auch mit dem armen Kevin Kühnert und den 397.724.818 neuen SPD-Mitgliedern, die jetzt nie mehr da raus kommen, wenn nicht sogar langsam qualvoll sterben müssen. Verloren hat er, krachend, der Kühni, außerdem 15 Kilo abgenommen und wochenlang fiebernd im Bette gelegen, erfährt der geneigte Power-Empath auf „Bento“ im Internet.

Gegen Andrea Nahles, die dröhnende Anführerin einer neoliberal renovierten „Ey-Du-Sozialdemokratie“ (Diederichsen), hatte er halt keine Chance. Wir danken ihm dennoch für sein süßes Gesicht und den endgültigen Beweis der Tatsache, dass die meisten Deutschen inzwischen nur noch über die Groko Zugang zur Außenwelt haben; sie ist das Erkenntnis- und Erfahrungsmedium schlechthin.

Und sonst so? Kriegt man gerade „voll“ eine „gewischt“. Das zumindest verbreitet der Diplom-Geograph Matthias Habel, der seine Abschlussarbeit, so erfahren wir auf der Homepage von WetterOnline, zum Thema „Sommerliche Sturzfluten“ schrieb, in allerlei Medien. Wegen des trockenen Wetters bekomme man häufiger Stromschläge. Bis zu 35.000 Volt flössen da mitunter – aber keine Sorge, nicht lebensgefährlich!

Die Experten für jene von ihm zur Herstellung besserer Leitfähigkeit der Haut empfohlenen Handcremes von ­Petra Online empfehlen ihrerseits Frischhaltefolie, mit welcher die eingecremten Hände zu bedecken seien. Leider konnte ich mit meinen eingecremten, eingewickelten Händen dann aber nicht mehr recherchieren, womit wiederum die Frischhaltefolie zu behandeln wäre, damit sie noch besser funktioniert. Bitte erlauben Sie mir, Ihnen das bei Gelegenheit nachzureichen. Es beginnt ja überdies auch der Frühling.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Adrian Schulz
Freier Autor
Seit 2015 bei der taz, zunächst als Praktikant, dann als freier Autor und Kolumnist (zurzeit: "Ungenießbar"). Nebenbei Masterstudium der Ästhetik in Frankfurt am Main. Schreibt über Alltag, Medien und Wirklichkeit.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Er wird es überleben der Kevin Kühnert. Und ich wünsche ihm alles Gute im Kampf gegen die Eifelerin mit ihrem Getröte.

  • 3,5 Jahre gehen schnell vorüber.....

  • „Bis zu 35.000 Volt flössen da mitunter“

     

    Die Kolumnen-Bezeichnung „(Jung und) DUMM“ ist diesmal gerechtfertigt!

    Daher hier ein Crashkurs in Elektrophysik:

     

    Die Spannung „35.000 Volt“ kann allenfalls anliegen, aber niemals fließen. Fließen kann bestenfalls der Strom, welch selbiger in „Ampere“ gemessen wird. Dessen Höhe hängt wiederum vom Widerstand ab, gemessen in „Ohm“. Aber das führt vielleicht schon zu weit . . .

    • @Pfanni:

      Naja…,schonn.

      Zumal Ohm hessisch schonn fließt - ehse zu Homberg (Ohm) mutiert und sich bei Cölbe voltzerlahnt.

       

      Aber dess mit Omas Schondeckchen für's Schondeckchen - doch schonn

      2.0-4.0 - nano a weng g'lunge - hm?!

      Nu. Enne vun denne Linge! Newahr.

      kurz - Fool on the hill. Nö'!!