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Kolumne Wir retten die WeltAlles besser als früher? Hmm…

Bernhard Pötter
Kolumne
von Bernhard Pötter

Der Welt geht es so gut wie nie. Es gibt weniger Arme und Kranke als je zuvor. Stimmt. Aber dieser Fortschritt wird mit Öko-Raubbau erkauft.

Noch nie hatten mehr Menschen sauberes Trinkwasser als heute: Flüchtlingskind in Bangladesch Foto: dpa

E s ist gerade leicht, depressiv zu werden. Draußen ist es entweder schwarz oder grau, die AfD leitet den Rechts(haha)ausschuss des Bundestags, überall herrscht Krieg, und Deutschland verpasst jede Woche ein neues Klimaschutzziel.

Als Gegengift empfiehlt sich ein Text von Nicholas Krystof in der New York Times. Der Kollege ist gut informiert, und trotzdem – oder deshalb – war 2017 für ihn „das beste Jahr in der Geschichte der Menschheit“. Denn nie gab es so wenig Armut auf der Welt, schreibt er: Jeden Tag sinkt die Zahl der Menschen, die mit 2 Dollar am Tag auskommen müssen, um 217.000, jeden Tag haben 300.000 Arme mehr Zugang zu sauberem Trinkwasser, können 325.000 Haushalte sich einen Stromanschluss leisten.

Noch in den 1960ern, zitiert Krystof Experten und Datensammlungen, hätte mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Armut gelebt und nicht lesen können. Heute sind das noch 10 bis 15 Prozent. Kurz: Die gute alte Zeit war für die meisten Menschen ziemlich beschissen. An jedem anderen Tag, verspricht Krystof, werde er vor Wut schreien über all das, was schief geht. „Aber lasst uns heute mal nicht verpassen, was gut läuft.“

Doch ein paar Fragezeichen bleiben schon noch. Denn der Fortschritt besteht meistens aus weniger Armut, Hunger, Krankheit, Ungerechtigkeit. Das ist toll. Ganz selten aber gibt es ökologische Erfolge. Im Gegenteil. Regenwälder schrumpfen, ebenso die Fischbestände, Arten sterben in rasantem Tempo aus, Klimagase heizen den Planeten immer schneller auf. Kleine Fortschritte wie beim Energiesparen werden durch das Wachstum wieder aufgefressen.

Fortschritt im Einklang mit dem Planeten

Beide Trends sind verbunden. Armutsbekämpfung wird oft erst möglich durch Raubbau an der Natur. Das gefährdet die Erfolge: Ein leeres Meer lässt Fischer hungern, Dürren bringen Krankheiten. Es sind eben nicht nur die bösen Kapitalisten, für die der Urwald gerodet, die Meere leergefischt und die Kohle verbrannt wird. Es ist ein industrielles System, das bislang nur dann Armut und Krankheiten bekämpft, wenn es mit Naturzerstörung gefüttert wird.

Wir können auch anders, keine Frage. Der Strom, der menschenwürdiges Leben ermöglicht, kann auch von einer Solaranlage kommen. Die Lebensmittel für die Hungernden müssen nicht als Genfood von Monsanto geliefert werden. So kann man den französischen Präsidenten Emmanuel Macron verstehen, wenn er sagt: „Make the planet great again“: Fortschritt im Einklang mit den Grenzen des Planeten. Es geht. Aber es muss jeden Tag erkämpft werden.

An Nicholas Krystof habe ich eine Bitte: Er sollte im nächsten Januar das Jahr 2018 zum „besten Jahr in der Geschichte der Menschheit“ erklären – und uns zeigen, welche dieser Erfolge möglich waren, ohne dafür den Planeten zu plündern.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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18 Kommentare

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  • 2G
    21272 (Profil gelöscht)

    Natuerlich kann Strom auch von einer Solaranlage kommen. Aber billiger und sicherer kommt er von einem Kohlekraftwerk und unterstuetzt so den Kampf gegen Armut.

    • @21272 (Profil gelöscht):

      Ist das PR der Industrie und RWE&Co?

      • 2G
        21272 (Profil gelöscht)
        @Uranus:

        Nein, sondern von einem Buerger, der nicht "amused" ist ueber die immer hoeheren Stromrechnungen.

        • @21272 (Profil gelöscht):

          Dass Kohlekraftwerke CO2-Schleuder sind und Klimawandel vorantreibt, welcher wiederum überwiegend Arme trifft, ist Ihnen aber auch klar?

          Dass die Industrie bei den bisherigen Reformen zu Lasten der Privatverbraucher_innen und somit auch der Armen bevorteilt wurden, ist Ihnen auch bewusst?

          Warum also nicht für eine Entlastung der Privatverbraucher_innen, eine CO2-Steuer und Kohleausstieg eintreten?

  • Wer Gentechnik pauschal verurteilt hat mit Wissenschaft nichts zu tun. Sondern ist ein Bio-Aluhutträger. Und kein Teil der Lösung der Probleme der Menschheit.

     

    Umverteilung kann gar nicht die Probleme der Menschheit lösen. Es kann zur Lösung minimal Beitragen. Das meiste muss aus Wachstum kommen. Dafür ist gar nicht genug Wohlstand da. Und dafür braucht es offenheit gegenüber neuer Technologien. Wie der Gentechnik.

    • @Tim Leuther:

      Wachstum ohne Ende auf einem endlichen Planeten?

      Es würde Menschen nicht zu gute kommen, wenn sie nicht mehr arm gemacht werden?

      Ein erster Schritt wäre es Wachstumsdogma und Fortschrittsgläubigkeit zu hinterfragen...

  • Make the planet worth living again.

  • Also lebten vor Einführung des Geldes alle im Elend - eine gewagte These. Elend fühle ich mich, wenn ich zum macht- und hilflosen Bodensatz einer Gesellschaft gehöre, in der perverse soziale Unterschiede herrschen. Dabei ist mein absolutes Einkommen fast ohne Belang. Die Differenz macht das Elend, und diese Differenz nimmt zu - global und lokal.

  • "Fortschritt im Einklang mit dem Planeten" ...schöne Worte... Ich glaube nicht das wir das schaffen. Wir entscheiden mehr nach Gefühl, nicht nach Tatsachen. Beispiele: Warum steigen wir erst aus der Atomkraft aus und nicht aus den fossilen Energien. Atomkraft emittiert kein (oder kaum) CO2. Fossile Energien sind sicher schädlich. Atomkraft nur wenn es zu einer Havarie kommt und dann leiden die Menschen lokal, bei fossiler Energie leiden sie auf der ganzen Welt. Oder warum verdammen wir Gentechnik, obwohl wissenschaftlich nichts dagegen spricht. Durch Mehr- und vor allen sichere Ernte-Erträge könnten wir die Regenwälder schützen... Letztendlich sind wir Menschen getriebene, getrieben von der "Bevölkerungsexplosion" wir müssen uns anpassen, alte Rezepte wie z. B. alte Sorten, alte Verfahren der Ackerkultur müssen verbessert und erneuert werden. Erfahrung hat einen immer geringeren Wert, wir benötigen Neues....

    • @Bernhard Hellweg:

      Sie vergessen, ...

      das Risiko eines GAU im dichtbesiedelten (!) Deutschland mit entsprechenden gravierenden, andauernden Folgen. (Von wegen "lokal" - haben Sie sich darüber tiefgehender Gedanken gemacht? Würden Sie für einen GAU die Verantwortung übernehmen?),

      dass Nuklearenergie CO2-Emissionen erzeugt,

      dass es kein "Endlager" gibt/geben wird, dass Uranförderung Menschen und Böden vergiftet (siehe auch Wismut),

      dass der Rückbau von AKWs kostenintensiv ist...

      Quellen und weitere Argumente finden Sie hier:

      //100-gute-gruende.de/lesen.xhtml

       

      Wesentliches Problem meiner Ansicht nach ist der Kapitalismus. Es kann kein unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten. Dann die bereits bis jetzt massive Umweltzerstörung, massenhafte Ausrottung von Tieren ... das alles wird im Artikel ja erwähnt.

      Es muss sich meines Erachtens grundlegend Gedanken um das Mensch-Tier-Natur-Verhältnis gemacht werden. Allein der Umstieg von einer Energiequelle auf eine andere oder die Reihenfolge von Kohle-/Atom-Ausstieg wird nicht reichen. Ein Punkt, der zu hinterfragen ist, ist der (wachsende) Energie/Ressourcenverbrauch ... wenn wir uns, den nachfolgenden Generationen, den nichtmenschlichen Tieren nicht der Zukunft berauben wollen.

    • @Bernhard Hellweg:

      > Atomkraft emittiert kein (oder kaum) CO2

       

      Auch Uran ist eine endliche Ressource, und der Abbau bleibt nicht ohne Folgen.

       

      > Oder warum verdammen wir Gentechnik, [...] Durch Mehr- und vor allen sichere Ernte-Erträge könnten wir die Regenwälder schützen

       

      Ich verdamme die Gentechnik nicht per se. Aber wenn sie eingesetzt wird, um Ernten noch ertragreicher zu machen als sie schon sind, hat das auch negative Folgen. Die Nährstoffe, die eine Pflanze liefert, müssen von irgendwo herkommen. Es muss mehr gedüngt werden, von nichts kommt nichts. Das ist eine Milchmädchenrechnung. Mehr Düngung in Form von Gülle führt zu höherer Nitratbelastung. Andere Dünger sind endliche Ressourcen. Mal ganz abgesehen von dem vermehrten Einsatz von Pestiziden, der notwendig wird.

      • @risikofaktor:

        ....wo wir wieder beim Gefühl und nicht bei den Fakten wären.....

  • "Jeden Tag sinkt die Zahl der Menschen, die mit 2 Dollar am Tag auskommen müssen, um 217.000."

     

    Schreibt er. Die Welt wächst jeden Tag um 90.000 Menschen. Wenn seine Zahlen stimmen, müssen wir nur einige hundert Jahre genau so weiter machen, bis auf der ganzen Erde paradiesische Zustände herrschen.

     

    Wers glaubt, wird selig.

    • @A. Müllermilch:

      Genau deswegen machen sie ja immer weiter und weiter und weiter...

       

      Wer's glaubt, der wird nicht seelig, sondern irre. Aber wer irre wird, der darf immerhin nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden. Wahrscheinlich wollen deswegen alle gerne an die toller Zahlen glauben und nicht darüber nachdenken, wie sie zustande kommen und was sie bedeuten.

       

      Die haben offenbar alle ein gemeinsames Lieblingslied: Kinder an die Macht!

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Es gibt weniger Arme und Kranke als je zuvor."

     

    Das kommt darauf an, was man unter "arm" versteht. Wenn jemand drei Dollar pro Tag hat statt zwei, ist er immer noch arm. Wenn die Kaufkraft des Dollars von 1960 bis 2018 auf weniger als ein Achtel gefallen ist, dann müßten sich die Einkommen verachtfacht haben, um auch nur den Inflationsausgleich zu schaffen.

    Wenn jemand am 1.1.1960 einen Dollar hatte, dann entsprach das am 1.1.2018 nach offiziellen Angaben einer Kaufkraft von 8,41 Dollar.

    //fxtop.com/de/inflationsrechner.php?A=1&C1=USD&INDICE=USCPI31011913&DD1=01&MM1=01&YYYY1=1960&DD2=01&MM2=01&YYYY2=2018&btnOK=%C3%84quivalent+berechnen

     

    Relativ an der Verteilung der Einkommen und Vermögen gesehn, steigt die Armut ständig exponentiell an. Einige wenige haben immer mehr Macht, mehr, als jemals in der Geschichte zuvor Menschen besessen haben.

     

    Das Elend nimmt ab, würde ich sagen, aber die Armut nimmt zu. Menschen arbeiten und haben in den letzten Jahrhunderten viele Erfimdungen gemacht. Diese stehen auch immer mehr armen Menschen zur Verfügung. Das heißt aber nicht, sie wären nicht mehr arm. Relativ gesehen steigt die soziale Ungleichheit mit immer atemberaubenderem Tempo an.

  • Ja, das wäre schon interessant. Sind es einfach zu viele Menschen oder ist das, was wir mit "gutem Leben" verbinden, einfach nicht erreichbar, ohne am Ende abzustürzen. Ich empfehle Ugo Bardi und seine Theorie der Senecacurve.

  • Einfach mal behaupten das die Armitsbekämpfung auf Kosten der Umwelt geht, bleibt einfach mal eine Behauptung. Ja, die Umwelt wird zerstört, aber erfolgt diese wegen der Armutsbeämpfung oder geht die Umweltzerstörung je Mensch zurück, aber die Anzahl Menschen wächst zu stark? Auch in einem Kommentar könnte man wenigstens eine Kausalkette aufbauen...

    • @Andi S:

      Das kommt eben darauf an wie man Armut bekämpft.

      Wenn Armutsbekämpfung bedeutet solange den maximalen Gewinn zu erwirtschaften bis die 0,1% die bei denen ganz unten ankommen genug zum Leben sind dann verträgt das die Erde nicht auf dauer.

       

      Solange sich der Verteilungsschlüssel weiter zu ungunsten der normalen Bevölkerung entwickelt wird das Problem erhalten bleiben

       

      Auf kapitalistische Weise ist nicht für alle ein auskommen zu erwirtschaften