Warnstreik der studentischen Hilfskräfte: Ausgenutzt und unterbezahlt
Seit 17 Jahren haben die 8.000 studentischen Hilfskräfte in Berlin keine Lohnerhöhung bekommen. Nun wollen sie einen neuen Tarifvertrag.
Die MitarbeiterInnen des Grimm-Zentrums, der Prestigebibliothek der Berliner Humboldt-Universität, waren einigermaßen fassungslos: Hoch aufgetürmte Bücherstapel auf Fluren, Tischen und Bücherwagen – kurzum, ein „ziemliches Chaos“ sei das, was die studentischen Hilfskräfte vergangene Woche an ihrem ersten Warnstreiktag für einen neuen Tarifvertrag angerichtet hätten, hieß es in einer Mitteilung der Uni-Bibliothek. Anfang dieser Woche bat man dann schon mal vorsorglich um Verständnis: Die studentischen Hilfskräfte seien ab Dienstag erneut im Warnstreik, man rechne wieder mit entsprechenden „Aktionen“.
Die rund 8.000 studentischen Hilfskräfte an den Berliner Hochschulen fühlen sich ausgenutzt und unterbezahlt. 10,98 Euro verdienen sie derzeit brutto pro Stunde, die letzte Lohnerhöhung datiert von 2001 – obwohl die Lebenshaltungskosten, vor allem die Mietkosten in der Stadt, inzwischen drastisch gestiegen sind. Regelmäßige Tarifrunden, wie etwa bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst üblich, hatte es nicht gegeben.
Daran hätte sich zum 1. Januar etwas ändern können. Da nämlich lief der aktuelle, seit 2003 bestehende studentische Tarifvertrag, kurz TV-Stud, aus. Monatelang verhandelten die Gewerkschaften Ver.di und GEW deshalb im vergangenen Jahr mit der Arbeitgeberseite, dem Kommunalen Arbeitgeberverband Berlin. Ihr Ziel: die Erhöhung des Stundenlohns auf 14 Euro – vor allem aber die Anbindung des studentischen Tarifvertrags an die Lohnentwicklung der übrigen Hochschulbeschäftigten, die in Berlin nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder, kurz TV-L, bezahlt werden. Die GEW rechnet dort mit 2 Prozent Lohnerhöhung für die Angestellten pro Jahr.
Die Arbeitgeberseite wies dieses Ansinnen als „Maximalforderungen“ zurück, im Dezember ließen die Gewerkschaften die Verhandlungen schließlich platzen: Die Arbeitgeberseite hatte zuletzt eine dreistufige Lohnerhöhung auf 12,50 Euro ab 2022 geboten, längere Krankengeldzahlungen und mehr Urlaubstage. Trotzdem kein seriöses Angebot, hieß es seitens der GEW. Wenn man die Lohnentwicklung bereits bis 2022 festschreibe, ließe sich schon wieder schlecht auf Inflation und steigende Lebenshaltungskosten reagieren.
Hilfkräfte laufen unter „Sachmittel“
Dabei sind die Streikenden in Berlin eigentlich in einer privilegierten Situation. In keinem anderen Bundesland sind studentische Hilfskräfte von einem Tarifvertrag abgedeckt. Das heißt: Für Hilfskräfte in Hamburg, Dresden oder Heidelberg gelten bei Urlaubs- und Krankheitszeiten nur die Grundansprüche des Bundesgesetzes und ihre Löhne legen die Arbeitgeber ohne Rücksprache mit Gewerkschaften fest. An der Universität Marburg etwa sind das für Studenten ohne Abschluss 10 Euro die Stunde. 2015 versuchten Studierende, die Situation der Hilfskräfte dort zu verbessern. Sie forderten – ähnlich wie die Hilfskräfte in Berlin – mehr Lohn, Urlaubsanspruch und mehr Sicherheit. Doch heute sind die Streiter von damals ernüchtert: Den Urlaubsanspruch hat die Uni nicht erhöht, Verträge vergibt sie nach wie vor nur semesterweise. Und, was die Studierenden immer noch ärgert: Hilfskräfte laufen in ihrem Budget wie an vielen anderen Unis nach wie vor unter „Sachmittel“.
Die Berliner Studierenden tröstet das freilich nicht. Am Dienstagmorgen versammelten sich an den Hochschulen die studentischen Hilfskräfte und berieten die Aktionen für die kommenden drei Tage. Im Mensafoyer an der Freien Universität hängten rund 50 Studierende Plakate auf und schoben Sofas zu einer Art Stuhlkreis zusammen. Gegen Mittag steht fest: Das Computerzentrum macht bis Donnerstag dicht, ein Teil des Sprachenzentrums ebenfalls, die zentrale Campusbibliothek wird wohl ihre Öffnungszeiten verkürzen müssen, weil in den Abendstunden überwiegend studentische Hilfskräfte arbeiten. Ohne die Hilfskräfte laufe eben nicht viel an den Unis, kommentiert in der FU-Mensa ein Honorardozent, der sich am Dienstag („Ich bin solidarisch!“) zu den Streikenden gesellte.
Ob diese kleinen Störfeuer der Studierenden die Arbeitgeberseite beeindrucken wird, bleibt nun abzuwarten. KAV-Verhandlungsführerin Claudia Pfeiffer betonte am Dienstag gegenüber der taz, eine Lösung könne es „nur am Verhandlungstisch geben, nicht auf der Straße“. Pfeiffer betonte auch, dass der KAV selbst die von den Gewerkschaften geforderte Anbindung an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes bereits im vergangenen Frühjahr angeboten habe. Die Gewerkschaften hatten jedoch abgelehnt, weil anfangs lediglich 44 Cent Lohnerhöhung herausgesprungen wären.
Unerreichbar scheint die wichtige Anbindung an den Tarifvertrag also durchaus nicht – die Frage wird sein, mit welchem „Ausgangswert“ man startet, wie Pfeiffer es formuliert. Tatsächlich dürfte es deutlich höheren Spielraum als die 44 Cent geben: Der Berliner rot-rot-grüne Senat, der Finanzgeber der Unis, hatte erst im vergangenen Jahr neue Hochschulverträge geschlossen, die den Finanzrahmen der Unis bis 2022 abstecken. Die Gewerkschaften sagen: Das Geld ist da, es werde aber nicht an die studentischen Beschäftigten weitergegeben. Viel Einfluss hat der Senat nicht: Die Unis genießen Tarifautonomie. Im Koalitionsvertrag steht der Appell: Die Arbeitgeber mögen die Lohnentwicklung bei den Hilfskräften doch bitte an den „realen Lebenshaltungskosten“ orientieren. Schön wär’s.
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