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Kommentar Personalpolitik der GrünenAbsage an Realo-Durchmarsch

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Sollten sich die Grünen nicht endlich zu ihrer inneren Baden-Württembergisierung bekennen und die linken Ideen über Bord werfen? Lieber nicht.

Ein Realo kommt selten allein: Annalena Baerbock und Cem Özdemir am Braunkohletagebau Foto: dpa

P arteiflügel, vor allem linke, haben selten eine gute Presse. Sie gelten als Hort verstockter Traditionalisten, als Bremsklötze am Rad des Fortschritts, als bürokratische Hemmschuhe, die dem Aufstieg energischer Politprofis im Weg stehen.

Die Grünen schienen, gerade nach dem Schulterschluss mit der Union in den Jamaika-Verhandlungen, auf dem Weg zu einer Partei ohne Flügel zu sein – jedenfalls ohne linken. Mit Robert Habeck und der Reala Annalena Baerbock an der Parteispitze und dem populären Realo Cem Özdemir als Fraktionschef hätten die Grünen das bisherige innere Machtgefüge abgeschafft. Das wäre das Ende des ohnehin ziemlich blassen linken Grünen-Flügels gewesen. Der hat sich bis heute nicht von 2013 erholt, als Trittins Steuererhöhungspläne forsch für das bescheidene Wahlergebnis verantwortlich gemacht wurden.

Wäre also die Besetzung der Führungsetage mit den vitalen Realos Habeck, Özdemir, Baerbock nicht effektiver als die nervige Doppelquotierung nach Geschlecht und Flügel? Wäre sie nicht ehrlicher, weil die Grünen längst eine Partei der besser verdienenden Mitte sind? Sollten sich die Ex-­Alternativen nicht endlich zu ihrer inneren Baden-Württembergisierung bekennen und alten Plunder über Bord werfen? Lieber nicht.

Es ist gut, dass der finale Sieg der Realos ausfällt, Toni Hofreiter Fraktionschef bleibt und die moderate Linke Anja Piel Chancen auf den Parteivorsitz hat. Denn Flügel sind nicht nur ein Hemmnis. Sie sind ein brauchbares Instrument, um Parteien nach innen zu strukturieren und die üblichen Rangeleien um Posten einzuhegen. Ohne Flügel werden die Machtkämpfe schnell uferlos. Realos und linke Grüne unterscheiden sich inhaltlich und habituell nicht mehr so wie vor 20 Jahren.

Aber es gibt noch Differenzen: Der Kretschmann-Flügel hat für Umverteilung so wenig übrig wie die Union. Der linke Flügel unternimmt immerhin noch den Versuch, Ökologie und ­Gerechtigkeit zu verbinden. Ohne diese Verknüpfung fehlt der Ökopartei Entscheidendes – für die Zukunft, nicht aus Gründen der Vergangenheitsfolklore.

Die Wahl 2017, deren bescheidenes Ergebnis Özdemir erstaunlicherweise nicht angekreidet wurde, hat gezeigt, dass die Ökopartei den Draht zu einem Milieu verloren hat, das jung, städtisch, idealistisch ist. Vor ein paar Jahren war das noch grüne Nachwuchsreserve. Wer die Welt verbessern will, geht heute lieber zur Linkspartei als zu den Anzugträger-Grünen. Die Absage des Realodurchmarschs bietet den Grünen zumindest die Chance, das irgendwann wieder zu ändern.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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13 Kommentare

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  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Die deutsche im Besonderen und die europäische Meinung im Allgemeinen nähert sich immer stärker der US-Amerikanischen Ansicht, was Links ist an. Da wird das französische Sozialversicherungssystem als Negativbeispiel für staatlichen Sozialismus gebrandmarkt. Die Reichensteuer ist kommunistische Beschlagnahmung von Privatvermögen. So krass wird das von den deutschen Liberalen, also von der FDP bis zu den grünen Realos nicht genannt, aber denken, tun sie es schon.

    Was wäre also die Lösung für eine linke ökologische oder sozialökologische Partei? Vielleicht der Zusmmenschluss von linken Grünen, ökologischen Sozialdemokraten und warum auch nicht sozial und ökologisch denkenden Christdemokraten und undogmatischen Leuten aus der Linkspartei in einer überparteilichen Bewegung wie die France Insoumise.

  • Ja, ja, die Grünen: Auf dem Deck der Titanic schunkeln die gerne und winken dem Eisberg zu, das ist ihre Art von Humor. Die FDP hat sie vor der Hingabe an Merkel gerettet.

    Ich weiß nicht, wann ich zuletzt das Wort "Sozialismus" von den Grünen gehört habe. Es ist höchste Zeit, solidarisches Denken wiederzubeleben, natürlich nicht den Kasernenhof-Sozialismus à la DDR. Ob die Linkspartei das gelernt hat? Und lustig, dass Lafontaine von einer vereinten Linken spricht: Die Person, die genau das immer am meisten verhindert hat. Aber dem OSKAR unten gebe ich Recht: Durch Kämpfe wurde viel erreicht. Und GREG hat Unrecht: 90 Prozent der Leute, die ich kenne, sind keine Egoisten.

  • 6G
    64938 (Profil gelöscht)

    Ja, das ist schon interessant, warum Trittin für das schlechte Wahlergebnis verantwortlich gemacht, Özdemir und Göring-Eckhardt hingegen nicht.

    Damals gab es im Vorfeld eine massive Pressekampagne gegen die Grünen als vermeintlich linke Partei. So wie auch heute wieder überall gehen „Linke“ gehetzt wird. Das war damals mitnichten Schuld von Trittin oder dem Versuch der Wiedereinführung gerechter Steuersätze.

    Schlimm, das die Realos das damals instrumentalisiert haben, um die Partei zu übernehmen.

    Solange bei den Grünen Leute wie Kretschmamn, Göhring-Eckhard und Palmer den Kurs bestimmen, sollten sie froh sein über jeden „Linken“, der es dort noch aushält.

    Weil es hier um politische Inhalte geht, und nicht nur um Labels.

  • Ja da gibt es viele individuelle Positionen dazu. Was die Menschheit nicht alles 'Linkes' erlebt hat seit Charly Marx! Aber ich konnte kein Beispiel finden, das den Menschen des entsprechenden Landes gedient und sie zu Wohlstand und Freiheit geführt hätte. LEIDER. Denn sozialistischen oder gar kommunistische Experimente scheiterten immer an Menschen: An denen, die sich zu Führern aufgeschwungen hatten oder an Eingriffen von außen. 'Orwells Farm der Tiere' beinhaltet doch einen Kern von Wahrem. Die Welt heute kennt doch nur schmutzige Regime, die ihre 'Untertanen' so schlimm behandeln wie die Feudalherren des Mittelalters. Und der Rest der Welt muss einen Trump, Erdogan, Putin, Orban, Kazinsky, das sind nur einige Beispiele in der sog. freien Welt. (OK, Russland war noch nie lange ein freies Land). Dafür aber gibt es noch viele, viele Tyrannen in anderen Staaten.

     

    Realo kommt von realistisch und bedeutet zumindest einen Teil Machbares. Und die Idee von Linkem, Idealem - das sind Träume, die zwar schön, aber eben doch Träume bleiben werden. Es gibt vielleicht den intelligentesten Kopf der Politik bei Deutschlands Linken, er gehört einer Frau, die ins Saarland übergesiedelt ist. Aber dort finden sich auch die am wenigsten Hellen! Zu einem kleinen Stück von Freiheit und Wohlergehen für Menschen beizutragen, das erscheint machbar. Schade, dass die Grünen wieder nur zu Träumen tendieren!

    • @fvaderno:

      O ja, träumen sollte verboten werden.

       

      Am besten nach der alten Helmut Schmidt-Devise: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen."

      Während Schmidts Pragmatismus entstanden damals Die Grünen, weil es nix mehr an utopischen Denken gab. Und das es noch Utopien gibt, die nicht direkt verwirklicht werden können, ist gut. Nur durch diese Utopien ist eine Zukunft entstanden, die es mir auf jeden Fall etwas sinnvoller erscheinen lässt, heute zu leben und nicht im Mittelalter.

       

      Ich gebe Ihnen allerdings in dem Punkte Recht, dass es sich nicht verträgt, wenn die Grünen versuchen, beides gleichzeitig zu sein, Eine Partei für die Utopisten, die den Realisten eben die Träume liefern, die sie nicht mehr haben und eine Partei für diese Realisten gleichzeitig, stell wahrscheinlich keine der beiden Seiten zufrieden.

    • @fvaderno:

      Französische Revolution, Sozialdemokratie des 20 Jahrhunderts, 68er Bewegung...

      Hat das alles nichts gebracht?

      Dann müssen soziale Sicherung, Wahlrecht und Meinungsfreiheit wohl vom Himmel gefallen sein.

      All diese "Träume" (konservatives Schmähwort für Zeile) sind wahr geworden im Laufe der Zeit.

      Ohne progressive Ziele bleibt nur das Verteidigen das Status Quo mit autoritären Maßnahmen

      Die Verwaltung der eigenen Privilegien funktioniert eben am Besten indem man deren Gegner zu Spinnern erklärt. Schade das die taz da mit macht und diese Propagandasprache verwendet wo man doch sonst so auf die Sprache achtet

       

      Wo Sozialistische und Kommunistische Ideen am Menschen scheitern hat auch noch niemand erklären können auch wenn das immer wieder behauptet wird

      Es ist gerade der Vorteil dieser Ideen das sie der Natur des Menschen am ehesten entsprechen und auf diese Natur abgestimmt sind

      • @Oskar:

        Dann erkläre ich es Ihnen ganz kurz:

        Der durchschnittliche Mensch (ich würde mal ca. 90 % der Menschen schätzen), will wissen, ob es sich für ihn persönlich lohnt, wenn er sich anstrengen soll. Abstrakte Ziele wie: es hilft der Gesellschaft etc., taugen da leider wenig.

        Abgesehen davon landen früher oder später in allen nichtdemokratischen Gesellschaftsformen die machtgeilen A..löcher an den Hebeln der Macht, was diese Gesellschaftsformen auch unattraktiv macht.

         

        Das mit der fehlenden Motivation ist übrigens auch der Grund, warum es mit den Sprachkursen laut BAMF so katastrophal läuft: Das abstrakte Ziel am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, motiviert die allermeisten (laut BAMF 80%) überhaupt nicht. Und um die persönlichen Vorteile des Spracherwerbs, gefolgt von Schule und einer Ausbildung sehen zu können, braucht man schon ungewöhnlich viel Weitblick und einen langen Atem. Den haben die meisten Menschen aber nicht, und das ist eine Tatsache, mit der man leben und sich arrangieren muss. Ideologische Wünsche helfen da gar nicht.

        • 2G
          2097 (Profil gelöscht)
          @Greg:

          Die Menschenrechte sind ein linkes Projekt, insbesondere die Arbeitnehmerrechte und die Antidiskriminierung. Oder glauben Sie wirklich rechtskonservative Parteien hätten sich dafür eingesetzt, dass es "gemischtrassige" oder gleichgeschlechtliche Ehen gibt? Oder meinen Sie, dass sich wirtschaftsliberale Parteien für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie in Bangladesch einsetzen und dafür sind, dass sich Unternehmen auch im Ausland an die Mindeststandards bei den Menschenrechten und Arbeitnehmerrechten halten müssen?

          Alles realistische Ziele, die dem Individuum nutzen. Immerhin haben die linken Parteien auch zu 100% der gleichgeschlechtlichen Ehe zugestimmt. Das reaktionäre menschenverachtende Lager natürlich nicht!

          Und ein gutes Sozialsystem und Arbeitnehmerrechte bzw. Menschenrechte nutzen der Mehrheit der Bevölkerung. Um das zu erkennen, muss man nicht John Rawls und seine „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ gelesen haben oder Philosoph oder besonders abstrakt denkend veranlagt sein!

          Das nun nicht alle dieselben Bildungsvoraussetzungen besitzen und sehr viele Menschen mehr Unterstützung benötigen als andere, ist nun mal so. Und das Integration Geld kostet, ist nun auch mal so eine Tatsache. Ja, Menschenrechte kosten Geld. Deswegen hält bspw. ja die FDP auch nur dann etwas von den Menschenrechten, wenn diese keine Kosten für ihre Klientel verursachen bzw. wenn es um Arbeitgeberrechte geht und nicht um Arbeitnehmerrechte.

  • Als ich noch bei der AL war, da ging es um den Kampf gegen Intoleranz und Faschismus. Da namentlich der linke Flügel jede Kritik an Intoleranz und Faschismus von nichtdeutscher Seite als vermeintlichen Rassismus bekämpft, müsste zum Selbstbild dieses urdeutschen Überzeugungsglaubens von der eigenen ethischen Überlegenheit irgendeine Art des Diskurses stattfinden und wenigstens stattfinden können. Solange die Dogmen von der vermeintlichen politischen Korrektheit zumindest nach meiner Analyse konträr zur inhaltliche Korrektheit eines tatsächlichen Antifaschismus verlaufen, kann ich nicht umhin, vor dem Linksfaschismus im linken und grünen Spektrum zu warnen!

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ..."linke Ideen" bei den Grünen?

    Kann es kaum glauben, vielleicht gibt es ihn doch, den Weihnachtsmann, den Osterhasen, das Christkind?!

    • @81331 (Profil gelöscht):

      Ich habe mit Simone Peter an derselben Doktorarbeit geschrieben, zur Sanierung des Burbacher Hüttengeländes in Saarbrücken mit Hilfe von Mikroorganismen. Ich finde es sehr schade, dass meine Freundin Simone jetzt vom Parteivorsitz zurücktreten will. Seit der unseeligen Jamaika-Koalition im Saarland 2009 wähle ich sowieso nur noch Sahra Wagenknecht und die LINKE. Mein grünes Parteibuch habe ich schweren Herzens bereits im Jahr 2000 zurückgegeben, als Joschka Fischer die Bundeswehr in Afghanistan einmarschieren ließ ...

    • @81331 (Profil gelöscht):

      Ja, die Grünen waren mal links. Ludger Volmer, der letzte aus NRW hat sich viel Anerkennung verdient. Doch mit der Wende kamen die Bürgerrechtler der DDR, denen alles, was nur entfernt nach Sozialismus oder auch nur sozial klang, zuwider war. Das hängt mit der fatalen Fehlentscheidung zusammen, getrennt als Ost- und West-Partei anzutreten. Nach dem Intermezzo mit Trittins Hannover-Gang (Albrecht, Schröder, Wulff, Gabriel, Edelgard Bulmahn, Monika Griefahn, von Klaeden, von der Leyen, Waltraud Schoppe) folge die Frauen-Doppelspitze. Seitdem, seit 2000, seit 18 Jahren leiten Politiker aus Baden-Württemberg die Partei. Kuhn, Bütikofer und Özdemir haben die Grünen systematisch umgeformt. Vielleicht darf Palmer deshalb so viele Interviews geben. Allerdings kommt mit Anja Piel wieder eine Frau aus Hannover. So sehr man Anti-Partei sein möchte, so sehr halten sich Traditionen. Wie Trittin gilt auch Piel als 'linker Flügel', was angesichts der Hannover-Gang (Liste zufällig und vor allem unvollständig) schwer zu glauben ist.

  • Der erste Absatz hat früher die Grünen insgesamt beschrieben.

    Man könnte das sogar als ihren Markenkern begreifen.

    Grüne, die nicht nervig das heutige Zuckerl zugunsten des späteren Natur-Nutzens ablehnen, sind leider nutzlos.

    Dann sind sie genauso hilflos wie die SPD ohne Glaubwürdigkeit im sozialen Ausgleich.

    Nur unter fünf Prozent...