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Anwalt über Abschiebehaft„Im Zweifel gegen die Freiheit“

Anwalt Peter Fahlbusch führt Statistik darüber, wie oft seine Mandanten zu Unrecht in Abschiebungshaft saßen – 738 Menschen seit 2001. Ein Armutszeugnis, sagt er.

Abgelehnte Asylbewerber werden abgeholt Foto: Sebastian Wilnow/dpa
Andrea Maestro
Interview von Andrea Maestro

taz: Herr Fahlbusch, wie viele Ihrer Mandanten saßen 2017 unrechtmäßig in Abschiebungshaft?

Peter Fahlbusch: Seit 2001 saßen mehr als 50 Prozent meiner Mandanten zu Unrecht in Abschiebungshaft. Wie viele es 2017 sind, kann ich nicht genau sagen. Manchmal sind die Leute schon 2012 festgenommen worden und der Bundesgerichtshof entscheidet erst jetzt, dass die Inhaftierung rechtswidrig war. Seit 2001 habe ich 1.407 Mandanten betreut, die in Abschiebungshaft saßen. 738 davon wurden unrechtmäßig inhaftiert.

Wann ist die Haft unrechtmäßig?

Dann, wenn es Gerichte rechtskräftig so entscheiden. Ich habe in den genannten Fällen Haftbeschwerden eingelegt. In diesen 738 Fällen haben Gerichte geurteilt, dass die Haft nicht in Ordnung war. Manche meiner Mandanten saßen „nur“ einen Tag in Haft – „nur“ in Anführungsstrichen, denn das ist ja Freiheitsentziehung. Andere saßen monatelang zu Unrecht in Haft. Im Durchschnitt waren es vier Wochen. Ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat.

Woran liegt es, dass so viele Inhaftierungen rechtswidrig sind?

Die Formalien sind bei den Verfahren sehr oft nicht erfüllt. Verfahrensrecht ist nun aber Verfassungsrecht. Im Grundgesetz steht, dass man nur unter Beachtung der einschlägigen Verfahrensvorschriften in Haft genommen werden darf. Das beinhaltet zum Beispiel, dass sich der Richter die Akten anguckt oder der Betroffene von einem Dolmetscher angehört wird und ihm der Haftantrag vor der Anhörung ausgehändigt und übersetzt wird. In manchen Fällen stimmte schon die Grundannahme, dass die Menschen das Land verlassen müssen, nicht. Bei manchen lief noch ein Asylverfahren oder es waren Bescheide gar nicht richtig zugestellt worden.

Kann es nicht auch gute Gründe für eine Abschiebungshaft geben?

Man kann schon Zweifel haben, ob es die Abschiebungshaft überhaupt geben muss. Es geht hier um Zivilgefangene. Die haben keinen Menschen umgelegt und auch nicht mit Drogen gehandelt. Man sperrt sie nur deshalb ein, weil sie angeblich das Land verlassen müssen. Da kann man sich fragen, ob das verhältnismäßig ist. Wenn man aber meint, dass es notwendig ist, muss man penibel darauf achten, dass die bestehenden Gesetze eingehalten werden.

Im Interview: Peter Fahlbusch

53, der Rechtsanwalt aus Hannover beschäftigt sich schon seit dem Jahr 2000 schwerpunktmäßig mit Abschiebungshaftverfahren.

Ohne Formfehler.

Genau. Die Behörden und Gerichte halten diese Regeln häufig nicht ein – und das bundesweit. Wenn man sich das mal überlegt: Jeder Zweite sitzt zu Unrecht in Abschiebungshaft. Beträfe das deutsche Eierdiebe, würden die Verantwortlichen das politisch nicht überleben. Aber diese Gefangenen in Abschiebungshaft haben überhaupt keine Lobby.

Bekommen die Geflüchteten einen Anwalt?

In der Untersuchungshaft bekommen die Gefangenen vom ersten Tag an einen Anwalt. In Abschiebungshaft ist das anders. Einen Pflichtverteidiger gibt es nicht, egal wie lange die Menschen in Haft bleiben. Sie müssen sich selbst einen Anwalt suchen und bezahlen. Meistens haben sie dafür kein Geld.

Ein Grund für die Abschiebungshaft ist Fluchtgefahr. Ist das zu vage?

Man muss sich den Einzelfall anschauen. Ein allein reisender, gesunder 25-Jähriger könnte wohl eher untertauchen, als eine Frau mit zwei kleinen Kindern oder alte und kranke Menschen. Wo sollen die sich denn verstecken?

Kommen Familien denn auch in Abschiebungshaft?

Ja, natürlich. In Frankfurt am Main sind im Flughafengefängnis immer wieder Menschen mit kleinen Kindern inhaftiert oder auch erheblich traumatisierte Menschen. Da gibt es leider regelmäßig Suizidversuche.

Wie werden Ihre Mandanten auf Sie aufmerksam?

Weil es kaum Anwälte gibt, die diese Verfahren intensiv betreiben, spricht sich das herum. Ich schaue mir jeden Auftrag an, weil ich am Anfang gar nicht weiß, ob jemand eine Chance hat oder nicht. Das sieht man erst, wenn man sich die Akten anguckt.

Warum führen Sie über Ihre Fälle Statistik?

Anfang 2005 hatte ich das Gefühl, dass ich diese Fälle wirklich außergewöhnlich oft gewinne. Ich habe deshalb die Landesjustizverwaltungen angeschrieben und gefragt, wie viele Menschen zu Unrecht inhaftiert wurden. Alle haben geantwortet, dass sie solche Zahlen nicht erheben. Jeder Baum, der an einer Landstraße gepflanzt wird, wird gezählt. Da ist es absurd, dass es keine Zahlen über rechtswidrige Haft geben soll. Deshalb habe ich meine eigenen Akten aus dem Keller geholt und mit der Statistik begonnen. Ich kann anhand der Statistik sagen, mit welcher Behörde oder welchem Gericht es besonders gut oder schlecht läuft.

Gibt es da ein Gericht in Niedersachsen?

Das Amtsgericht in Hannover macht das relativ gut, vermutlich weil es solche Fälle dort häufiger gibt. Aber auf dem flachen Land entscheiden die Amtsrichter seltener über Abschiebungshaftanträge. Das ist eine komplizierte Materie. Man muss das Aufenthalts-, Asyl- und Europarecht kennen und dafür haben die Richter dort keine zeitlichen Kapazitäten. Die schreiben dann das ab, was ihre Kollegen vor zwei Jahren geschrieben haben und die wiederum haben es auch irgendwo abgeschrieben. Teilweise lese ich dann Entscheidungen mit Bezug auf Gesetzesnormen, die schon seit Jahren nicht mehr in Kraft sind.

Gibt es dafür eine Lösung?

Ab dem 1. Januar sollen in Niedersachsen nur noch die Amtsgerichte, in deren Städte auch Landgerichte sitzen, diese Fälle bearbeiten. Dann werden sich hoffentlich gewisse Routinen entwickeln.

Warum sollten Asylsuchende gegen die Inhaftierung vorgehen?

Wenn die Leute wieder kommen möchten oder hier bleiben dürfen, müssten sie eigentlich die Kosten der Abschiebungshaft zahlen. In Hannover sind das weit über 100 Euro am Tag, in Hamburg sogar 300 Euro. Wenn sie zu Unrecht inhaftiert waren, haben die Menschen einen Anspruch auf Schadensersatz. Auch wenn der einigermaßen jämmerlich ausfällt.

Was bedeutet es für die Schutzsuchenden, wenn sie in Haft kommen?

Sie sitzen im Gefängnis. Das kann man schön machen, wenn man den Stacheldraht von den Dächern holt, aber es bleibt einfach Freiheitsentziehung und die Leute sind bar jeder Hoffnung.

Wie sieht es denn im Gefängnis in Hannover-Langenhagen aus?

Es ist nicht das klassische Strafgefängnis, aber es gibt trotzdem nur bestimmte Hofzeiten. Tagsüber können sich die Inhaftierten in Gemeinschaftsräumen treffen, Tischtennis spielen oder etwas kochen. Mittlerweile dürfen sie ein Handy haben. Das war jahrelang umkämpft. Aber der Internetzugang ist immer noch begrenzt. Das verstehe ich nicht. Es sind keine Strafgefangenen. Warum sollen die nicht über Skype mit ihren Verwandten kommunizieren?

Welche Alternativen gibt es zur Haft?

Zum Beispiel Meldeauflagen oder eine Passhinterlegung. Ich vertrete Leute, die wollten gerade selbst ausreisen, sind dann auf dem Weg festgenommen und in Haft gesteckt worden, nur um sie dann sechs Wochen später abzuschieben. Das ist völlig schwachsinnig. Man muss vielleicht auch mal in Kauf nehmen, dass man enttäuscht wird, weil einer untertaucht. Aber bei den Gerichten und Behörden hat man manchmal das Gefühl, dass die Meinung vorherrscht, jemanden rechtswidrig einzusperren sei besser, als jemanden laufen zu lassen, der hinterher abhaut. Nach dem Motto: Im Zweifel gegen die Freiheit. Das finde ich bedenklich.

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7 Kommentare

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  • Anstatt sich darüber aufzuregen, dass über 50 % rechtswidrig in Haft sitzen, wird der RA und BGH angegriffen. Blöder geht es wohl nicht. Einer, der die Freiheitsrechte verteidigt und quer durch die Republik reisen/agieren muss, weil sonst sich die anderen zu fein sind. Und dann noch den üblen Vorwurf, dass damit Geld verdient wird hinter her schieben. Das macht deutlich, dass G.K. keine Ahnung hat, wieviel Zeit investiert wird in diese Arbeit. Wenn es denn eine Gelddruckmaschiene wäre, würden wohl viele dieses Gehimnis gelüftet haben. Es müssten 15 Abschisbehaftsachen gewonnen werden, und nur gesellschaftlich nützliche "mein neues Mercedes ist kaputt gefahren worden Verfahren" finanziell gleichzusetzen aus Honorarsicht.

    Man kann sich nur mehr RA wünschen, die unser alle Rechte, nämlich das Grundgesetz verteidigen.

    Hierfür verdächtigt zu werden, ist eine Ehre.

    • @balaban:

      Ihre Meinung in alles Ehren. Wir mögen alle Rechtsanwälte, die uns helfen, und vielleicht benötigt einer von uns auch irgendwann einen milden oder einfach nur sehr genau arbeitenden Richter. Da Sie relevante Umstände wohl nicht kennen können, billigen Sie doch bitte anderen eine abweichende, selbst wenn nur differenzierende Auffassung zu.

      Sie dürfen gleichfalls nicht vergessen, dass auch Rechtsanwälte und Richter nur Menschen sind und ideologisch einseitig besetzt sein können.

      • @Gerhard Krause:

        Differenzierte Meinung fängt nicht damit an, dass man jemanden verdächtigt ohne selbst Fakten zu kennen. Falls der BGH die Anforderungen an Grundrechtseingriffe hoch hält, dann sollten wir uns freuen und nicht rumjammern, dass die Behörden nichts dafür können. Und bei ihnen hat offenbar jeder Freispruch oder Rechtswidrigkeitsausspruch Geschmäckle. Denn wer unschuldig ist landet ja nicht vor Gericht, nicht wahr?

        • @balaban:

          Es wäre wünschenswert, wenn Sie Kenner dieser besonderen Rechtsmaterie wären und generalklauselartige Bemerkungen richtig einsetzen würden.

          Geschmack hat hier der Eierdiebvergleich, der uns näher liegen würde als Fremde.

          Es bleibt auch mit Ihrem hier vollzogenen Beitritt zur Ideologie des Unrechten Tatsache, dass Menschen zur Vollstreckung ihrer Pflichten in Haft genommen werden können. Es bleibt gleichfalls Tatsache, dass auch gerichtliche Entscheidungen persönlichen Anschauungen unterliegen.

          Im Falle von Anis Amri galten und gelten die identischen materiellen und formalen Voraussetzungen für das Verfahren von Abschiebungshaft. Wäre es hier in Ordnung, würden hier alle Neune gerade sein, weil "wir" uns Gedanken um die Grundrechte machten? Sicherlich nicht.

          Die wesentlichen Merkmale der Sicherungshaft stellen auf das schuldhafte Versäumnis des Betroffenen, seiner Abschiebung Folge zu leisten (nach einer Möglichkeit der freiwilligen Ausreise) ab.

          Die Anträge scheitern überwiegend an den Formalien und nicht an den Haftgründen. Ich führe gleichfalls Statistik.

          Nun zurück zum Eierdiebvergleich: Tatsache bleibt gleichfalks, dass jeder (Herkunft gleichgültig), der Bußgeld schuldet, schneller bzw unkomplizierter in Haft gelangt, und eben nicht in eine Art Sonderhaftanstalt, denn u.a. der EuGH verbietet die Unterbringung von Abschiebungshaftbetroffenen gemeinsam mit Strafgefangenen. Der Eierdieb gelangt idR gemeinsam mit schlimmsten Verbrechern in Haft.

  • RA Fahlbusch ist mir irgendwie verdächtig. Zudem wird die Abschiebungshaft von ihm in diesem Interview mE einseitig dargestellt.

    Zu unterscheiden sind zunächst die Haftgründe aus dem Aufenthaltsgesetz. Danach, soweit ein Haftgrund zu Recht angenommen werden kann, das Verfahren (zB Antragstellung bzw Haftantrag) und seine Durchführung.

    Aus meiner Sicht befindet sich, de jure selbstverständlich gibt es diese Unterscheidung natürlich nicht, ein Betroffener, der einen Haftgrund verwirklicht hat, aber die Inhaftnahme aus anderen Gründen im Rechtsbehelfsverfahren für rechtswidrig befunden wurde, nicht (wirklich) zu "Unrecht" in Haft. Vielmehr hat der BGH Anforderungen aufgestellt, welche die Ausländerbehörden regelmäßig scheitern lassen.

    Es ist gänzlich unbestritten, dass man Menschen zu der zwangsweisen Durchsetzung ihrer Ausreisepflicht die Freiheit entziehen darf.

    Dass, ein spezieller Haftgrund ist dies jedoch nicht, Drogenhändler von Abschiebungshaft nicht betroffen wären, so könnte man Fahlbusch verstehen, ist völliger Unsinn; seine entsprechende Relativierung (Verharmlosung) in der Sache passt jedoch in sein Konzept. Vielleicht lässt sich auch an einer "Haftentschädigung" selbst etwas verdienen.

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Schon mal daran gedacht, dass die Gerichte massiv überlastet sind?

    Wo sollen den plötzlich all die ausgebildeten Juristen, Richter herkommen?

    Natürlich darf man Forderungen stellen , sollte aber die Realität nicht aus den Augen verlieren.

    Es gäbe bestimmt eine Menge an Leuten, die untertauchen würden und illegal hier leben würden.

    Das kann nicht so gewollt sein.

    Sie kommen hierher und möchten Asyl oder Bleiberecht. Da ist es doch auszuhalten auf den Bescheid zu warten, zumal sie versorgt und untergebracht sind.

  • Wenn nur einer untertauchen würde wär's wohl kein Problem. Werden aber wohl ein paar mehr sein.