: Das Klima leidet unter Christian Schmidts Glyphosat-Coup
Für die SPD wird das Pflanzengift zum Vertrauensvernichter. Merkelwirft dem Minister einen Verstoß gegen die Geschäftsordnung vor, entlässt ihn aber nicht
Aus Berlin Malte Kreutzfeldt, Anna Lehmann und Hanna Voß
Es gab offenbar viel zu besprechen zwischen Angela Merkel und Barbara Hendricks: Beide standen noch minutenlang auf dem Podium und diskutierten weiter, nachdem die Pressekonferenz am Dienstag im Anschluss an den Diesel-Gipfel im Kanzleramt beendet war.
Doch einig wurden sich die CDU-Bundeskanzlerin und die SPD-Umweltministerin nicht. Hendricks war empört über das Vorgehen von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU); dieser hatte einen Vertreter seines Ministeriums am Montag angewiesen, gegen den erklärten Willen von Hendricks im zuständigen EU-Ausschuss in Brüssel dafür zu stimmen, dass das umstrittene Pflanzengift Glyphosat für weitere fünf Jahre zugelassen wird. Im Deutschlandfunk hatte Hendricks daraufhin von der Kanzlerin Konsequenzen gefordert. „Entlassung wäre eine vertrauensbildende Maßnahme“, hatte sie erklärt.
Doch davon wollte Merkel nichts wissen. Sie machte lediglich deutlich, dass sie das Vorgehen ihres Landwirtschaftsministers nicht billige. „Das Verhalten entspricht nicht dem, was wir in der Bundesregierung vereinbart haben“, erklärte sie. Und: „Deshalb erwarte ich auch, dass sich ein solches Vorkommnis nicht wiederholt.“ Praktische Konsequenzen hat der Bruch von Geschäftsordnung und Koalitionsvertrag also nicht.
Hendricks nahm die Aussagen der Kanzlerin zunächst schweigend hin. Erst im Anschluss an die Pressekonferenz erklärte sie, dass die Sache für sie noch nicht ausgestanden sei. Das Verhalten von Schmidt sei „einfach nur dämlich“ gewesen. „Ich bin weiterhin der Meinung, dass wir eine vertrauensbildende Maßnahme brauchen“, sagte Hendricks, ohne dies näher zu spezifizieren. Zudem kündigte sie an, ein nationales Verbot für Glyphosat zu prüfen.
Schmidt selber, der am Diesel-Gipfel teilnahm, weil er nach dem Ausscheiden von Alexander Dobrindt auch das Verkehrsministerium geschäftsführend leitet, trat im Anschluss nicht vor die Presse. Am Morgen hatte er sein Vorgehen noch gerechtfertigt. Er habe „rein sachorientiert“ entschieden, sagte er in der ARD. Denn im Gegenzug für seine Zustimmung habe er Umweltauflagen durchgesetzt. Beim Diesel-Gipfel habe er dann aber „den Versuch unternommen, sich zu entschuldigen“, sagte Hendricks.
In § 19 wird die Zusammenarbeit der Bundesministerien geregelt
(1) In Angelegenheiten, die die Geschäftsbereiche mehrerer Bundesministerien berühren, arbeiten diese zusammen, um die Einheitlichkeit der Maßnahmen und Erklärungen der Bundesregierung zu gewährleisten. Für die rechtzeitige und umfassende Beteiligung ist das federführende Bundesministerium verantwortlich. In einfachen Fällen ist eine mündliche Beteiligung zulässig. [...]
Bei Meinungsverschiedenheiten soll es keine Alleingänge geben
§ 19(2) [...] Solange Meinungsverschiedenheiten bestehen, darf das federführende Bundesministerium keine allgemein bindenden Entscheidungen treffen, die das Einvernehmen anderer Bundesministerien voraussetzen.
In § 74 geht es um Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union
(6) Die Haltung der Bundesregierung zu Vorhaben der Europäischen Union ist in den Gremien der Europäischen Union einheitlich darzustellen.
Um die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat, das von der Internationalen Krebsforschungsagentur der WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft wird, war monatelang gerungen worden. Deutschland sorgte am Montag für eine Mehrheit dafür – obwohl Hendricks noch zwei Stunden vor Beginn der Ausschusssitzung in Brüssel mit Schmidt telefoniert und erklärt habe, sie sei „mit einer Verlängerung der Zulassung von Glyphosat weiterhin nicht einverstanden“. Schmidt habe knapp 40 Minuten später per SMS bestätigt, dass der Dissens zwischen beiden Ministerien bestehen bleibe. Gewöhnlich werden Voten in Brüssel zwischen den Ministerien abgestimmt; gibt es keine Einigkeit, enthalten sich deutsche Vertreter. Das sieht die Geschäftsordnung der Bundesregierung vor.
Zahlreiche SPD-Politiker beschwerten sich über Schmidts Alleingang. Doch mit Rücktrittsforderungen hielt sich die Parteiführung zurück. Auch davon, deshalb nun keine Koalitionsgespräche aufzunehmen, sprach niemand aus der Parteispitze.
Weitaus schärfer sind indes die Stimmen aus der zweiten Reihe des SPD-Personals: „Das ist die Höhe“, kommentiert der SPD-Abgeordnete Marco Bülow die freihändige Entscheidung Schmidts. „Merkel hätte die Konsequenzen ziehen und den CSU-Minister entlassen müssen“, sagte er der taz.
Bülow, der zu jenen in der SPD zählt, die gegen eine Neuauflage der Großen Koalition sind, sieht sich in seiner Haltung bestätigt. „Das ist nur ein weiterer Punkt, der zeigt: mit der CSU ist keine Zusammenarbeit möglich.“ Die Große Koalition sei ausgelutscht, meint der SPD-Mann. „Ich sehe keine Überschneidungen mehr, sondern nur noch Dissens. Um das zu erkennen, brauchen wir auch keine Sondierungen.“ Die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, ebenfalls vom linken Flügel der SPD, sagte: „Das ist der letzte Beweis, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Union in fundamentalen Fragen nicht möglich ist.“
Viel Kritik an Schmidts Entscheidung kam auch von Grünen und Linken.
Aus seiner eigenen Partei, der CSU, gab es hingegen Rückendeckung. Zwar sei das Vorgehen auch mit Bayern nicht abgestimmt worden, sagte Horst Seehofers Staatskanzleichef Marcel Huber. „Aber ich gehe davon aus, dass es eine sehr wohlabgewogene Entscheidung des Bundeslandwirtschaftsministers war.“
Wie sehr der Streit die Bildung einer neuen Großen Koalition belastet, wird sich spätestens am Donnerstag zeigen: Dann werden die Spitzen von Union und SPD zu einem gemeinsamen Termin mit dem Bundespräsidenten im Schloss Bellevue erwartet.
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