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Vor Beginn der Klimakonferenz in BonnZügig zum Klimaschutz

25.000 demonstrierten in Bonn für den Kohleausstieg. Und 200 kamen mit der Umweltministerin per Sonderzug zur Klimakonferenz.

Nichts ist so dringlich wie der Klimaschutz – Demoteilnehmerin am Samstag in Bonn Foto: imago/Markus Heine

BONN taz | „Unser Volk hatte nie ein Konzept von arm und reich“, sagt Tafue Lusama. „wir waren alle arm. Aber mit Fischen und Landwirtschaft konnten wir gut leben. Jetzt brauchen die Menschen plötzlich Geld, weil die Felder versalzen und die Korallen ausbleichen.“ Draußen huscht die sonnige deutsche Herbstlandschaft am ICE vorbei. Lusama kommt aus dem Pazifikstaat Tuvalu. Jetzt sitzt er im „Train to Bonn“, dem Sonderzug von Bundesumweltministerium und Deutscher Bahn zur Klimakonferenz. Tuvalus Nachbarn aus Fidschi sind Gastgeber der Konferenz. Mit ihnen wird der abstrakte Klimawandel plötzlich sehr konkret: verdorbene Felder, steigende Meere, hilflose Regierungen. Spricht man mit Lusama, wird deutlich: Es geht immer wieder um arm und reich.

„Die Experten geben meinem Land noch 50 Jahre“, sagt Lusama und blickt aus dem Zugfenster. Tuvalu hat 12.000 Staatsbürger, manche Kleinstädte da draußen an der Bahnstrecke haben mehr. Noch gibt es keine Pläne der Regierung für eine Umsiedlung, sagt Lusama, Generalsekretär der evangelischen Kirche in der Hauptstadt Funafuti. Aber in Fidschi wurden 2014 die ersten 30 Haushalte auf höheres Land umgesiedelt. Das kostete 300.000 Dollar und zerstörte die traditionelle Siedlungs- und Lebensmuster. Und die Einwohner mussten den Umzug, den höheres Wasser erzwungen hat, selbst bezahlen. Die Armen baden im Klimawandel aus, was die Reichen anrichten.

Mit diesen konkreten Problemen soll sich die 23. Klimakonferenz in Bonn befassen, die am Montag beginnt. Auf dem Weg dahin ist die deutsche Delegation unterwegs, an Bord des Zuges sind neben Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und ihrem Ministerium auch Vertreter der Industrie, der Wissenschaft und der Medien. Bahnchef Richard Lutz nutzt im offiziellen Programm die Gelegenheit, die Öko-Anstrengungen der Bahn zu preisen, BMW stellt sich den Fragen zum Verkehr, die Münchner Rückversicherung präsentiert mit dem Entwicklungsministerium Versicherungsmodelle für bedrohte Staaten. Sie wollen von oben Druck machen, damit sich die COP diesen Problemen annimmt.

Eine rote Linie quer über das Gesicht

Von unten ist der Druck schon da. Während der Zug fährt, sammeln sich in Bonn bereits Menschen, um für die „größte Klimademo, die es je in Deutschland gab“, auf die Straße zu gehen, wie Ann-Kathrin Schneider vom BUND sagt. Mehr als 100 Klima-, Umweltschutz- und Bürgerrechtsorganisationen hatten unter dem Motto „Klima schützen, Kohle stoppen“ dazu aufgerufen, rund 25.000 Menschen sind nach Angaben der Veranstalter gekommen. Die Polizei will keine Zahlen nennen und beschränkt sich auf die Mitteilung, dass es deutlich mehr als die angemeldeten 10.000 TeilnehmerInnen geworden sind.

Dazu trugen wohl nicht nur strahlender Sonnenschein und der Beginn der COP bei, sondern auch die Tatsache, dass die Sondierungsgespräche nach der Bundestagswahl gerade in die entscheidende Phase gehen. Der Münsterplatz in der Bonner Innenstadt war zu klein, um die TeilnehmerInnen der Auftaktveranstaltung überhaupt zu fassen, die mit Transparenten, bunten Luftballons und Trommeln Stimmung machten. Die Botschaft der Demo war klar: „End Coal!“, skandierten tausende Menschen. Das Rheinische Braunkohlerevier, dessen Kraftwerke allein für mehr als zehn Prozent der deutschen CO2-Emmissionen verantwortlich sind, liegt nur etwa 50 Kilometer vor Bonn.

Die Experten geben meinem Land noch 50 Jahre

Tafue Lusama aus Tuvalu

Vor allem die Grünen, machten die TeilnehmerInnen der Demo klar, stehen momentan stark unter Druck: „Ich will mit meiner Teilnahme an der Demo darauf drängen, dass die Grünen ihre Haltelinie beibehalten, den Braunkohleausstieg“, sagte Sabeth Häublein, die extra aus Freiburg angereist war. Manche TeilnehmerInnen hatten sich ihre rote Linie einmal quer über ihr Gesicht gezeichnet. Auch Eberhard Heindl aus Mettmann, der mit seiner Frau und zwei Kindern bei der Demo mitlief, sagte: „Wir wollen, dass vor allem die Grünen mutiger in die Koalitionsverhandlungen gehen.“ Um die Parteien auf den richtigen Weg zu bringen, brauche es Druck aus der Bevölkerung. „Und wenn wir weiter in Frieden leben wollen, müssen wir den Klimawandel stoppen.“

„Es bringt nichts, Schuldige zu suchen“

„Der politische Wille fehlt eben überall“, sagt Tafue Lusuma im „Train to Bonn“. Er ist auf Einladung der evangelischen Hilfsorganisation Brot für die Welt in Deutschland und weiß sehr wohl, dass die möglichen Regierungsparteien über den Kohleausstieg streiten. „Wir müssen das Pariser Abkommen umsetzen, aber das ist nicht genug“, sagt der Mann von den bedrohten Inseln. „Wir müssen aber auch optimistisch bleiben. Ein Ziel von 100 Prozent erneuerbarer Energie wäre schon ein starkes Symbol.“ Hat er ein Problem damit, die Klimatäter in den Industriestaaten zu besuchen? „Es bringt nichts, Schuldige zu suchen“, sagt der Kirchenmann. „Aber wir haben die Chance, hier zu erzählen, welche Folgen euer CO2-Ausstoß hier bei uns hat.“

Die TeilnehmerInnen der Demo jedenfalls sind auf seiner Seite: „Bis spätestens 2030 muss Schluss sein mit dem ganzen Dreck“, sagt Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz, einer der Organisatoren, auf der Bühne. „Nur dann werden wir das Klimaziel der Bundesregierung von 40 Prozent weniger CO2 bis 2020 erreichen.“ Und nur dann werde Deutschland andere Staaten davon überzeugen können, welches Potenzial die Energiewende habe, so Bautz. „Energiewende heißt beides: Sonne und Wind anschalten – und Kohle abschalten.“

Die Zeit drängt. Der Sonderzug der Ministerin zumindest war überpünktlich und kam 15 Minuten zu früh am neu eröffneten Bahnhof „UN Campus“ in Bonn an. Vor zwei Jahren, beim Sonderzug zur COP in Paris, hatten radikale Klimaschützer Hendricks und ihr Gefolge durch eine waghalsige Kletteraktion zwei Stunden in Frankfurt aufgehalten. Diesmal hatte die Polizei den einzigen Zwischenstopp in Hannover weiträumig abgeschirmt.

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16 Kommentare

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  • Klima, Umwelt und Natur?

     

    "Nach uns die Sintflut!"

     

    “Nach uns die Sintflut!“, das ist das Grundgesetz der Vorstände und Aufsichtsräte der kapitalistischen Wirtschafts- und Monopolverbände, der DAX-Konzerne, der Finanz- und Monopolbourgeoisie, deren Lobbyisten in allen bürgerlichen Parteien, staatlichen Institutionen und Ministerien. So auf allen Ebenen der spätbürgerlichen Klassengesellschaft und deren Gesellschaftordnung.

     

    Wäre es nicht so, dann hätten wir, trotz relativen Wohlstand und Massenkonsum, vor allem in den Weltwirtschaftsmetropolen, bereits eine sozialrevolutionäre Umwälzung und sozialökologische Revolution in Deutschland und Europa, weltweit.

     

    Die Beseitigung des Kapitalismus wäre die zentrale Hauptaufgabe. Es bedarf demokratisches Gemeineigentum an den gesellschaftlichen Produktionsmitteln: Grund und Boden, Rohstoffe und Bodenschätze, Luft und Wasser, Tier -Natur- und Pflanzenwelt!

     

    Gemeineigentum an gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsmitteln ist die Voraussetzung für eine sozialökonomische und sozialökologische Kreislaufwirtschaft.

     

    Nur auf der Grundlage des Gemeineigentums können wir unsere natürlichen Existenzgrundlagen erhalten: Klima, Umwelt und Natur!

     

    Bei Fortsetzung und (bürgerlicher) Reform des Kapitalismus ist der Schutz von Klima, Umwelt, Mensch, Tier und Natur, nicht möglich!

    • @Reinhold Schramm:

      Diese Einlassung ist der reinste Hohn in Anbetracht der Tatsache, dass die kommunistischen Länder stets die größten Umweltverschmutzer waren und die Volksrepublik China gegenwärtig die mit Abstand höchste CO2 Emissionen in der ganzen Welt hat.

      • @Tom Tailor:

        ***-): Es waren keine "kommunistischen Länder"!

         

        Wären es sozialistische Länder gewesen, dann würden sie noch existieren! Und die Bevölkerungen in den kapitalistischen Ländern würden sich um die Beseitigung des Kapitalismus bemühen!

         

        Nur auf der Grundlage des demokratischen Gemeineigentums [Grund und Boden, Rohstoffe und Bodenschätze, Luft und Wasser, Tier -Natur- und Pflenzenwelt] an den Produktionsmitteln und Reproduktionsmitteln ist eine sozioökonomische und sozioökologische Kreislaufwirtschaft und nachhaltiger Klimaschutz, Umweltschutz und Naturschutz möglich!

         

        Das Finanz-, Banken-, DAX-Konzern- und Monopolkapital, muss unter demokratische Kontrolle der Gesellschaft! Es bedarf keiner Finanz- und Monopolbourgeoisie, keiner Multimillionäre, Erbschafts-Milliardäre und persönlich leistungslosen Großaktionäre und Multi-Milliardäre!

         

        Die gebildeten Bürgerinnen und Bürger -in Deutschland und Europa- können heute eigenständig die Wirtschaft planen, organisieren und führen! Nicht die Aktionäre produzieren, sondern die hochqualifizierten Fachkräfte produzieren und betreiben schon heute die weltweiten Handels-, Absatz- und Wirtschaftsbeziehungen!

         

        Oder wollen Sie etwa behaupten, ohne die Familie Quandt würde der BMW-Konzern nicht funktionieren? / Oder ohne Familie Mohn würde der Bertelsmann-Konzern zusammenbrechen? / Oder ohne Familie Springer würde die "Bild" und/oder Super-Porno-Illu weiterhin produziert werden?

         

        Aufwachen, brave Kapitalmichels! (?)

        • @Reinhold Schramm:

          Ja ne, is klar: wenn der Erfolg beim sozialistischen bzw. kommunistischen "Geschäftsmodell" ausblieb, war es natürlich kein Kommunismus. Immer schön frei raus, gerade wies passt. Nur dumm, dass sich die SED-, KPDSU-Parteifunktionäre oder die Führungsclique um die alten Herren des "großen Sprungs" selbst als die Elite des Kommunismus empfanden und den ihnen anvertrauten Staaten natürlich genau dieses Aushängeschild angelegt haben. Und die Partei hatte natürlich immer recht. Also wie jetzt? Und was immer ihre Spekulationen sind, was die Bevölkerungen alles getan oder bewirt hätten: Fakt ist, das dieses "Geschäftsmodell" eben nicht funktioniert hat, auch nie funktionieren wird, da die Revolution stets ihre Kinder fressen und jeder neue Anlauf wieder in Abziehbildern der dahingeschiedenen "realsozialistischen" Staaten münden wird. Und Fakt bleibt ebenfalls, das ebendiese "realsozialistischen" Staaten die größten Umweltverschmutzer und Klimasünder waren und heute noch sind. Und was immer sie sich da zurecht träumen, fordern, glauben, theoretisieren oder annehmen wie es sein könnte: es spielt keine Rolle. Die Zeit ist um, und wenn jemand mal aufwachen sollte, dann wohl Sie.

          • @Tom Tailor:

            Na, zu viel und zu lang antikommunistische Propaganda konsumiert? "Marktkonforme Demokratie"/"Soziale Marktwirtschaft"/Kapitalismus=alternativlos? Oder wie? ;)

             

            Es gibt ja noch andere Ansätze: Anarchismus zum Beispiel.

            • @Uranus:

              Meine Antworten bezogen sich rein auf die kommunistische Propaganda des Hr. Schramm. Das der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form alternativlos ist behaupte ich nicht. Das die Alternative aber Sozialismus/Kommunismus ist, hingegen schon. Generell bin ich allerdings skeptisch gegenüber all jenen, die in wohlfeilen Phrasen das Glück auf Erden in der Revolution sehen und dabei unter den Tisch kehren, das bislang jede Revolution in Mord, Totschlag und Unfreiheit für die Masse der Bevölkerung endete. Und auf derlei "Experimente" kann ich gut verzichten (mal ganz abgesehen davon, dass das Thema hier ohnehin "Klimaschutz" lautet).

              • @Tom Tailor:

                "Das der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form alternativlos ist behaupte ich nicht."

                Also, das ist doch schon etwas. Der nächste Schritt wäre, nach der Betrachtung, Analyse des Kapitalismus, zu sagen:

                "Der Kapitalismus sollte (besser noch: darf) nicht alternativlos sein"

                Was macht Kapitalismus aus? Was sind Entwicklungen und Ursachen, die als negativ zu bewerten sind? Auf was soll eine befreite Gesellschaft nicht basieren? Was soll eine Bewegung achten? ...

                 

                :)

          • @Tom Tailor:

            Sie möchten keine Veränderung. Für Sie soll alles so bleiben wie bisher. Nur das wird nicht funktionieren.

            • @Reinhold Schramm:

              Mag sein. Nur das werden Sie nicht mehr erleben. Und ich wahrscheinlich auch nicht. Nur wie es eben überhaupt nicht funktioniert, haben die "realsozialistischen" Staaten bewiesen. Also was wollen Sie?

          • @Tom Tailor:

            Die Welt ist kapitalistisch! Wo funktioniert der Kapitalismus und wo nicht? (!)

             

            Beschäftigen Sie sich mit dem Kapitalismus!

  • Weniger Menschen, weniger Probleme. Bei uns kann auch niemand hoffen, dass irgendetwas 50 Jahre Bestand hat. Nicht mal die DDR!

  • Diese Atolle Fidschi und co gibt es erst grade mal ein paar Zehntausend Jahre. Vorher war das alles Meer. Das sind bekanntlich nur die Korallenriffe um die Spitzen von Tiefseevulkanen.

    Nun gehts halt wieder ins Meer zurück.

     

    Zur Erinnerung: Fast ganz Holland ist eigentlich Meeresboden...

  • Nichts ist so dringlich wie der Schutz der Geflüchteten! Klimaschutz hat Zeit. Jetzt geht es erst mal um das unmittelbare Überleben derer, die vor Völkermord und Hungersnöten geflohen sind.

     

    Die Grünen sollten ihre Prioritäten überdenken und sich erst mal um die Schutzsuchenden kümmern, bevor sie versuchen, die Abholzung der Regenwälder, Feinstaub oder Atomkraft abzuschaffen. Jamaika kann nur mit Kompromissen zustande kommen! Da muss man die richtigen Prioritäten setzen.

     

    Die CDU lässt sich eher überreden, Merkels Flüchtlingspolitik fortzusetzen als der Automobilindustrie zu schaden.

    • @Maike123:

      Aber wenn wir nicht endlich anfangen die Ursachen zu bekämpfen , sondern weiterhin NUR die Folgen als Aktionsanlass nehmen, werden es global gesehen IMMER mehr Migrationsbewegungen geben. Das Klima ist einfach ausschlaggebender Faktor von vielen Faktoren, wie zum Beispiel Flucht vor Klimafolgen.!

    • @Maike123:

      aber irgendwann (und das am besten gestern!) müssen wir auch mal Anfangen die Ursachen zu bekämpfen und nicht immer nur die Folgen minimieren!!!!

      Das dies alles unmittelbar zusammenhängt haben aufgeklärte Menschen eigentlich verinnerlicht!

      Wenn wir jetzt nichts für die Umwelt machen, werden (human-evolutionär gesehene regelmäßig wiederkehrende) Migrationen zunehmen!

  • Da kann man nur erneut hoffen, daß die Jamaikaverhandlungen im Sande verlaufen, denn Klima und Grüne können dabei nur verlieren.