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UN zum Angriff auf Chan ScheichunSyriens Regime verübte Chemieangriff

Erneut bestätigt eine UN-Untersuchung: Im April gab es einen Sarin-Angriff mit 90 Toten. Verantwortlich ist Syriens Regierung.

Hat er sich verhört? Er soll schuld sein an dem Giftgasanfriff auf Chan Scheichun? Foto: reuters

Berlin taz | Syriens Regierung ist für den Giftgasangriff verantwortlich, bei dem am 4. April im Ort Chan Scheichun über 90 Menschen starben. Darauf legt sich die gemeinsame Syrien-Untersuchungsmission der Vereinten Nationen und der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen in ihrem Abschlussbericht fest, der am Donnerstag an den UN-Sicherheitsrat geleitet wurde.

Das Führungsgremium des Gemeinsamen Investigativmechanismus (JIM) von UNO und OPCW zu Chemiewaffeneinsätzen in Syrien sei „sich sicher, dass die Arabische Republik Syrien für die Freisetzung von Sarin in Chan Scheichun verantwortlich ist“, heißt es in dem unveröffentlichten 33-seitigen Bericht, der der taz vorliegt.

Die Erkenntnisse des Ermittlerteams decken sich mit denen der Untersuchungskommision des UN-Menschenrechtsrats zur Lage in Syrien, die Anfang September in einem eigenen Bericht bereits Syriens Regierung für den Giftgasangriff auf Chan Scheichun verantwortlich gemacht hatte.

Der Bericht vom September hatte im Detail den Hergang des Angriffs am frühen Morgen des 4. April 2017 rekonstruiert, verübt von einer Sukhoi-22 (Su-22) der syrischen Luftwaffe, die bei zwei separaten Überflügen vier Bomben auf Chan Scheichun – ein von Rebellen gehaltenen Ort in der Nähe der Kriegsfront nördlich von Hama an einer der wichtigsten Überlandstraßen Syriens – geworfen habe.

Einsatz aus der Luft ist einzige Erklärung

Eine der Bomben explodierte nicht konventionell, sondern hinterließ nur einen unüblich kleinen Krater in einer Straße; der Aufprall aktivierte eine Zündungsmechanismus und dieser „setzte eine Wolke frei, die sich über eine Entfernung von 300 bis 600 Meter vom Einschlagsort ausdehnte und mindestens 83 Personen tötete, darunter 28 Kinder und 23 Frauen“, so der Bericht vom September. Die meisten Toten habe es innerhalb von 200 Metern südlich und westlich des Einschlagsorts gegeben.

Diese Befunde wrden im neuen Bericht bestätigt. Nach detaillierter Überprüfung der verschiedenen Hypothesen und Belege kommt die Untersuchung zum Schluss, dass die vorliegenden Informationen „ausreichend glaubwürdig und verlässlich“ seien, um folgendes zu belegen:

„- Flugzeuge warfen zwischen 6 Uhr 30 und 7 Uhr am 4. April 2017 über Chan Scheichun Munition ab.

- Flugzeuge der Arabischen Republik Syrien befanden sich zwischen 6 Uhr 30 und 7 Uhr am 4. April 2017 in der unmittelbaren Nachbarschaft von Chan Scheichun.

- Der Krater, aus dem das Sarin hervorstieg, wurde am Morgen des 4. April 2017 geschaffen.

- Der Krater wurde durch eine mit hoher Geschwindigkeit landende Fliegerbombe verursacht.

- Eine große Anzahl Menschen war zwischen 6 Uhr 30 und 7 Uhr am 4. April 2017 von Sarin betroffen.

- Die Anzahl der Menschen, die am 4. April 2017 von der Freisetzung von Sarin betroffen waren, und der Umstand, dass Sarin Berichten zufolge noch zehn Tage nach dem Vorfall am Ort des Kraters vorhanden war, deuten darauf hin, dass vermutlich eine große Menge Sarin freigesetzt wurde, was mit der Freisetzung durch eine chemische Fliegerbombe im Einklang steht.

- Die Symptome der Opfer und ihre medizinische Versorgung, ebenso das Ausmaß des Vorfalls, stehen mit einer großflächigen Vergiftung mit Sarin im Einklang.

- Es hat sich herausgestellt, dass das Sarin, das in den von Chan Scheichun entnommenen Proben festgestellt wurde, höchstwahrscheinlich mit einem Kampfstoff aus den ursprünglichen Lagerbeständen der Arabischen Republik Syrien hergestellt wurde.“

Mögliche Unklarheiten, so der Bericht weiter, seien nicht geeignet, diese Befunde in Frage zu stellen, und daher sei die Verantwortung der syrischen Regierung ausreichend nachgewiesen.

Ein Team der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) hatte bereits kurz nach dem Angriff Autopsien der in der Türkei gestorbenen Opfer beigewohnt sowie überlebende Opfer interviewt und Tests an in der Anwesenheit von OPCW-Mitarbeitern gesammelten Proben durchgeführt, ebenso Bodenproben aus Chan Scheichun, die die syrische Regierung zusammen mit einem Video der Entnahme vor Ort zur Verfügung gestellt hatten. Alle Untersuchungen wiesen den Einsatz von Sarin oder einer ähnlichen Substanz nach, wie bereits Ende Juni die OPCW berichtete.

Es gibt keine auf Fakten basierende detaillierte Untersuchung des Angriffs auf Chan Scheichun, die zu einem anderen Schluss kommt als die, dass Syriens Regime den Angriff mit Sarin verübte. Gegenteilige Behauptungen, wie sie von Moskau, Damaskus und westlichen Kritikern wie Seymour Hersh in die Welt gesetzt worden sind, ignorieren sämtlich die öffentlich bestätigten Fakten und setzen diesen keine eigenen Belege entgegen. Die immer wieder zu lesende Darstellung, der Angriff auf Chan Scheichun sei „ungeklärt“, ist spätestens seit September nicht mehr haltbar.

Kontroversen über Chan Scheichun werden wohl nicht enden

Das Untersuchungsteam JIM (Joint Investigation Mechanism) wurde 2015 einstimmig vom UN-Sicherheitsrat beschlossen. Sein Mandat wurde 2016 für ein Jahr verlängert und läuft am 16. November aus, wenn es nicht abermals ausgedehnt wird.

Am 24. Oktober hatte Russland im UN-Sicherheitsrat eine Verlängerung des Mandats der Mission per Veto verhindert. Vorgebrachter Grund dafür war gewesen, dass man erst den Bericht der Mission abwarten müsse. Dieser liegt jetzt vor. Er soll am 7. November im UN-Sicherheitsrat debattiert werden.

„Der heutige Bericht sollte die Diskussion über die Verantwortung für den Angriff auf Chan Scheichun beenden“, erklärte am Donnerstag Louis Charbonneau, UN-Direktor der Mnschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“. „Die Frage jetzt ist, ob Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und der OPCW, einschließlich Russlands, sich bewegen und die syrischen Behörden zur Rechenschaft ziehen werden.“

Es ist aber nicht zu erwarten, dass die Kontroversen über Chan Scheichun mit diesem Bericht enden. Russische Medien kritisieren ihn bereits als methodologisch falsch. Die UN-Vertretungen der USA und Großbritannien hingegen sehen darin eine Bestätigung für ihre Ansicht, dass das Assad-Regime in Syrien keine Zukunft haben darf.

Diplomatisch doppelt heikel

UN-Generalsekretär Antonio Guterres bekräftigte in einer Presseerklärung sein „volles Vertrauen in den Professionalismus, die Objektivität und der Neutralität“ des Untersuchungsteams.

Der Angriff auf Chan Scheichun ist aus zwei Gründen diplomatisch besonders heikel. Er erfolgte, nachdem Syriens Regierung nach eigener Darstellung ihre C-Waffen-Bestände längst an die OPCW übergeben hatte. Und er führte zum ersten direkten Kampfeinsatz der USA gegen Syriens Regierung: der damals noch neue US-Präsident Donald Trump ließ als Vergeltungsmaßnahme eine syrische Luftwaffenbasis bombardieren.

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7 Kommentare

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  • 8G
    81622 (Profil gelöscht)

    Ich bin schon entsetzt über die Kommentare einiger Leser dieses Artikels, die wohl der "Linken" entspringen. Bisher hat "die Linke" immer argumentiert, die Urhebenschaft von Assad wäre garnicht bewiesen. Mal sehen , ob "die Linke" nun Stellung bezieht. Falls ja, wird sie dann aber wohl vor allem die Waffenexporte des Westens anprangern und Russlands Blockade der UN-Giftgas-Untersuchungskommission nicht erwähnen. Was nicht sein kann, was nicht sein darf.

  • Als ob es daran noch Zweifel gegeben hätte. Die syrische Regierung wurde doch von Angela Merkel höchstpersönlich mit den entsprechenden Chemikalien versorgt. Da braucht sich hier niemand wundern, dass Chemiewaffen hergestellt werden...diese Scheinheiligkeit kennt keine Grenzen. Die Ethik der deutschen Regierung wird an ökonomischen Werten gemessen, dafür gibt es mehr als genug Beispiele. Man schlägt im Grunde mehrere Fliegen mit einer Klappe. Waffenlieferungen halten unsere ach-so-wunderbare Ökonomie am laufen und wir können gleichzeitig die Idee eines Feindes im Osten aufrecht erhalten. Das sieht die USA gerne und die deutsche Regierung begründet die eigene moralische Dominanz. Es ekelt mich an.

  • "Eine der Bomben explodierte nicht konventionell, sondern hinterließ nur einen unüblich kleinen Krater in einer Straße; der Aufprall aktivierte eine Zündungsmechanismus" = explodierte am Boden.

     

    "Dass der Kampfstoff mit einer aus der Luft abgeworfenen Bombe freigesetzt wurde, ist laut dem neuen Bericht die einzige Erklärung für die Art seiner Ausdehnung und die große Zahl der Opfer."

     

    Sorry, aber würde jemand so nett sein und mir diesen offensichtlichen Widerspruch erklären?

    • @Frank Fischer:

      Können Sie nicht lesen oder unterschlagen Sie mit Absicht wichtigen Text: "Eine der Bomben explodierte nicht konventionell, sondern hinterließ nur einen unüblich kleinen Krater in einer Straße; der Aufprall aktivierte eine Zündungsmechanismus und dieser „setzte eine Wolke frei, die sich über eine Entfernung von 300 bis 600 Meter vom Einschlagsort ausdehnte und mindestens 83 Personen tötete, darunter 28 Kinder und 23 Frauen“," - will heißen: Die Bombe, die aus einem Flugzeug abgeworfen wurde, setzte erst am Boden die giftigen Gase frei. Was gibt es da herumzudeuteln?

      • @Ute Krakowski:

        Also nochmal auf ganz einfache Art: Wenn Bombe am Boden explodiert, warum Bombe aus Luft einzige Möglichkeit? Warum nicht möglich Bombe auf Boden stellen und bumm?

         

        Sry für meine Sprache, aber wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus, gell?

    • @Frank Fischer:

      Und genau diese eine von vier Bomben ist dann für 83 der ca. 90 Opfer verantwortlich. Schon merkwürdig.

       

      Ärgerlich ist, daß der Bericht nicht vollständug veröffentlicht wurde. So kann man die Aussagekraft der Beweismittel nicht beurteilen.

  • "USA und Großbritannien hingegen sehen darin eine Bestätigung für ihre Ansicht, dass das Assad-Regime in Syrien keine Zukunft haben darf."

     

    Guter Vorschlag. Der Kriegsverbrecher Assad wird weggebombt, damit in Syrien endlich Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und westliche Werte zum tragen kommen. Das klappt in islamischen Ländern ja immer besonders gut.