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Besetzte VolksbühneBerlin gegen Nichtberlin

Verwirrung herrscht im Haus: Braucht die Volksbühne Berlin statt Chris Dercon eine „Kollektivintendanz“, wie sie ihren Besetzern vorschwebt?

Manches verschwimmt hier: Soll an der Volksbühne Kunst fürs – oder Kunst vom Volk entstehen? Foto: dpa

Berlin taz | In der Interimsvolksbühne gibt es für alles Zettel. Sie sind handbeschrieben, sie hängen an den holzvertäfelten Wänden. Einige weisen darauf hin, wo das Klo, das „Awareness“-Team oder das 16-Uhr-Plenum zu finden sind. Andere sind Listen, in die man sich eintragen kann, wenn man sich im Sicherheitsdienst, im Einkaufskonvoi, in der Putzkolonne nützlich machen will.

Seit vier Tagen hält das Kollektiv „Staub zu Glitzer“ die Berliner Volksbühne im Rahmen einer „transmedialen Theaterinszenierung“ besetzt. Vor der Tür sitzen und stehen nun vereinzelt Leute, ein Hund streunt dazwischen herum. Ein Transporter bringt Interieur und Verpflegung, draußen gibt es VoKü. Drinnen sind noch rund 250 Menschen. Am Wochenende sollen insgesamt 10.000 Leute dagewesen sein, sagen die Initiatoren. Das Interesse sei riesig, die New York Times habe berichtet.

Kaum verwunderlich. Denn das Volksbühnenschlamassel erreicht mit der Besetzung einen Höhepunkt. Im aristotelischen Drama wäre die Peripetie erreicht, der Moment, in dem alles auf der Kippe ist. Gentrifizierungsgegner, antikapitalistische Initiativen und kulturell Enttäuschte haben gemeinsam mit der Volksbühne ein Symbol besetzt, zu dem das Haus zuletzt gemacht wurde. Aus der neuen Intendanz von Chris Dercon wurde – bevor sich der Vorhang zum ersten Mal geöffnet hatte – eine simple Erzählung. Alte Frank-Castorf-Volksbühne: subversiv, links, revolutionär, Berlin. Neue Dercon-Volksbühne: neoliberal, reaktionär, snobistisch, Nichtberlin.

Was wollen die Besetzer? Im Konzeptpapier ist zu ästhetisch-künstlerischer Auseinandersetzung nicht viel zu lesen. Stattdessen von der Vorstellung eines „Zentrum der Stadtentwicklungsdebatte“. Eigentlich soll alles erst im Rahmen einer kollektiven zweijährigen Intendanz, bei der alle mitmachen können – really –, entwickelt werden. „Wir wissen, dass man hier hochwertiges künstlerisches Programm erwartet, und das wollen wir ja auch liefern“, sagt Mitbesetzer Patrick Luzina am Montagabend. Zudem sei es wichtig, einen Ort zu schaffen, an dem zivilgesellschaftliche Gruppen zusammenkämen.

Ein Geist geht um

Die Besetzer beziehen sich auf den ursprünglichen Geist des Theaters, das 1890 als Freie Volksbühne gegründet wurde, um ärmeren Schichten den Theaterbesuch zu ermöglichen. Sie schreiben, man habe der Bevölkerung eine „selbstständige Kulturproduktion ermöglichen“ wollen, was so klingt, als sei der damals schon richtige und wichtige Slogan „Die Kunst dem Volke“ hier eklatant missverstanden worden.

Intendanzen waren aus gutem Grund nie eine basisdemokratische Angelegenheit, wie insinuiert wird: „Dass der ehemalige Staatssekretär Tim Renner 90 Millionen Euro Steuersubventionen beim Abendessen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegen den Willen aller Betroffenen vergab, ist, wenn auch legal, äußerst fragwürdig“, heißt es zur Vergabe der Intendanz an Dercon. Das hört sich an, als würden Subventionen sonst von jedem Bewohner Berlins einzeln abgenickt. Ex-Volksbühnen-Regisseur René Pollesch schreibt in einer Mail, er hoffe, dass es klappt mit der Kollektivintendanz. Ob er an der Volksbühne inszenieren würde? „Arbeiten werde ich in Berlin demnächst an einem anderen Theater. Und darauf freue ich mich auch.“

Man kann es auch so sehen, dass ein einst strahlendes Haus wie die Volksbühne gerade in diesen Zeiten alles andere als Laissez-faire braucht, sondern klare kuratorische Kante (wobei es immer noch keinen Beleg dafür gibt, dass das unter Chris Dercons Leitung nicht möglich wäre). Im November stehen erste Dercon-Inszenierungen im Haupthaus auf dem Programm, die Proben fallen derzeit aus. Und nicht nur Dercon findet die Zustände nicht hinnehmbar, auch die Senatsverwaltung für Kultur und Kultursenator Klaus Lederer (Linke) teilten mit, die Forderungen seien „nicht erfüllbar.“

Lederer wollte dem Kollektiv ein Ersatzgebäude zur Verfügung stellen – das Angebot wurde abgelehnt. Bei neuen Angeboten „muss man eben sehen“, sagt Patrick Luzina. Chris Dercon und sein Team kamen am späten Dienstagnachmittag mit einer neuen Offerte: Sie wollen den Besetzerinnen und Besetzern dauerhaft den Grünen Salon und den Pavillon – ein kleinerer Raum in und ein Ladenlokal an der Volksbühne – für ihr Programm zur Verfügung stellen. Im klassischen Drama würde man fragen: Katastrophe oder Lysis, also Lösung? Noch ist an der Volksbühne beides möglich.

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2 Kommentare

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  • Die Besetzung der Volksbühne hat schon jetzt viele Menschen erreicht, mehr Gedankne und Diskussionen angestoßen, die ein Intendanzwechsel oder neues Programm nicht berührt hätte.

    Ergo: ein Gewinn für die Gesellschaft und für Berlin. Denn Unterhaltungsstätten hat Berlin ja noch einige, aber dieses Neue, in organisationsform und politischem Anspruch selten so gut sichtbare, dass ist wertvoll.

    Weiter so!

  • Die ursprünglichen Gründer der Volksbühne wussten das Eigentum anderer zu respektieren und sammelten jahrelang Spenden. Sie arbeiteten hart für die Finanzierung. Es ist der pure Hohn, dass sich die Besetzer als deren geistige Nachfolger darstellen. Sie sind es nicht.

     

    Offensichtlich sind noch nicht mal Strom und Wasser abgeschaltet; öffentlich finanziert. Dercon stellt keinen Srafantrag und der Senat sieht zu, wie ein öffenlich genutztes Haus in Beschlag genommen wird. Unfähigkeit pur.