Kommentar Kataloniens Autonomie: Die EU schaut weg
Madrid setzt vor dem Referendum Grundrechte außer Kraft. Während die EU in Polen und Ungarn Kritik übt, sieht sie in Spanien keinen Grund dafür.
I m Vorfeld der für den 1. Oktober geplanten Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens setzt Spanien demokratische Grundrechte außer Kraft. Gegen mehr als 700 Bürgermeister, Parlamentarier und die Autonomieregierung wird ermittelt wegen Delikten, die mit Haftstrafen enden können. Druckereien und Redaktionen werden durchsucht, Plakate und Flugblätter beschlagnahmt, die Adressen derer aufgenommen, die Infomaterial für den 1. Oktober verteilen oder Plakate kleben.
Selbst im restlichen Land werden Veranstaltungen zum Thema Katalonien verboten. Allein die Debatte wird damit kriminalisiert. Und all das, weil die Verfassung ein Unabhängigkeitsreferendum nicht vorsieht. Ein Dialog, der wie in Schottland in einer gemeinsam organisierten Abstimmung enden könnte, findet nicht statt.
Es ist nicht das erste Mal, dass die konservative Regierung der von Korruptionsskandalen gebeutelten Partido Popular (PP) unter Mariano Rajoy die Bürgerrechte beschneidet. Bereits vor zwei Jahren wurde das Strafrecht geändert. Mit dem sogenannten Knebelgesetz werden Aufruf und Teilnahme an spontanen Demonstrationen und die Verbreitung von Fotos von Polizeibeamten im Einsatz mit Bußgeldern zwischen 100.000 und 600.000 Euro geahndet.
Ein Anti-Dschihadisten-Gesetz dient dazu, die sozialen Netzwerke auf mutmaßliche „Verherrlichung des Terrorismus“ zu durchsuchen. Opfer dieses Gesetzes sind bislang vor allem Linke, die schwarzen Humor über den von der baskischen ETA 1973 ermordeten Nachfolger von Diktator Franco, Carrero Blanco, verbreitet haben.
Das Referendum in Katalonien
Und die Europäische Union schaut weg. Es handele sich um einen innerspanischen Konflikt, so die Begründung. Dann aber stellt sich die Frage, mit welchem Recht sich Brüssel in Polen und Ungarn einmischt. Bürger- und Menschenrechte gelten überall und dürfen nicht konjunkturellen politischen Interessen untergeordnet werden.
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