piwik no script img

Prostituiertenschutzgesetz ist in KraftJetzt sprechen die Sexarbeiterinnen

Aufhören, ins Ausland gehen oder illegal weitermachen? Prostituierte entwickeln neue Strategien. Das Gesetz lässt Platz für Interpretation.

Fabienne Freymadl alias Lady Velvet Steel Foto: André Wunstorf

Vielleicht war die Abschiedsorgie von Sexy Susi etwas verfrüht: Am Dienstagabend gab es die letzte Gangbangparty des Pornostars in Berlin. Denn Exfrauenministerin Manuela Schwesig hatte lange den Eindruck erweckt, dass das neue Prostituiertenschutzgesetz, das am 1. Juli in Kraft getreten ist, diese Praktik, bei der meist eine Frau Sex mit mehreren Männern gleichzeitig hat, verbieten würde.

Auf der Homepage von Sexy Susi jedenfalls wird getrauert: „Eine lange Reihe von schönen Partys geht zu Ende.“ Jetzt will Sexy Susi ihre Aktivitäten ins Ausland verlegen, Niederlande, Schweiz und so. Auch der bekannte Gangbanganbieter Erlebniswohnung Berlin bietet ab sofort nur noch „Sexpartys“ an.

Dabei hätte Sexy Susi wohl noch in Deutschland bleiben können. Zwar verbietet das neue Gesetz Betriebskonzepte, die gegen die „Wahrnehmung der sexuellen Selbstbestimmung von Prostituierten“ verstoßen. Oder anders ausgedrückt: Wer gleichzeitig mit mehreren Leuten Sex hat, könne keinen Spaß haben, dahinter stecke doch Zwang, und der gehöre verboten.

So kann man das sehen.

Sexy Susi aber ist über diese Sicht empört. Auch bei Gangbang sage sie, Susi selbst, wo es langgeht: „Die Frau bestimmt alles.“ Sie findet, Frau Schwesig bestreite die sexuelle Selbstbestimmung von Sexarbeitenden.

Vielleicht ist es mit dem ­Prostituiertenschutzgesetz ja ähnlich wie mit anderen Gesetzen: Sie lassen Spielraum für Interpretationen.

Prostituierte müsssen sich anmelden

Auf Nachfrage bei der Berliner Senatsgesundheitsverwaltung, die für die Umsetzung des Gesetzes in der Hauptstadt zuständig ist, wird rasch klar, dass das an vielen Punkten schwierig werden könnte. Gangbangpartys sind so ein Punkt. Sprecher Christoph Lang gibt zu bedenken, dass eine Prostituierte behaupten könne, sie mache das freiwillig und gerne. Er sagt: „Dann ist der Verstoß gegen die sexuelle Selbstbestimmung natürlich kaum nachweisbar.“

In anderen Paragrafen ist das Gesetz eindeutiger. So müssen sich Prostituierte künftig anmelden. Dann erhalten sie eine Anmeldebestätigung, in der Szene „Hurenpass“ genannt. Fabienne Freymadl, die als Lady Velvet Steel in einem Dominastudio in Berlin ihre Dienste anbietet, fragt sich, was das soll: „Geht es um mehr Schutz von Sexarbeitenden? Oder eher um Kontrolle und den Zugriff des Staats auf eine stark stigmatisierte Branche?“

Freymadl muss sich demnächst anmelden, sonst kann sie als Sexarbeiterin nur illegal weitermachen. Aber das wäre in ihrem Fall unmöglich. Lady Velvet Steel ist ein Promi in der Szene, sie hat eine Website, Männer buchen sie online oder telefonisch. Die Behörden wissen das.

Fabienne Freymadl rechnet auch damit, dass viele ihrer KollegInnen den Job aufgeben werden

Am 1. Juli will sich Fabienne Freymadl alias Lady Velvet Steel aber noch nicht anmelden. Sie kann es auch nicht. Sie sagt: „Es ist in manchen Bundesländern noch nicht klar, welche Behörde zuständig ist.“ Sie rechnet damit, dass die Ordnungsämter diese Dienste übernehmen müssen.

Sie rechnet auch damit, dass viele ihrer KollegInnen den Job aufgeben werden. „Manche Frauen sind als Sexarbeitende nicht geoutet“, sagt sie. Deren Familien, die Nachbarn, Freunde wissen nichts vom Job, mit dem „Hurenpass“ könnte der auffliegen. „Die Behörden sind untereinander vernetzt“, sagt sie, „da gibt es immer jemanden, der sich verquatscht.“ Deshalb hat Hamburgs bekannteste Domina, Undine de Rivière, ihr Studio aufgegeben. „Ich weiß nicht, ob sich meine Kolleginnen anmelden“, sagt sie, „ich will das aber auch nicht kontrollieren.“ Sie macht fortan als Soloselbstständige weiter.

In der Sexbranche wird ­geschätzt, dass sich nur ein ­Drittel der Prostituierten anmelden. Andere würden ihre Dienste verschleiern als Massage, Personal Training, so was. Wie früher, als Prostitution in Deutschland verboten war. Manche würden illegal arbeiten. Laut Schätzungen soll es zwischen 400.000 und 1.000.000 Sexarbeitende in Deutschland geben und täglich 1,2 Millionen Freier. Den Jahresumsatz der Branche beziffert das Statistische Bundesamt auf 14,6 Milliarden Euro.

Das Gesetz habe, so sieht es Freymadl, weitere Tücken: Prostitutionsstätten wie Bordelle, Swingerklubs, SM-Studios oder Wohnwagen müssen fortan ein Betriebskonzept vorlegen, wenn die Einrichtungen bestehen sollen. In so einem Betriebskonzept steht zum Beispiel, wer Chefin oder Chef im Bordell ist. Darin soll auch stehen, was in der Prostitutionsstätte stattfindet: Bondage, oral, anal, solche Sachen.

Getrennte Toiletten

Das kann man amüsant finden. Oder okay, weil auch jede Currywurstbude so ein Papier vorlegen muss. Mit dem Unterschied, dass das neue Gesetz den Bordellen Auflagen erteilt, die sie vielfach nicht umsetzen können. So muss es fortan getrennte Toiletten für die Prostituierten und die Kunden geben. „Viele Kleinbordelle können allein aus Platzgründen keine zweite Toilette einbauen“, sagt Freymadl. Ebenso müssen die Sexeinrichtungen künftig feuerfeste Türen haben. Freymadl sagt: „Die können viele Sexarbeitende gar nicht bezahlen.“ Die Folge: Drei Viertel der kleinen Bordelle würden schließen müssen, schätzt die Domina.

Und dann ist da noch die Sache mit der Gesundheitsberatung, die das Gesetz zur Pflicht macht. Die sei komplett einseitig, klagt Freymadl: „Freier müssen sich nämlich nicht beraten lassen.“ Dahinter stecke eine abwertende Haltung gegenüber Prostituierten, sagt Freymadl: „Du dumme Nutte, du weißt nicht, was gut für dich ist.“

„Das Gesetz ist unfair“, findet auch Huschke Mau. Aber die Exprostituierte, die das Ausstiegsprojekt Sisters mitgegründet hat, steht auf der anderen Seite. Sie gehört zu den GegnerInnen der Prostitution und möchte, dass Sexarbeit verboten wird. „Prostitution ist Gewalt“, meint sie, „eine Frau hat Sex, obwohl sie es nicht will“.

Absicherung der Frauen und Männer

Mau glaubt, der Staat verbiete Prostitution deshalb nicht, weil er damit leicht Geld verdiene. Mit der Anmeldung würden viele Steuern eingenommen, aber für die Absicherung der Frauen und Männer werde nichts getan. So würden jene, die aussteigen wollen, nicht ohne Weiteres Hartz IV beziehen können. Das Sozialministerium widerspricht: Stimmt nicht.

Einzig die Pflicht zur Gesundheitsberatung hält Mau für „erprobenswert“: „Viele Frauen kennen ihre Rechte nicht und haben auch keinen Kontakt nach außen.“ Die Beratung sei eine Chance, ihnen etwa Kontakt zu Hilfsorganisationen zu verschaffen. Auch gegen Menschenhandel, der oft mit dem Sexgewerbe in Verbindung gebracht wird, werde nicht konsequent vorgegangen, findet Mau.

364 Fälle von Menschenhandel im Zusammenhang mit sexueller Ausbeutung hat das Bundeskriminalamt 2015 festgestellt. Mau sagt: „Die meisten Frauen werden nicht gefunden.“ Freymadl aber hat einen anderen Blick darauf: „Wenn Polizei und Justiz es nicht schaffen, Menschenhandel einzudämmen, wie soll denn ein einziges Gesetz das verhindern?“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Ich spreche hier nun auch aus eigener Erfahrung. Ich verteufle dieses Gesetz, da es Platz für Erpressung der Sexarbeiter/innen schafft.

    Ein Kunde von mir *outete sich als Polizist und meinte er wolle meinen Ausweis sehen und er arbeitet für das Kriminalamt, ermittle gerade gegen all diejenigen die ohne Bescheinigung arbeiten. Ich meinte dass es wohl noch eine Frist bis Ende Dezember gäbe, was er verneinte und anschließend einen mehrstelligen Betrag verlangte, um den angeblichen Eintrag als unangemeldete Prostituierte fallen zu lassen, und von einer Strafanzeige abzusehen.

     

    Hallo Hallo und Dankeschön für die Angst die mir das neue Gesetz nun beschert. Das ist meine Erste und einzig schlechte Erfahrung, seit meiner Arbeit als Escortlady.

  • Bei dieser Gesetzesverschärfung stellt sich vor allem die Frage, ob das auch für die Prostitution in den Kulturvereinen gilt, die bisher meist stillschweigend geduldet wurde.

     

    Es gab vor vielen Jahren mal einen vereinzelten Artikel darüber:

     

    "Türkische Cafés: Sex für fünf Euro" http://www.focus.de/panorama/welt/tuerkische-cafes-sex-fuer-fuenf-euro_aid_318742.html

     

    Wenn dieser Service weg fiele, würde das vielen Menschen die Lebensgrundlage nehmen, nicht nur den Prostituierten sondern auch den Betreibern der Kulturvereine.

  • Zitat:

     

    Manche Hartz-IV-Beziehende können die Lebenskosten nicht bezahlen und verkaufen deshalb ihren Körper.

    http://www.gegen-hartz.de/hartz-4-ratgeber/hartz-iv-und-prostitution.php

     

    Die Gesellschaft muss jeder Frau helfen, eine andere Arbeit zu bekommen oder diese Arbeit aufzugeben, wenn die jeweilige Frau diesen "Beruf" nur ungern oder gezwungenermaßen o. Ä. ausübt!

  • Meiner Meinung nach sollte Arbeit ja generell verboten werden. Menschen tun etwas, was sie nicht wollen, das ist Gewalt.

    • @Sigma:

      Nun zieren Sie sich mal nicht so! „Arbeit adelt“ - wenn auch nicht unbedingt die Arbeitenden.

  • Mal so ganz frei nach Peter Tauber: "Die hätten ja auch etwas vernünftiges lernen können."

    Zum Artikel: Der Artikel beschäftigt sich mehr mit erfahrenen Prostituierten. Diese beklagen, dass das Gesetz zu hohe Auflagen hat und evtl. einige Dienstleistungsbetriebe geschlossen werden müssen. -Hilfe, ein Puff wird geschlossen- Da kenne ich schlimmere Nachrichten. Die Frauen, die jungen Mädchen, die eigentlich geschützt werden müssen, die horrende Vielzahl an osteuropäischen Mädchen wird so gut wie garnicht thematisiert. Hier hilft wahrscheinlich nur rigoroser Polizeizugriff vor Ort und eine Gesetzeslage, die den Zuhältern sofort den Garaus macht. Weniger zimperlich den Ludden gegenüber sein. Gruß aus HH St.Georg

  • Der Umsatz der Branche bewegt sich wohl eher beim 1000x-fachen, drei cent pro Dienstleistung wären auch kaum angebracht :)

    • @Anonymer Ratgeber:

      Killroy zählt mit.

  • 8G
    89318 (Profil gelöscht)

    Liebe Autorin, bitte verbessern sie:

    "Laut Schätzungen soll es zwischen 400.000 und 1.000.000 Sexarbeitende in Deutschland geben und täglich 1,2 Millionen Freier. Den Jahresumsatz der Branche beziffert das Statistische Bundesamt auf 14,6 Millionen Euro."

     

    Sind sie sicher das es 14,6 Millionen Euro "Umsatz" im ganzen Jahr sind? Bei 1,2 Millionen Freier am TAG?

  • So ein Gesetz bekommt nur Deutschland hin.Letztendlich soll halt alles und jeder kontrolliert werden.

    • 7G
      73176 (Profil gelöscht)
      @Voilodion:

      Bei Mietpreisbremse, Mindestlohn, etc beschweren Sie sich aber wahrscheinlich nicht, oder?!

      • @73176 (Profil gelöscht):

        Mietpreisbremse funktioniert ja auch nicht, Mindestlohn kann auch immer noch so unterschritten werden, dass es keiner merkt.

         

        Doch, da beschwere ich mich auch.

  • Die statistischen Angaben in Ihrem Artikel können so nicht stimmen. Ich denke das sind eher 14,6 Milliarden Euro?