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Gregor Gysi über Europapolitik„Nationalstaat ist reaktionär“

Er will die EU reformieren, nicht abschaffen. In Richtung Bundestagswahl sagt Gregor Gysi: Nur wer Kompromisse eingehe, sei auch demokratiefähig.

Überzeugter Linker, überzeugter Europäer: Gregor Gysi Foto: dpa
Anna Lehmann
Interview von Anna Lehmann

taz: Warum muss die Linkspartei ihr Verhältnis zu Europa klären?

Gregor Gysi: Das ist notwendig, weil die EU in einer tiefen Krise steckt. Es gibt theoretisch zwei Optionen: zurück zum alten Nationalstaat oder offensiv nach vorn gehen und die Europäische Union neu und anders gestalten.

Ein Zurück kommt für Sie nicht in Frage?

Ich meine, dass ein Zurück reaktionär ist. Also müssen wir den anderen Weg gehen. Und dazu muss sich die Partei hoffentlich mit großer Mehrheit bekennen. In zwei Jahren haben wir Europawahlen. Und insofern ist es auch wichtig, mit welchem Programm wir in die Bundestagswahl ziehen.

Die Linke ist sich einig in ihrer Kritik und uneinig in der Schlussfolgerung: Schafft man die EU ab oder reformiert man sie?

Der europäische Integrationsprozess ist ursprünglich eine linke Idee. Das müssen wir unbedingt aufrechterhalten. Und nur weil die EU jetzt in einer tiefen Krise ist – unsolidarisch, unsozial, undemokratisch, ökologisch nicht nachhaltig, intransparent, bürokratisch, militärisch –, heißt das doch nicht, dass wir zu alten Verhältnissen zurückkehren. Dieser berühmte Satz „Früher war alles besser“ ist Quatsch. Es gibt Dinge, die wir begrüßen können, und Dinge, die wir scharf zu kritisieren ­haben.

Die Kritik überwiegt in der Linkspartei. Warum sollen sich die Genossen dennoch zur EU bekennen?

Wir haben keine funktionierende Weltpolitik, aber eine globalisierte Weltwirtschaft. Wenn wir sagen, wir gehen zurück zum alten Nationalstaat, aber die Wirtschaft bleibt global, schwächen wir alle politischen Mittel.

Diese Position ist gefährlich?

Ich halte sie für falsch. Es ist eine rechte Position.

Die Debatte zwischen EU-Gegnern und -Befürwortern schwelt in der Linkspartei schon seit Jahren. Wieso kommt man nicht voran?

Vielleicht, weil es manchen leichter erscheint, das nationalstaatlich hinzubekommen als europäisch. Ich halte das für einen schweren Irrtum. Ich bin nicht in die Politik gegangen, um es leicht zu haben. Wenn ich das gewollt hätte, wäre ich nicht in der PDS oder in der Linken organisiert. Vielleicht hängt es auch mit unterschiedlichen familiären Ansätzen zusammen. Ohne Frankreich hätte meine Großmutter nie überlebt. Im Kern muss man begreifen: Die Linke hat internationalistisch zu sein.

Im Interview: Gregor Gysi

geboren 1948, ist Bundestagsabgeordneter und war bis 2015 Fraktionschef der Linken im Bundestag. Gysi ist Präsident der Europäischen Linken. Der Jurist gehörte ab 1967 der SED an und trieb die Reform der DDR-Staatspartei voran.

Wie proeuropäisch sollte die Partei im Bundestagswahlkampf auftreten?

Sie muss den Zustand der EU deutlich kritisieren und dann sagen, wie sie sich eine bessere EU vorstellt und warum wir sie schon im Interesse der europäischen Jugend retten müssen. Wir müssen außerdem das Gegenüber zur Rechtsentwicklung werden. Dann nimmt uns auch die Mitte wahr und sagt: Ohne die Linke geht es nicht.

Wie kompromissfähig muss die Linke sein?

Wer nicht kompromissfähig ist, ist nicht demokratiefähig, und wer zu viele Kompromisse macht, gibt seine Identität auf. Die Schritte müssen alle in die richtige Richtung gehen, sie können aber kürzer als von uns vorgestellt sein.

Was kann sich die Linkspartei nicht leisten?

Wenn wir an einem Krieg teilnähmen, wenn wir mehr prekäre Beschäftigung oder den Niedriglohnsektor ausbauten oder keine Gleichstellung der Renten in Ost und West erreichten, könnten wir uns vergessen. Wenn wir einiges nicht ganz beseitigen, aber wenigstens halbieren, ist es ein Schritt in die richtige Richtung.

Ist Rot-Rot-Grün tot?

Es ist zu früh, um das zu sagen. Im Augenblick bin ich auch eher pessimistisch, aber bis Ende September vergeht noch viel Zeit.

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6 Kommentare

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  • Es ist schade, dass Gysi hier die Gegenposition so unsachlich schlecht macht: Ein 'Nein' zur EU ist keine zwingend reaktionäre oder rechte Position, genauso wie ein 'Ja' keine zwingend linke Position ist.

    Da kann und sollte man differenzierter analysieren.

     

    Man könnte bspw. versuchen, die EU zu verbessern, denn so lange in Deutschland die Politik nicht so progressiv ist, dass sie an den Grenzen der EU-Politik stößt, sind das erstmal ungelegte Eier.Dann kann man immer noch den Austritt forcieren.

    • @pitpit pat:

      Wie meinen?

  • "Gregor Gysi über Europapolitik"

     

    - "Der europäische Integrationsprozess ist ursprünglich eine linke Idee."

     

    Für - und das war das Thema der taz-Frage - die EU hat das wohl eher weniger gegolten, ebensowenig für Vorgängerorganisationen wie Montanunion und EWG, das ist doch auch G. klar. Was meint er also mit "europäischem Integrationsprozess", was mit "linker Idee"?

     

    - Gysis Partei will die EU "im Interesse der europäischen Jugend retten."

     

    Was will der selbstlose Freund der Jugend wohl mit dieser pathetischen Aussage sagen, was ist das "Interesse der europäischen Jugend", was ist "retten"?

     

    - "Ich bin nicht in die Politik gegangen, um es leicht zu haben."

     

    Ist G 1967 etwa nicht wie viele andere in die SED eingetreten, "um es leicht zu haben", und was war angeblich so schwer daran, wie viele seiner Parteigenossen einfach in allen SED-Nachfolgeorganisationen organisiert zu bleiben?

     

    - "Der Jurist gehörte ab 1967 der SED an und trieb die Reform der DDR-Staatspartei voran."

     

    So schreibt die taz. Ab wann und mit welchem Interesse war der unerschrockene Reformator G. denn in dieser Richtung aktiv?

  • Zu allererst ist die EU reaktionär

    Die Alternative zur EU ist auch nicht ein Nationalstaat sondern ein demokratisches Europa. Allerdings kann es dafür eben auch nötig sein eine EU die unrettbar undemokratisch und kapitalistisch ist loszuwerden bevor man sie durch ein einiges Europa der Menschen ersetzen kann.

    Aber Gysi zeigt damit mal wieder das er vor allem eins will: auf die Regierungsbank und die Linke an den Parteienmainstrem der Herrschenden angliedern

    • @Oskar:

      Mit Verlaub -

       

      Beim Tönen immer schön drauf achten -

      Daß das Glas nicht zerspringt - gell!

  • Das Problem an der EU ist, dass diese praktisch unreformierbar ist. Denn hin zu einer sozialdemokratischen EU müssten der EU-Rat, die EU-Kommission und sonstige nicht direkt wählbare Institutionen ersatzlos gestrichen werden. Und keiner von den aktuellen Personen (und vermutlich auch nicht zukünftigen) die dort an den Futtertrögen der Macht sitzen werden sich davon freiwillig distanzieren.