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Forderung der NaturschutzverbändeNeue Hürde für Wolfsabschuss

Viele Wölfe, die sich nicht von Menschen fernhalten, werden erschossen. Naturschützer fordern, dass vorher eine Beratungsstelle befragt wird.

Der Wolf seit seiner Neuansiedlung in Deutschland nicht nur Freunde Foto: dpa

Berlin taz | Der Naturschutzbund (Nabu) und der Internationale Tierschutzfonds (IFAW) fordern eine weitere Hürde für den Abschuss von Problemwölfen. Die Behörden müssten „in jede Einzelentscheidung zum Umgang mit auffälligen oder problematischen Wölfen“ die für das Thema zuständige Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes einbinden, verlangen die Organisationen in einem offenen Brief an die Umweltminister der Länder. Die Behörden müssten die Bevölkerung stärker darüber aufklären, dass Wölfe nicht gefüttert werden dürfen, damit sie nicht die Nähe von Menschen suchen.

Als auffällig gelten zum Beispiel Wölfe, die sich mehrmals Menschen genähert haben und später möglicherweise angreifen. Laut dem in der Diskussion führenden Norwegischen Institut für Naturforschung sind im 20. Jahrhundert in Europa, Indien, Russland/Sowjet­union und Nordamerika bei mindestens 534 Angriffen 446 Menschen ums Leben gekommen. In Deutschland starb der Wolf schon vor etwa 150 Jahren aus, ist aber im Jahr 2000 wieder zurückgekehrt. Seitdem wächst der Bestand der nun streng geschützten Art.

Bisher haben die Behörden die Tötung von 3 Problemwölfen genehmigt. Nur einer konnte erlegt werden: Vor fast genau einem Jahr wurde in Niedersachsen der „MT6“ genannte Rüde geschossen. Er war mehrmals Fußgängern sehr nahe gekommen, mindestens einmal biss er einen Hund.

Zum Abschuss freigegeben, aber verschwunden

Der Brandenburger Wolf, der ein Mädchen beschnuppert hatte, tauchte nicht wieder auf, nachdem er vergangenen Dezember zur Tötung freigegeben worden war. Auch das Tier in Sachsen, das laut Behörden von November bis Februar mehr als 50-mal an oder in Ortschaften und davon 24-mal auf bebauten Grundstücken oder in Hofräumen gesichtet worden war, verschwand.

Für den Abschuss von MT6 äußerten Nabu und IFAW Verständnis – auch weil die Bundesberatungsstelle zum Thema Wolf die Tötung empfohlen hatte. Der Nabu billigte auch die Brandenburger Entscheidung, in die zwar nicht die Bundesstelle, aber der Verband einbezogen worden war.

Die sächsische Abschussfreigabe dagegen kritisierten die Naturschützer als „politisch motiviert“. Es gebe keine „akute Gefahr“. Die Sachsen hatten sich nicht an die Bundesberatungsstelle gewandt. „Die zuständige Behörde hat aber sehr wohl eine gutachterliche Stellungnahme des Lupus Instituts für Wolfsmonitoring- und Wolfsforschung eingeholt“, sagte der Sprecher des CDU-geführten Umweltministeriums in Dresden, Frank Meyer, der taz. Lupus sei Bestandteil der Bundesberatungsstelle. Er wollte sich nicht festlegen, ob Sachsen in zukünftigen Fällen das Gremium konsultieren wird.

Kritik an „bürokratischer Hürde“

Das SPD-Umweltministeri­um in Brandenburg erklärte, der „Umweg über eine ‚Zentralstelle‘ ist auch deshalb nicht immer erforderlich, weil wir im Land durchaus über erfahrene Wolfsexperten verfügen“. Zudem müsse oft sehr schnell entschieden werden. Das niedersächsische Ministerium ließ eine Anfrage der taz bis Redak­tionsschluss unbeantwortet.

Die ökologisch orientierte Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft in Bremen und Niedersachsen dagegen kritisierte, die Einschaltung der Beratungsstelle sei eine „neue bürokratische Hürde“. Sie würde es erschweren, den hiesigen Wölfen ihre eigentlich artgemäße Scheu vor Menschen wieder beizubringen, etwa mit Gummikugeln oder Abschüssen. Das auch vom Nabu zitierte Norwegische Institut für Naturforschung schreibt, eine „sorgfältig regulierte Bejagung“ könne in bestimmten Situationen nützlich sein, um die Scheu der Tiere zu erhalten.

Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, bezweifelte, dass die Beratungsstelle „die nötige Akzeptanz“ in der Gesellschaft habe: „Der Gründungsfehler dieses Zentrums ist, dass es nur für Artenschutz zuständig ist.“ Bisher sind an der Beratungsstelle nur Biologen, Wildtierforscher und Genetiker beteiligt. Tackmann forderte eine Bundeseinrichtung, die sich auch um den Schutz von Nutztieren vor Wölfen kümmert.

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8 Kommentare

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  • Warum, lieber Jost Maurin, zitieren Sie die, übrigens 15 Jahre alte, norwegische Studie aus dem Jahr 2002 (https://www.nrw-wolf.de/die-nina-studie-2002/) mit dort in keiner Weise nachvollziehbaren Zahlen. – Ich zitiere aus der richtigen Zusammenfassung, wie sie der Spiegel lieferte (http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/verhaltensforschung-woelfe-verraten-natur-des-menschen-a-855853.html): „Immer wieder, wenn auch äußerst selten, haben sich Wölfe Menschen schmecken lassen - auch wenn die eigentlich nicht ins Beuteschema passen. Als derzeit zuverlässigste Sammlung von Todesfällen gilt eine im Januar 2002 veröffentlichte Studie des Norwegischen Instituts für Naturforschung (Nina). 18 Fachleute haben Berichte über Wolfsangriffe aus mehreren Jahrhunderten zusammengetragen. Der älteste datiert aus dem Jahr 1557, der jüngste ereignete sich 2001.

    Viele hundert Todesfälle haben die Forscher weltweit gezählt. Allerdings zeigte sich auch ein dramatischer Rückgang im 20. Jahrhundert. In Europa konnten die Experten in den vergangenen 50 Jahren nur noch vier Fälle nachweisen, in denen Menschen von nicht-tollwütigen Wölfen getötet wurden. In Russland habe man ebenfalls vier, in Amerika keinen Fall finden können. Und das, obwohl zu Anfang des Jahrtausends 10.000 bis 20.000 Wölfe in Europa, 40.000 in Russland und 60.000 in Nordamerika gelebt hätten.“

    • 2G
      25726 (Profil gelöscht)
      @Anselm K.:

      "Allerdings zeigte sich auch ein dramatischer Rückgang im 20. Jahrhundert."

       

      Natürlich kann man es sich einfach machen und den vermeintlich festgestellten "Rückgang" auf die weitgehende Verdrängung/Ausrottung zurückführen.

       

      Aber die Frage, wie verlässlich Berichte aus vergangenen Jahrhunderten überhaupt seien können, als Wildtierforschung nicht mal im Ansatz existierte, an deren Erhebungen ein Vergleich ermöglicht und damit ein Rückgang oder auch eine Zunahme von tödlichen Attacken hätte festgemacht werden können, scheint sich niemand zu stellen. Herr Maurin schon gar nicht. Er zitiert dann sinnlose Sätze wie:

       

      "The evidence now clearly points to the fact that both rabid and non-rabid wolves have killed many people during the centuries."

       

      und glaubt damit den wissenschaftlichen Nachweis der Berechtigung seiner Angstneurose erbracht zu haben.

  • Jost Maurin , Autor des Artikels, Redakteur für Wirtschaft und Umwelt

    John D. C. Linnell and Julien Alleau: Predators That Kill Humans: Myth, Reality,

    Context and the Politics of Wolf Attacks

    on People, 2016:

    "The evidence now clearly points to the fact that both rabid and non-rabid wolves have killed many people during the centuries."

  • Wenn man schon in Indien nach angeblichen Todesfällen suchen muss. In einem Land in dem immer noch weibliche Säuglinge ausgesetzt werden. Aber wie wir es von Herrn Maurin kennen gehts ja primär ums Bangemachen. Übrigens Tollwut die Caniden gefährlich machen könnte gibt es bei uns schon lange nicht mehr.

    In unser Facebookgruppe "Schützt die Wölfe" warten wir weiter auf einen guten TAZ-Artikel zum Thema Wolf.

  • Gibt es beim laut Herrn Maurin "Führendem Institut" auch eine Aussage, wie viele Wölfe Tollwut hatten?

     

    Und wie viele der angegriffenen Menschen an Tollwut starben? (Nicht zerfleischt wurden, wie es das Zitat impliziert)

     

    Liest man sich den Artikel in Wikipedia zu von Wölfen angefallenen Menschen (und unterhält sich mit Wolfsexperten) durch so kommt man zum Urteil, dass der Wolf keine Gefahr für Menschen in Mitteleuropa ist. Todesfälle durch Weiderinder (Mit Jungvieh und Wanderern mit Hunden etc.) sind wesentlich häufiger.

     

    Sollte die TAZ nicht endlich jemand über den Wolf berichten lassen, der nicht seine kindlichen (elterlichen?)Urängste über die Ratio stellt?

  • Es soll etwas erschossen werden, das "möglicherweise" vieleicht, irgendwann einmal einen Menschen angreifen könnte....

    wenn man diese Idee mal weiterdenkt....

  • Dennoch leugne ich nicht, dass der Wolf ein Raubtier ist, nicht unterschätzt werden sollte und von den Städten möglichst (aus eigenem Interesse!!!) fern gehalten werden sollte. Dazu trägt sicher auch der ein oder andere Hunde-Hasser mit seinem Verteilen von Giftködern an Wald- und Feldrändern bei.

    Für einen Journalisten aus dem Ressort "Ökologie" erlauben Sie mir aber abschließend das Urteil: Durchgefallen!

    Mein Tipp: Weniger blutrünstige und Angst schürende "Special Effects", mehr überregionale Auseinandersetzung mit dem Thema, inkl. Verhaltensempfehlungen von Experten.

    Freue mich dann auf kommende, mit wirklich "gesundem Menschenverstand" verfasste Artikel.

    Fest steht: Für so einen Artikel zahel ich kein Geld...

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    Rotkäppchen und der böse Wolf...