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Analyse zur Wahl in FrankreichDas Prinzip Macron

Die erste Runde der Präsidentschaftswahl hat Emmanuel Macron gewonnen. Was macht ihn so erfolgreich? Und reicht es gegen Le Pen?

Vor allem junge Franzosen jubeln Macron zu Foto: ap

Paris taz | Er, der am Sonntagabend aus dem Stand den größten Scherbenhaufen angerichtet hat, den die 5. Republik je gesehen hat, er hat seine Zelte im 15. Arrondissement von Paris aufgeschlagen. Am rechten Ufer der Seine residiert in einem hässlich verspiegelten Siebzigerjahrebau auf 1.000 Quadratmeter das Hauptquartier von Emmanuel Macron und seiner Bewegung En Marche! (EM).

Das Fünfzehnte, wie die Pariser sagen, und Macron, das passt: Hier funktioniert die Metropole, jeder und jede Zweite sieht hier aus wie der perfekte Schwiegersohn oder wahlweise die perfekte Schwiegertochter, die alles richtig gemacht haben. Was auch für Macron zutrifft, zumindest in diesen Start-up-Zeiten à la française, in denen das traditionelle Links-rechts-Parteienschema sich vorerst aufgelöst hat.



Aus dem Stand hat der 39-jährige parteilose Exwirtschaftsminister des abservierten François Hollande die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen für sich entschieden. Seine Bewegung En Marche! hat sich erst im April letzten Jahres gegründet und zählt mittlerweile über 260.000 Mitglieder. Macron selbst will sie als „progressive soziale Bewegung“ verstanden wissen – mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder sind unter 35 Jahre alt. Was also hat es mit der „Sensation Macron“ auf sich, wie am Montag querbeet in Frankreich die Medien titelten?


„Er ist durch ein kleines Mauseloch gekommen, das sich ihm geboten hat, er ist der Mann des Moments. Doch zu reüssieren wird extrem schwer für ihn, wenn er denn wirklich Präsident wird“, prognostiziert Yves Delatre, der einen Buchladen für Gesellschaftswissenschaften betreibt nahe dem Hauptquartier von En Marche!. Delatre hat Macron gewählt, aber, sagt er, zu groß würden in Zukunft die Widerstände besonders auf Seiten der mächtigen Gewerkschaften werden, zu groß seien die Erwartungen der Fans. „Politik ist kein Fußballspiel, aber Ma­cron geht es zurzeit genauso an.“ Seine gesamte Kampagne habe er auf sein Team und vor allem auf sein Projekt, den geplanten zackigen, sozialliberalen Umbau Frankreichs, zugeschnitten. „Oder sagen wir eher: neoliberal.“

Nicht so steril wie bei den anderen Parteien



Guillaume Gendron nickt. Der junge Politikredakteur bei Libération ist in diesem Wahlkampf dort einer von zwei für Macron zuständigen Journalisten. „Ma­cron, das ist die smarte Kontinuität nach François Hollande, auch wenn sich viele Wähler jetzt vielleicht andere Hoffnungen machen.“ Angesichts der drei weiteren schwierigen bis desolaten Hauptkandidaten der ersten Runde sei es aber nicht verwunderlich, „dass Macron es erst mal gewuppt hat“.

Der Exbankier und in Ungnade gefallene Expolitliebling von Hollande sei „5. Republik pur“, egal wie modern und europaaffin sein Diskurs auch daherkomme. „Macron inszeniert sich als der Retter der Franzosen, ähnlich wie de Gaulle in den 1950er Jahren.“ Auch wenn er immer wieder herausstelle, dass er ganz Frankreich brauche für den gesellschaftlichen Auf- und Umbruch: „Im Mittelpunkt steht immer das Produkt Macron.“



Er geht auf die Bühne, gibt seiner Frau Brigitte ein Küsschen und erwähnt den Front Nationalmit keinem Wort

Guillaume Gendron von „Libération“

Den Eindruck erweckte auch die Wahlparty des Kandidaten am Sonntag im Messezentrum an der Pariser Porte de Versailles. 
Rund 2.000 Menschen waren da, und mindestens ebenso viele Frankreich- und Europaflaggen, die es gratis gab am Eingang für das zahlreich hineinströmende Publikum. Jung in der Mehrheit, sehr jung, über die Hälfte hier waren unter 30 Jahre, viele Erstwähler. „Ich bin zwar erst 21“, so Marie Dubois, Erasmus-Studentin in Barcelona und extra für die Wahl nach Paris gekommen, „aber das hier ist gerade ein Schlüsselmoment für die nähere Zukunft Frankreichs. Und ich will, dass er positiv ausgeht. Für Europa und für Frankreich.“



Die Halle inklusive ihres Publikums verströmte das Flair eines Riesen-Start-ups. Journalisten bekamen Nüsschen und Biotee, die Macron-Fans helle Stoffbeutel mit der Aufschrift „EM!“ oder „Emmanuel Ma­cron président“ in die Hand gedrückt. „S, M, oder L beim T-Shirt, rosa, hellblau, grau oder gelb?“, fragte einen die charmante junge Dame im styli­shen dreiviertellangen Plisséerock – „ist gratis.“ Obendrauf die Flaggen und fast unheimlich gute Laune, „En Marche!“-Feeling eben, los geht’s. Man wähnte sich irgendwo, will man den Vergleich ziehen, zwischen Junger Union, Freiburger Grünen und Jungen Liberalen – allesamt in ihren Startblöcken mit den Hufen scharrend. Es gehe eben nicht so „steril“ zu wie bei den beiden großen alten Parteien – „70 Prozent unserer Mitglieder waren vorher nicht irgendwo anders organisiert“, so 
Sandrine Cossé, 51, Yogalehrerin und eine der zahlreichen aktiven Unterstützerinnen während der Wahlkampagne Macrons.

Bewusst nicht gegen Le Pen

Die orientierte sich einerseits an den Kampagnen von Hillary Clinton und Bernie Sanders in den USA und kam andererseits leicht verständlich und sympathisch hausgemacht rüber.



Auffällig am Wahlabend und auch am Montag: Macron positioniert sich bewusst nicht gegen Marine Le Pen, seine Konkurrentin im zweiten Wahlgang, sondern stets nur für sein Projekt. Das machte seinen Diskurs, seine rund zehnminütige Rede am Sonntag an „meine lieben Landsleute“ seltsam oberflächlich, ja platt. Guillaume Gendron von Libération: „Er geht auf die Bühne, gibt seiner Frau Brigitte ein Küsschen und erwähnt die Bedrohung durch den Front National mit keinem Wort.“ Wie eine Art „Verkaufsveranstaltung“ kam Gendron der Auftritt vor – Konkurrenten lasse man eben einfach unter den Tisch fallen, „egal, wie ernst die Lage ist“. Das habe es etwa 2002, wo die Wahl auf Jacques Chirac und Jean-Marie Le Pen in der ersten Runde gefallen war, nicht gegeben. „Chirac machte keine Party, er beschwor stattdessen den Zusammenhalt gegen den Front.“


Ob Macron es wirklich schafft in knapp zwei Wochen, am 7. Mai? Einige Meinungsforscher in Frankreich warnen bereits vor einem „Brexit-Trump-Remake“. Wirklich entschieden sei noch nichts, auch wenn immer davon die Rede ist, dass es Marine Le Pen niemals gelingen werde, mehr als höchstens 35 Prozent der WählerInnen für sich zu gewinnen.


Für die Parlamentswahlen im Juni will En Marche! in jedem Fall für alle 577 französischen Wahlkreise eigene Kandidaten aufstellen. Erst 14 BewerberInnen sind bis jetzt in der Öffentlichkeit bekannt – ein sportliches Unterfangen, zumal Macron versprochen hat, dass 50 Prozent der KandidatInnen aus der Zivilgesellschaft kommen und keine politische Vorvergangenheit haben sollen. Außerdem sollen die Hälfte Frauen seien, was bei der weiblichen Unterrepräsentation in der französischen Politik auf die Schnelle kein leichtes Unterfangen sein dürfte.

Es bleibt spannend

Mindestens 150 bis 200 Sitze braucht En Marche! in der Nationalversammlung. Sonst wird es extrem schwierig für Emmanuel Macron, ohne ständige politische Turbulenzen sein Projekt des neuen Frankreichs in Angriff zu nehmen beziehungsweise sein Produkt weiter erfolgreich unter die Wähler bringen zu können. „Wir müssen überzeugen und uns zusammenraufen, sonst wird dieser erste Sieg Macrons auf ständige Zerwürfnisse in der Zukunft hinauslaufen“, sagte am Montag die Macron-Überläuferin Marie-Anne Montchamp, eine frühere republikanische Staatssekretärin.

Und der mit allen Wassern gewaschene Sozialist Manuel Valls, der die Vorwahlen gegen Benoît Hamond verloren hatte und sich jetzt ebenfalls für Macron ausgesprochen hat, vermeldete unlängst im Pariser Radio schneidig gleich 70 derzeitige sozialistische Abgeordnete der Nationalversammlung, die sich für En Marche! in die Bresche schlagen würden.
 Auf geht’s! Es bleibt spannend im Hexagon.

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8 Kommentare

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  • Macron ist weder rechts noch links ? Auf jeden Fall oben

     

    François Bayrou, Präsident der Mitte-Rechts-Partei MoDeM, charakterisiert noch im September 2016 gegenüber BFM.TV Macron als Kandidaten der Noblesse financière: „Hinter Emmanuel Macron stehen große Finanzinteressen, die unvereinbar sind mit der für diese politische Funktion erforderliche Unparteilichkeit. Wir haben es hier mit einem Versuch zu tun, wie er schon mehrfach von verschieden Finanz- und anderen Interessengruppen unternommen wurde, die sich nicht damit begnügen, im Besitz der wirtschaftliche Macht zu sein...“ („Derrière Emmanuel Macron il y a des grands intérêts financiers incompatibles avec l’impartialité exigée par la fonction politique . Il y a là une tentative qui a déjà été faite plusieurs fois par plusieurs grands intérêts financiers et autres, qui ne se contentent pas d’avoir le pouvoir économique.... „)

     

    Das hinderte Bayrou allerdings nicht daran, schon vor der ersten Runde rechtzeitig in das Macron-Lager überzulaufen, wohl auf ein Ministerpöstchen hoffend: Noblesse oblige...

  • 3G
    38057 (Profil gelöscht)

    So wie die Bewegung und Herr Macron beschrieben werden, hört es sich sehr nach Populismus an. Populismus gegen alle, die die schöne neue Welt kritisch sehen.

    • @38057 (Profil gelöscht):

      Zitat von @Stefan Pauli: „So wie die Bewegung und Herr Macron beschrieben werden, hört es sich sehr nach Populismus an. Populismus gegen alle, die die schöne neue Welt kritisch sehen.“

       

      Volle Zustimmung. Mit Macron als dem „Populisten der Mitte“ ist die Vermessung der politischen Landschaft abgeschlossen und dem letzten noch freibleibenden Terrain den zustehenden „Populisten“ zugewiesen. Die Classe politique sieht in Macron die Inkarnation der Europhilie und ist ganz aus dem Häuschen. Gegenstimmen sehen ihn v. a. als Kandidaten des Big Monney: „Hinter Emmanuel Macron stehen große Finanzinteressen, die unvereinbar sind mit der für dieses politische Amt erforderlichen Unparteilichkeit. Ein neuer Anlauf, wie er schon mehrfach von gewissen Finanz- und anderen Interessengruppen unternommen wurde, denen es nicht reicht, an der wirtschaftlichen Macht zu sein.“ Das ist keine Fake-News aus RT, sondern das Urteil von François Bayrou, dem Präsidenten der Mitte-Rechts-Partei MoDeM im BFM.TV. (inzwischen seinereits ins Macron-Lager übergelaufen.) Für Sarkozy ist Macron „zynisch. Ein bißchen Mann, ein bißchen Frau, wie das gerade Mode ist. Ein Zwitter."("Il est cynique. Un peu homme, un peu femme, c'est la mode du moment. Androgyne." (Le Point) Macron ist also ein bißchen dies und bißchen das - ein politischer Zwitter und demagogischer Populist der Mitte, wie das eben gerade Mode ist... 



  • Wenn man die Libération in den letzten Wochen las, dann gab es eigentlich nur die Diskussion, ob man Mélenchon oder Hamon wählen müsse. Für andere Richtungen gab es nur Misstrauen (Macron) und Häme (Fillon). Insofern ist der zitierte Libération-Redaktion wahrscheinlich absolut typisch. Was die Menschen an Macron gut finden, was die unendliche Lücke ist die En Marche füllt, dafür gibt es da keinerlei Verständnis. Das alle erinnert an die Zeit vor 1968, also die französischen Kommunisten, mit all ihren Gewerkschaften und Parteiapparaten, absolut nicht verstanden, was entstand und völlig den Kontakt zum Fortschritt verloren hatten.

  • Was wird aus einem vielleicht-vermutlichen Präsident E. Macron, wenn es in der im Juni neugewählten französischen Nationalversammlung mit einer eventuellen Mehrheit für Macron's Bewegung/Partei zu ernsten Konflikten kommt und der "Hurra-Optimismus" der neu gewählten und eher Politik unerfahrenen, aber von Macron begeisterten Abgeordneten nicht weiter hilft?

     

    Bricht dann das Bündnis auseinander, weil einige der "Hurra-Macron"-Abgeordneten wieder abspringen und sich in's Private zurück Ziehen?

     

    Politik ist das Bohren dicker Bretter, und mancher Bohrer ist daran auch schon gescheitert ... .

  • Mal sehen, wie die Begeisterung dieser jungen Menschen aussehen wird, wenn die Masse ihrer Jobs in Zukunft befristete sein werden - auch das gehört nämlich zu der modernen Arbeitswelt, wie sie Micron anpreist.

  • All das, was hier leicht süffisant ins leicht Lächerliche gezogen wird ist das was den Kandidaten Macron vom angestaubten Parteipolitischen von Links über Grün bis AFD unterscheidet.

    Ich hoffe, dass das ein Erfolg für die Jüngeren und gebildeten gegen das "Establishment" letztlich dem typischen Brexit Befürworter Dumpfbacken Angstmachern wird, und dem gilt meine ganze Sympathie.

    Bon chance!

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @Tom Farmer:

      Macron ist die coole Uberisation der Arbeitswelt, die Anschaffung der Lohnsklaverei durch unabhängige Jobber, die ihre Sozialversicherung, ihre Rente und ihren Urlaub selber bezahlt. Die ungebildeten, billigen Wein oder Bier trinkenden Unterschichtler werden alle zu Pizzaliferanten und Gepäckträgern, modernen Cybertagelöhnern. Macrons supercoole Welt mit dem eiskalten Vordamenzimmerlächeln.