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Katholisches Altenheim in HannoverPfleger sprechen von Betrug

In Hannover soll ein katholisches Altenheim geschlossen werden, obwohl die Pfleger jahrelang auf Lohnerhöhungen verzichteten, um es zu retten.

Dem katholischen Altenheim droht die Schließung. Foto: Christian Wyrwa

Hannover taz | Die Mitarbeiter des katholischen Pflegeheims Marienhaus in Hannover fühlen sich betrogen – „um Geld im Wert eines Kleinwagens“, sagt eine Altenpflegerin der taz, die anonym bleiben möchte. Die insgesamt 38 Mitarbeiter hatten 2009 zugestimmt, dass sie keine Lohnerhöhungen mehr bekommen und ab 2013 für drei Jahre auch auf Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichten.

Pro voller Stelle seien das 15.000 Euro. Der Betreiber Vinzenz-Verbund Hildesheim habe zugesichert, das gesparte Geld in die Zukunft des Pflegeheims zu investieren, sagt die Mitarbeiterin. Doch stattdessen hat der Vinzenz-Verbund nun vor, das Altenheim Ende September zu schließen.

„Die haben jetzt für nichts auf viel Geld verzichtet“, kritisiert der Gewerkschaftssekretär Thilo Jahn von Ver.di. Er unterstützt die Forderung der Altenpfleger, die einbehaltenen Entgelte zurückzubekommen.

Seit Jahren in der Kreide

Kirchliches Arbeitsrecht

In den Kirchen gilt im Arbeitsrecht der sogenannte dritte Weg. Löhne und Gehälter werden von einer arbeitsrechtlichen Kommission ausgehandelt.

Die Kommission ist mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetzt.

Streiks der Beschäftigten und Aussperrungen sind verboten.

Rechtliche Grundlage des dritten Weges ist das im Grundgesetz verankerte kirchliche Selbstbestimmungsrecht.

In einer Mitteilung des Betreibers vom Januar heißt es, das Haus schreibe „seit Jahren rote Zahlen“. Zwar habe man durch die Tarifabsenkungen Zeit gewonnen, aber ein „langfristig kostendeckender Betrieb“ sei nicht möglich. Grund sei „der hohe Sanierungsbedarf der mehr als hundert Jahre alten Immobilie“.

Das Haus im schicken Zooviertel von Hannover wurde bereits 1911 von der Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul in Hildesheim erbaut, zu dem heute der Vinzenz-Verbund gehört. Seit 1948 ist es ein Altenheim.

„Wir geben unsere Einrichtung nicht leichtfertig auf“, sagt die Generaloberin der Vinzentinerinnen, Schwester M. Teresa Slaby. Über die Vorwürfe sei sie erschrocken. In den kommenden Jahren seien Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe nötig, um den Anforderungen an ein modernes Altenheim gerecht zu werden. „Das ist aus den Erlösen des Altenpflegebetriebs nicht refinanzierbar“, sagt Slaby. Und um die Lohnkürzungen zurückzuerstatten, fehlten „die finanziellen Mittel“.

Saniert wurde nichts

Die langjährige Mitarbeiterin des Heims ärgert das Sanierungs-Argument. Über Jahre habe es keinerlei Bauarbeiten am oder im Haus gegeben. „Und jetzt wollen sie uns weismachen, der Sanierungsstau sei nicht mehr zu beheben.“

Ein weiterer Kritikpunkt der Belegschaft ist der Zeitpunkt der Kündigungen. Die Vereinbarung, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Arbeitsrechtlichen Kommission (siehe Kasten) getroffen hatten, beinhaltete außer dem Lohnverzicht auch einen Kündigungsschutz, der allerdings zum 31. Dezember 2016 auslief. „Nur elf Tage später wurde die Mitarbeitervertretung über die bevorstehenden Kündigungen informiert“, sagt die Altenpflegerin.

Gewerkschaftssekretär Jahn kritisiert zudem die niedrig angesetzten Abfindungen. „Der Vinzenz-Verbund bietet nur ein Minimum“, sagt er. Als Richtwert stehe im Kündigungsschutzgesetz, dass Arbeitnehmern ein halber Monatslohn für jedes Jahr zustehe, das sie im Betrieb gearbeitet haben. Die Altenpfleger sollten aber nur 20 Prozent des Lohns bekommen, sagt Jahn. Der Ordensverband der Vinzentinerinnen äußert sich hierzu aufgrund laufender Sozialplanverhandlungen nicht.

Arbeitsbedingungen waren gut

Laut Jahn sei es für viele der Angestellten schwierig, einen Job mit ähnlichen Bedingungen zu finden. Denn im Gegensatz zu vielen privaten Betreibern habe der kirchliche Träger die Mitarbeiter nach Tarif bezahlt.

Die guten Arbeitsbedingungen seien auch der Grund gewesen, warum sich die Altenpfleger auf die Gehaltskürzungen eingelassen hätten, sagt die Mitarbeiterin. „Wir werden wohl alle neue Jobs finden“, sagt sie. Der Fachkräftemangel in der Pflegebranche ist groß. „Die Frage ist nur, unter welchen Bedingungen.“ Sie geht von Lohnunterschieden von bis zu 1.000 Euro aus.

Mit einer Unterschriftensammlung protestieren auch 120 Mitglieder der katholische St. Heinrich-Gemeinde, deren Kirche gegenüber des Heims steht, gegen die Schließung. Für die dementen oder bettlägerigen Bewohner sei ein Umzug nicht zumutbar, kritisiert Initiator Frank Janke.

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3 Kommentare

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  • Hmm, sieht nach lukrativer Immobilie aus. Damit lässt sich natürlich mehr Geld scheffeln als mit der Pflege alter Menschen. Braucht vielleicht der Bischof in Hildesheim neue goldene Wasserhähne?

  • Sauber über den Tisch gezogen. Und nach der Pleite? Weniger Arbeitslosengeld, weniger Rente, weniger Krankengeld! Leute ihr lasst euch immer wieder verarschen. Betriebswirte wissen wie man Beschäftigte elegant über den Tisch zieht.

  • Merke: Man darf Leuten nicht entgegenkommen, von denen man genau weiß, dass sie jedes eventuelle Zugeständnis ausschließlich für die eignen Zwecke nutzen werden. Die Frage ist nun bloß noch: Will man es genau wissen, oder doch eher nicht?

     

    Früher war nicht nur viel mehr Lametta, sondern auch mehr Klassenbewusstsein. Da haben zumindest die gewählten Vertreter der arbeitenden Klasse noch gewusst (und laut davon geredet), dass ihre "Schäfchen" Produktionsmittel sind, die der Gewinnerwirtschaftung zu dienen haben - und Arbeit geben, statt sie nur zu nehmen. (Welcher Kapitalist wollte schon gerne selber schuften?)

     

    Heute ist alles anders. Heute wird erwartet, dass jeder Unternehmer so etwas wie ein treusorgender Familienvater ist, der nur das Beste will für seine lieben Kleinen. Vor allem dann, wenn der „Papa“ ein integraler Teil der großen Kirchen ist. Leider haben auch die Kirchen in den letzten Jahrzehnte mühevoll gelernt, sich als Teil einer überaus weltlichen Wirtschaftsordnung zu begreifen. Die Kirchensteuern lassen spürbar nach, während die Kosten stetig steigen – und Andere (auch) mit Betreuung Geld verdienen. Nun sagen auch die Kirche plötzlich: „Ein langfristig kostendeckender Betrieb muss möglich werden“ – und tun dafür, was alle tun zu müssen meinen. Sie sparen an den Kosten, sprich: am Personal, das nur noch „Kostenfaktor“ ist und nicht mehr Mensch mit einem eignen Seelenleben.

     

    Die gute Nachricht ist: So langsam gehen uns die Inseln aus. Wir alle spüren, was Deregulierung meint und was der freie Markt uns kosten kann bzw. wird. Wir alle also könnten uns nun dazu eine eigne Meinung bilden.

     

    Ich schätze, das Bewusstsein wird bald wieder wachsen. Was, noch mal, war genau die Klasse und wozu zwingt sie ihre Angehörigen? Die Einen lassen ja den Anderen freiwillig gar keine andre Wahl. Dafür sind sie zu ängstlich – was kein Wunder ist. Wer nur arbeiten lässt, kann gar nicht wissen, was er selber leisten kann.