US-Raketenangriff in Syrien: Viel Schall und Rauch
Der US-Raketen trafen eine von Assads wichtigsten Basen. Was richteten sie an? Wie empört ist Russland wirklich?
US-Präsident Donald Trump hatte den Angriff als Vergeltung für den Chemiewaffenangriff gegen den syrischen Ort Chan Scheichun am vergangenen Dienstag angeordnet. Der Abschuss der Raketen erfolgte zur besten US-Sendezeit am Donnerstagabend. „Assad hat das Leben unschuldiger Männer, Frauen und Kinder abgewürgt“, erklärte er. „Es war ein langsamer und brutaler Tod für so viele. Sogar wunderschöne Babys wurden in diesem sehr barbarischen Angriff grausam ermordet. Kein Kind Gottes sollte je einen solchen Horror erleiden. Heute Abend habe ich einen gezielten Militärschlag auf den Flugplatz angeordnet, von dem aus der Chemieangriff startete.“
Von den sechs Militärflughafen unter Kontrolle des syrischen Assad-Regimes gilt Schayrat nach Angaben des Militärexperten Neil Hauer als „einer der größten und aktivsten“. Die Basis mit zwei Pisten und 40 befestigten Hangars ist das Hauptquartier einer syrischen Brigade sowie dreier Luftwaffenschwadrone; es sind auch 12 russische Militärhubschrauber samt Personal stationiert. Bis 2013 wurden dort auch chemische Kampfstoffe gelagert. Viele syrische und russische Luftangriffe auf Zivilisten sind von Schayrat aus geflogen worden.
Die US-Marschflugkörper zielten laut Pentagon auf „Flugzeuge, befestigte Hangars, Öl- und Logistiklager, Munitionsbunker, Luftabwehr und Radar“. Was sie anrichteten, ist unklar. Auf in sozialen Netzwerken verbreiteten Fotos waren mehrere verkohlte Flugzeuge zu sehen. Das syrische Staatsfernsehen zeigte eine von Geröll übersäte Flugpiste.
Die Freie Syrische Armee (FSA), wichtigste nichtislamistische Rebellengruppe, sprach von 14 zerstörten Flugzeugen und sagte, der Flugplatz sei nicht mehr benutzbar und es seien hochrangige Militärangehörige getötet worden, darunter der für Luftabwehr zuständige Brigadegeneral. Berichte, wonach die Basis zerstört sei, wurden später allerdings von allen Seiten relativiert.
Russen wurden offenbar vorab informiert
Bestätigt ist die Zerstörung von sechs MiG-23-Kampfflugzeugen, die sich in Reparatur befanden. Die anderen rund 30 syrischen Kampfjets und Bomber blieben entweder heil oder wurden rechtzeitig weggebracht, ebenso wie die russischen Kampfhubschrauber.
Das russische Militär, das Syriens Assad-Regime schützt, wurde offenbar vorab von den USA vor dem Angriff gewarnt, um eine direkte russisch-amerikanische Konfrontation zu vermeiden. Der größte Teil des Kampfgeräts in Schayrat konnte so in Sicherheit gebracht werden. Nach US-Angaben schaltete das russische Militär außerdem seine Luftabwehr ab, die im Hafen Latakia mit dem hochmodernen S-400-Raketenabwehrsystem – das erst 2011 entwickelt wurde – stationiert ist und selbst hoch fliegende Raketen abschießen kann. Nach russischen Militärangaben trafen zwar nur 23 der 59 US-Raketen ihr Ziel, aber es ist keine Rede von abgeschossenen oder abgefangenen Flugkörpern.
Die meisten Kommentatoren und US-Politiker gehen davon aus, dass dies ein isolierter Militärschlag war und nicht der Beginn eines US-Krieges gegen Assad in Syrien. Laut Analysten entsprach der Angriff ziemlich genau dem, was das US-Militär im Sommer 2013 als Vergeltung für die damaligen Chemiewaffenangriffe des syrischen Regimes ausgearbeitet hatte. Bei diesen waren östlich von Damaskus 1.400 Menschen umgekommen. Barack Obama zuckte schließlich zurück. Donald Trump nicht.
Ob das jetzt zu einer Eskalation führt, hängt von den Reaktionen ab. Trump hat den syrischen Tisch umgestoßen und alle, die daran vor sich hin dösten, sind aufgeschreckt und überlegen sich, was das zerbrochene Porzellan für sie bedeutet.
Die westliche Welt hat den Militärschlag vorsichtig abgenickt. Es lässt sich auch kaum dagegen argumentieren, dass auf einen Giftgasangriff reagiert wurde. In Europa hofft man jetzt, dass das den Beginn eines Friedensprozesses in Syrien darstellen könnte, seien Assad doch endlich einmal seine Grenzen aufgezeigt worden.
„Initialzündung für eine produktive Lösung“
So äußerte der außenpolitische Sprecher der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Elmar Brok, einerseits Besorgnis: „Wenn Moskau jetzt auf den amerikanischen Angriff militärisch reagiert und dieses wiederum Reaktionen auf amerikanischer Seite auslöst, kann dies zu einer Eskalation zwischen zwei Atommächten führen, die sich schnell hochschaukelt und unkontrollierbar werden könnte.“
Der US-Angriff könne aber auch eine „Initialzündung für eine produktive Lösung“ im Syrienkrieg darstellen, so Brok weiter: „Um weitere Konfrontationen zu vermeiden, könnte Russland den Angriff als Signal verstehen, sich als Konfliktpartei in Syrien zurückzuziehen und die faktische Blockade der Genfer Friedensgespräche endlich aufzugeben.“ Dadurch würde Europa eine wichtige Mittlerrolle übernehmen.
Die erste Reaktion Syriens kam am Vormittag. Ein Militärsprecher erklärte, dass sich die USA zum Partner der Dschihadisten gemacht hätten. So weit, so absehbar: Das syrische Regime bellt – aber es weiß genau, dass es nicht beißen kann. Das muss es seinen Verbündeten Russland und Iran überlassen.
„Eine Aggression gegen einen souveränen Staat“
Kremlsprecher Dmitri Peskow nannte den US-Militärschlag in Moskau „eine Aggression gegen einen souveränen Staat, gegen das Völkerrecht, dazu noch unter einem erdachten Vorwand.“ Die syrische Armee habe „keine Chemiewaffen mehr“. In einer ersten Reaktion setzte die Regierung Putin eine aus dem Oktober 2015 stammende Vereinbarung mit dem US-Militär aus, nach der sich beide Großmächte vorab gegenseitig über Militärflüge über Syrien verständigen, um Kollisionen zwischen ihren Flugzeugen zu vermeiden.
Iran sagte, solche Angriffe würden „die Lage in dem Bürgerkriegsland und der Region schwieriger machen“ und warnte vor negativen Auswirkungen im Irak. De facto arbeiten Washington und Teheran dort nämlich gegen den IS zusammen. In der Schlacht um Mossul lenkt der Iran mit US-Luftunterstützung zum Teil die irakischen Bodentruppen.
Syriens Rebellen sind naturgemäß entzückt. Die Syrische Nationalkoalition (SNC) sagte, der Angriff zeige, „dass es noch Menschlichkeit auf dieser Welt gibt“. Trump ist der neue Held. Es wurde schon angekündigt, dass in den Rebellengebieten Neugeborene demnächst den Namen „Donald“ erhalten.
Ein erster Militärschlag ist immer der leichteste Teil der Übung. Lange epische Geschichten in der arabischen Welt haben schon mehrmals mit dem Aufstieg von Tomahawk-Raketen von US-Kriegsschiffen begonnen, beispielsweise im Irak 2003. Sooft sie ihr militärisches Ziel getroffen haben, so oft haben sie am Ende ihr politisches Ziel verfehlt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Bilanz der Ampel-Regierung
Das war die Ampel
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
Die Grünen nach dem Ampel-Aus
Grün und gerecht?
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!