Freunde Gute Transatlantiker beschwören in diesen Tagen die Partnerschaft zwischen Europa und den USA. Aber wie tragfähig ist die Nato noch? Auf der Münchner Sicherheits-konferenz lässt es sich hautnah beobachten: Die Zwei-Prozent-Frage
Aus München Tobias Schulze
Es ist alles in Ordnung. Es ist alles in Ordnung. Es gibt gar kein Problem. Ursula von der Leyen versucht es mit Autosuggestion. Im Hotel Bayerischer Hof eröffnet die Verteidigungsministerin am Freitagnachmittag die Münchner Sicherheitskonferenz. Bevor sie aber zur Sache kommt, bevor sie übers Geld spricht und über Nato-Brigaden, bevor sie auch noch eine Mahnung in Richtung Washington absetzt und die US-Regierung vor Alleingängen warnt, setzt sie erst einmal zur Beruhigung an. „Wir stehen hier als Transatlantiker, die den festen Willen haben, die schwierigen Fragen der Sicherheit gemeinsam anzugehen“, sagt die Ministerin. Mit „Wir“ meint sie sich und ihren US-Kollegen James Mattis, der direkt nach ihr sprechen wird. Und damit sind wir auch schon beim Punkt.
Wer in der deutschen Außenpolitik etwas zu sagen hat, baut auf das Bündnis mit den USA – so ist es seit Jahrzehnten. Ob Washington auch noch auf diese Partnerschaft setzt, ist seit dem Regierungswechsel im Januar aber offen. Die Beunruhigung unter den Transatlantikern in Deutschland und Europa ist riesig – und vor drei Tagen noch einmal gewachsen.
Am Mittwoch traf Mattis in Brüssel zum ersten Mal seine 27 Kollegen aus den Nato-Staaten – und richtete den Verbündeten eine Drohung aus dem Weißen Haus aus. „Der amerikanische Steuerzahler kann nicht noch länger übertrieben viel für die Verteidigung des Westens bezahlen“, sagte Mattis. Wer die Nato-Vereinbarung verfehle, mindestens 2 Prozent des eigenen Bruttoinlandsprodukts ins Militär zu stecken, müsse bis Ende des Jahres umsteuern. Ansonsten könnten die USA ihr „Engagement für die Nato zügeln“.
Das ist das konkreteste Ultimatum, das die Trump-Regierung den Verbündeten bisher gestellt hat. Und die Europäer wissen: Es kann ihnen noch enorme Probleme bereiten.
Donald Trump hat das Zwei-Prozent-Ziel zwar nicht erfunden, die USA forderten es schon unter dem Präsidenten George W. Bush, und auch die Obama-Regierung pochte darauf. Auf ihren Druck hin schrieben die Nato-Staaten es vor drei Jahren sogar in einen Gipfelbeschluss. Bis 2024 wolle man „sich auf den Richtwert von 2 Prozent zubewegen“, hieß es darin. Richtig ernst genommen hat die Passage bislang aber kaum jemand.
Im vergangenen Jahr erreichten das Ziel außer den USA nur Griechenland, Großbritannien, Estland und Polen. Für Deutschland führte die Nato Militärausgaben in Höhe von 37,14 Milliarden Euro auf – nur 1,19 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Über 25 Milliarden Euro im Jahr müsste Deutschland zusätzlich in die Bundeswehr stecken, um die US-Forderung zu erfüllen. Das entspricht beinahe dem gesamten Budget des Verkehrsministeriums. Um den Betrag zusammenzubekommen, müsste der Bund auf sämtliche Straßen- und Schienenbaustellen verzichten. Alternativ könnte er zwei Jahre lang die Entwicklungshilfe streichen. Dafür sah der Haushalt zuletzt etwa 12,5 Milliarden vor.
Nun ist es nicht so, dass die Bundesregierung seit dem Nato-Beschluss vor drei Jahren gar nicht regiert hätte. Die Militärausgaben steigen, bis 2020 ist ein weiteres Plus von 5 Milliarden vorgesehen. Aber erreichen würde sie den Zwei-Prozent-Wert so auch bis 2024 nicht. Von der Leyen reagiert trotzdem mit Verständnis auf das Ultimatum. „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir Investitionen in Sicherheit in den kommenden Jahren schneller erhöhen müssen“, sagt sie in München.
Schon vor einem Jahr hatte die Ministerin dem Bundestag eine Wunschliste vorgelegt, 1.500 Projekte würde sie gern angehen, vom Kampfpanzer bis zum Medizinschrank. Dafür fehlen ihr noch zig Milliarden. Die Forderung der US-Regierung kann sie nutzen, um in Berlin für mehr Geld zu werben.
Um tatsächlich die zwei Prozent zu bekommen, müsste sie aber sowohl den Finanzminister als auch den Koalitionspartner überzeugen. Das wird nicht einfach. „Eine derartige Steigerung ist völlig utopisch“, sagt der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold. Und auch die Oppositionsparteien, die nach der Bundestagswahl im Herbst mitregieren könnten, protestieren. „Die Nato muss ihre Messgrößen über das Zwei-Prozent-Ziel hinaus weiterentwickeln“, sagt der Grünen-Politiker Tobias Lindner. Er meint: Über die tatsächliche Verteidigungsfähigkeit sagen die Zahlen der Nato gar nicht so viel aus.
Am Freitagmittag, kurz bevor das Programm der Sicherheitskonferenz offiziell begann, stellte das International Institute for Strategic Studies, das IISS, in der Palaishalle des Hotels Bayerischer Hof sein neuestes Produkt vor: „Military Balance+“, eine Datenbank zu Militärausgaben in aller Welt – mit bemerkenswerten Details.
Nach den Berechnungen des Instituts stiegen die Verteidigungsausgaben der europäischen Nato-Staaten im Jahr 2016 um 0,3 Prozent. Die Wirtschaft und damit die Bruttoinlandsprodukte stiegen allerdings noch schneller, so dass die Europäer dem Zwei-Prozent-Ziel nicht näherkamen, obwohl sie mehr Geld in ihr Militär steckten. Würde die Wirtschaft einbrechen, wären die zwei Prozent schnell erreicht.
Die Nato-Zählung unterscheidet auch nicht, wofür die Staaten ihr Verteidigungsbudget genau ausgeben. Laut IISS fließt zum Beispiel ein Drittel der belgischen Ausgaben in Soldatenpensionen. Bei der Bundeswehr sind es nur 17 Prozent. Würde von der Leyen heute tausende Soldaten zu erhöhten Bezügen in den Vorruhestand schicken, wären die zwei Prozent ebenfalls schnell erreicht. Die Schlagkraft der Armee stiege trotzdem nicht. Im Gegenteil.
Überhaupt ignoriert die Zwei-Prozent-Zählung, welche Ausgaben der Nato tatsächlich nützen. Das türkische Budget zum Beispiel ist auch deswegen relativ hoch, weil die Armee im Osten des Landes die eigene Bevölkerung bombardiert – was den Verbündeten eigentlich nicht recht ist. In München erinnert von der Leyen daran, dass seit Kurzem hunderte deutsche Soldaten in der litauischen Provinz sitzen, um dem Nato-Partner die Angst vor einem russische Angriff zu nehmen. Dieser Einsatz schlägt sich in der Statistik aber nicht gesondert nieder.
Und selbst wenn die Zahlen vergleichbar wären: Mehr Ausgaben allein würden nicht unbedingt mehr helfen. „Die europäischen Staaten könnten durch eine bessere Abstimmung mit dem gleichen Geld weitaus mehr zur Nato beitragen als bisher“, sagt der Grüne Lindner.
Um dieses Argument zu verstehen, ist ein Blick auf die Kampfpanzer der Nato-Staaten hilfreich: Die U.S. Army hat knapp 8.000 dieser schweren Kriegsgeräte vom Typ Abrams. Eine Armee, ein Modell: Das senkt die Stückkosten. Die europäischen Staaten dagegen unterhalten insgesamt 17 Modelle. Mengenrabatte sind da nicht drin.
Am Montag verkündete das Verteidigungsministerium in Berlin ein neues Rüstungsprojekt: Die Marine wird neue Meeresraketen anschaffen – gemeinsam mit dem norwegischen Militär. Von „Synergieeffekten“ spricht das Ministerium, weiteren Partnerländern stehe das Programm „grundsätzlich auch offen“. Es gibt noch mehr Anzeichen dafür, dass die Europäer künftig stärker zusammenarbeiten; in München spricht von der Leyen davon, auch bei Auslandseinsätzen die Kooperation zu vertiefen.
Aber wie konkret ist die Forderung aus Washington überhaupt? Nicht sehr. Die USA könnten ihren Beitrag zügeln, sagte Minister Mattis in Brüssel. Was das genau heißt, ließ er offen. Die Sorgen der Transatlantiker werden dadurch nicht kleiner. Sie erinnern sich alle an Trumps Formel aus dem Wahlkampf: Beistand im Verteidigungsfall gibt es nur für die, die bezahlen. Zieht er das durch, ist die Nato am Ende.
Optimisten könnten das verkraften. „Es gibt doch keinen Staat, der uns bedroht“, sagt Wolfgang Gehrcke, einer der wenigen sorglosen Teilnehmer der Sicherheitskonferenz. Der Linken-Abgeordnete hält es für abwegig, dass Russland seine europäischen Nachbarn angreift.
In der Bundesregierung haben in dieser Angelegenheit aber die Pessimisten das Sagen. „Für die Sicherheit Europas ist das transatlantische Bündnis unverzichtbar“, heißt im Sicherheitsweißbuch der Regierung. Anders gesagt: Ohne die USA gäbe es tatsächlich ein Problem.
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