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Streit um Abschiebung in NiedersachsenSyrische Familie rechtswidrig abgeschoben

Der Flüchtlingsrat fordert Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) auf, eine syrische Familie zurückzuholen. Sie war aus der Region Hannover rechtswidrig nach Bulgarien abgeschoben worden

Soll die syrische Familie aus Bulgarien zurückholen:Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) Foto: Holger Hollemann/dpa

Die Ausländerbehörde der Region Hannover hätte die syrische Familie K. gar nicht abschieben dürfen: Eine Mutter mit drei Kindern wurde in der Nacht zum 3. Februar von dutzenden PolizistInnen abgeholt und nach Bulgarien gebracht. Das Verwaltungsgericht Hannover urteilte nun, dass die Abschiebung rechtswidrig war. Der Flüchtlingsrat fordert das Innenministerium auf, die Mutter mit den drei Kindern zurückzuholen.

Der 14-jährige Sohn und der Vater sind noch in Deutschland. Der Sohn war nicht zu Hause, als die BeamtInnen mitten in der Nacht kamen. Die Ausländerbehörde hatte daraufhin entschieden, die Familie zu trennen und den Vater bei seinem Sohn in Deutschland zu lassen.

Familie K. hatte in Bulgarien zuerst einen Asylantrag gestellt und auch einen Status als anerkannte Flüchtlinge bekommen. Nach der Dublin-Regelung können sie damit in keinem anderen Land, das sich an dieser Regelung beteiligt, Asyl bekommen.

Die Familie wehrte sich aber gegen die Abschiebung und beauftragte einen Anwalt. Der bekam im Juli 2016 Recht und erwirkte, dass der Familie auch in Deutschland subsidiärer Schutz gewährt wurde, da ihr in Bulgarien als Flüchtlinge Verfolgung und Misshandlung durch selbst ernannte Bürgerwehren drohe. Auch eine erste Abschiebeandrohung war bereits damals aufgehoben worden.

Die Dublin-Scheiße

Die Dublin-Regelung besagt: Wer in einem EU-Land ein Asylverfahren begonnen hat, kann in keinem anderen EU-Land mehr Asyl beantragen. Er oder sie wird im Zweifel dorthin abgeschoben.

Das führt dazu, dass Asylsuchende versuchen, unerkannt von der EU-Außengrenze bis nach Deutschland oder Skandinavien zu kommen, um dort ihren Antrag stellen zu können.

Mit der Datenbank „Eurodac“ soll verhindert werden, dass Flüchtlinge die Regelung umgehen: Die Fingerabdrücke der Geflüchteten werden dort gespeichert und den GrenzhüterInnen europaweit zum Abgleich bereitgestellt.

Die Regelung ist umstritten, unter anderem, weil für Flüchtlinge in manchen EU-Staaten inhumane Bedingungen herrschen.

Uneinigkeit auch unter JuristInnen

Das jüngste Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover sagt nun: Die danach erfolgte Abschiebung war rechtswidrig, grundsätzlich seien Abschiebungen nach Bulgarien aber möglich.

Gerade über letzteres herrscht unter JuristInnen Uneinigkeit. „Es ist völlig willkürlich“, sagte der Sprecher des niedersächsischen Flüchtlingsrats Kai Weber: „Verschiedene Kammern der verschiedenen Verwaltungsgerichte schätzen die Situation in Bulgarien ganz unterschiedlich ein.“ Es sei wie eine Lotterie. Der Flüchtlingsrat sei vor allem empört über das Vorgehen des Innenministers Boris Pistorius (SPD), in dessen Zuständigkeit die Ausländerbehörde liegt. Die Regierung handele damit genau gegensätzlich zu ihrer eigenen Ankündigung, in Sachen Abschiebung mehr Menschlichkeit walten zu lassen.

Dass die Familie überhaupt abgeschoben wurde, nachdem ihr im Juli Schutz in Deutschland gewährt wurde, liegt an einem juristischen Hin und Her: Denn im September 2016 war die Entscheidung über subsidiären Schutz wieder aufgehoben worden.

Eine erneute Abschiebeandrohung aber gab es damit nicht. Das zumindest ist nun die Auffassung des Hannoveraner Verwaltungsgerichts. Es hätte einer erneuten Abschiebeandrohung bedurft.

Ausländerbehörde sieht sich im Recht

Über eine entsprechende Verfügung hatte das Gericht die Ausländerbehörde auch bereits im Januar informiert. Ein Schreiben des Richters an den Rechtsanwalt der Familie, das auch an die Ausländerbehörde ging, liegt das taz vor. Darin heißt es: „Ich sehe derzeit nicht die Gefahr einer Abschiebung, da meines Erachtens die Abschiebungsandrohung nach Bulgarien vom 28. 10. 2015, die mit Bescheid vom 21. 7. 2016 aufgehoben worden ist, nicht wieder aufgelebt ist.“

Die Ausländerbehörde der Region Hannover, die die Familie trotzdem abschob, sieht sich dennoch im Recht. Dort ist man der Auffassung, dass zum Zeitpunkt der Abschiebung der erste Abschiebebescheid vom Oktober 2015 gültig gewesen sei, erklärte eine Sprecherin. Erst danach habe sich die Rechtslage geändert.

Und nach Auffassung der Behörde ändert sich die Rechtslage auch nur für den Vater und den Sohn, die ja in Deutschland sind. Gleichzeitig erklärte eine Sprecherin der Region Hannover: „Das Urteil ändert allerdings nichts daran, dass der Kläger und sein minderjähriges Kind ausreisepflichtig sind, weil der Asylantrag abgelehnt wurde.“ Mit anderen Worten: Sobald das BAMF eine neue Abschiebeandrohung ausstellt, können sie auch abgeschoben werden.

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5 Kommentare

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  • Es gibt nirgends auf der Welt das Recht zur Armutszuwanderung ins bessere Sozialsystem!

    • @conny loggo:

      Als Argument für weitere Ausgrenzung taugt dies nun schon gar nicht. Es ist ja gerade der offensichtliche Mangel an sozialer Verantwortung in der Politik weltweit, der diesen Zustand der ungleichen Chancen aufgebaut und zementiert hat.

  • Willkürlich ist insbesondere die Dublin-Regelung, die ja nur getroffen wurde, um das Grundrecht auf Asyl in vielen Staaten Europas in der Praxis unterlaufen zu können.

  • Alle wegbringen - das ist doch das Motto der Behörde. Ich finde es ganz schön daneben, dass Bulgarien überhaupt in der EU ist, dieses Land verfolgt seine Roma-Minderheit, hat seine türkische Minderheit schon nach Europa verjagt und soll nun syrische- meist traumatisierte Flüchtlinge aufnehmen und anständig behandeln? Das ist absurd - so wird das dort nicht ablaufen. Und eine Behörde kann auch anders, die hätten das nicht machen müssen., Bulgarien ist nicht Österreich oder Italien. Die Familie dann auch noch zu trennen, das ist doch auch Kalkül. Aber wahrscheinlich soll das so sein, damit die AfD nicht Recht behält mit ihrer These, es droht eine Überfremdung durch syrische Flüchtlinge.

  • Die Entscheidung des VG Hannover verstößt gegen Art. 16a Abs, 2 Satz 1 GG ("Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften ... einreist...") und ist deshalb unbeachtlich. Die Behauptung, das anerkannte Flüchtlinge im EU-Staat Bulgarien verfolgt und/oder menschrechtswidrig behandelt würden, ist durch nichts belegt und unwahr. Erstinstanzlichen Einzelrichtern ist es zudem verwehrt, in einem Mitgliedsstaat der EU eine "systemische Störung des Asylsystems" festzustellen. Diese Kompetenz kommt nur dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschrechte (EGMR) zu, die derartige Entscheidungen in Bezug auf Bulgarien bisher nicht getroffen haben.