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Unendliche VielfaltIm regenbogenbunten Puzzle

Das Universum macht in seiner Sonderausstellung „Lieblingsräume“ Inklusion erlebbar – und beglückt die Gäste mit einer warmen Komplimentedusche

Ein Drehpuzzle in der Ausstellung verwirrt Geschlechterstereotype Foto: Universum/Martinsclub Bremen

Bremen taz | „Inklusion ist mehr als die abgesenkte Bordsteinkante für Rollstuhlfahrer“, sagt Ausstellungsmacherin Kerstin Haller. In Kooperation mit dem Martinsclub hat sie die Schau „Lieblingsräume“ kuratiert. Entdeckt wird auf mehreren Ebenen des Alltags die Vision der Einheit des Disparaten. So erweitert das Universum sein Spektrum zum auch gesellschaftspolitischen Erlebnismuseum. Drei Jahre Vorbereitung und 250.000 Euro der Aktion Mensch sowie 55.000 Euro der Stiftung Wohnhilfe haben die Präsentation möglich gemacht.

Lieblingsraum 1 stellt die moderne Küche als wahr gewordene Utopie gelungener Inklusion vor. Dort veredelt der syrische Neubremer Darwish Barkel gehacktes Fleisch neuseeländischer Lämmer mit deutschen Kartoffeln, chinesischem Knoblauch, marokkanischem Koriander, indischem Ingwer, indonesischer Muskatnuss, schwarzem Mauritius-Pfeffer und Tomaten aus Holland zu einem Auflauf – alle Zutaten haben gleichberechtigt teil an dieser Koalition verschiedener Kochkulturen. Die Gewürze sind im Universum zur olfaktorischen Verköstigung anwesend. Die Geschmacksknospenreize bleiben in Barkels Kochshowfilm leider verborgen.

An solchen Video- wie auch an Audiostationen werden die Inklusionsaspekte in jedem der acht Ausstellungsräume personalisiert. Wo zudem erkenntniserhellende Objekte sowie lustig platzierte Fakten um spielerische Zugänge ergänzt werden. Die Gags der Ausstellung sind schlecht versteckt, also gut zu finden.

Schon am Eingang: Wer lauffaul ist, findet einen Rollstuhl für zwei im Parkbankdesign. So wird mit lässigem Humor die positiv konnotierte Sitzart des tugendhaften Müßiggangs mit der mitleidig konnotierten Fortbewegungsart Gehbehinderter vereint.

Selbstverständlich ist die Ausstellung dank abgesenkter Bodenkanten barrierefrei, alle Erläuterungen hängen auch in Braille aus, der Raumplan ist zu ertasten, Filmzuspielungen sind untertitelt – „und alle Texte in einer bei uns entwickelten leicht verständlichen Sprache verfasst“, sagt Benedikt Hache, Pressesprecher des Martinsclubs.

Ums Thema Schönheit und Körperkult geht’s im Lieblingszimmer Bad. „Medial vermittelte Normvorstellungen und soziale Richtlinien, was schön sei, wollen wir hinterfragen“, sagt Haller. Gegen diese „ästhetische Monokultur mit der Abwertung vermeintlicher Unzulänglichkeiten“ will man „zum inklusiven Blick auf sich selbst ermuntern – und zum wohlwollenden Blick auf den Mitmenschen“, erklärt Haller.

Im Videoporträt ist Lisa Haalck zu sehen, Sie kann nicht mit wallender Lockenpracht einem weiblichen Schönheitsideal nacheifern, ist haarlos aufgrund einer Autoimmunkrankheit – und erklärt, wie es funktioniert, sich genau so schön zu finden: „Ich bin mehr als meine Haare.“ Zum Beispiel Initiatorin eines Fotokunstprojektes.

Normvorstellungen, was schön sei, wollen wir hinterfragen

Kerstin Haller, Kuratorin

Ergebnisse sind an den Badwänden zu sehen: In harmonisch komponierten Arrangements stellen amputierte, vernarbte, fettleibige Menschen nackt ihre angeblichen Schönheitsmakel aus – nach dem Ausstellungsmotto: Es ist normal, verschieden zu sein. Daneben hängt Bademode an der Wand – Hosen mit Windeleinlage für Inkontinente, Bikinis in Übergrößen für Mollige etc. Haller: „So verstehe ich Inklusion, dass Objekte sich helfend den Menschen und nicht diese sich den Objekten anpassen.“

Also etwa zum sportlich minimierten Schwimmsporthöschen einen Sixpack antrainieren. Auch liegen im Bad Postkarten aus, auf denen der Satz vollendet werden muss: „Ich bin schön, weil ich …“

Als Antworten haben es bereits an die Pinwand geschafft: „… lange Wimpern habe“, „… gut gelaunt bin“, „… schön sein will“, „… meine Mama das sagt“ und „… schwanger bin“. Auf die Ohren gibt es etwas unter drei Schwimmbadfön-Installationen: Statt heißer Luft strömen warmherzige Berichte über uneingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Miteinander: Eine querschnittgelähmte Schneiderin stellt ihr Mode-Label, eine Martinclub-Schwimmgruppe sich selbst vor.

Das ist einer der zwei Kritikpunkte an der Schau: Dass sich der Martinsclub allzu oft in Szene setzt. Der andere: Daten, Zahlen, Hintergründe tauchen meist ohne Quellenangabe auf.

Egal ist das in der Komplimentedusche. Zieht der Besucher den Vorhang zu, wird er minutenlang mit Lobesworten betröpfelt wie: „Ich freue mich immer, wenn ich dich sehe.“ Kein Duschgel hatte je eine solche prickelnde Wirkung. Gleich nebenan gibt es noch eine Zugabe – wer an einem markierten Standort verharrt, wird mit Applaus überschüttet. Es geht in diesem Lieblingsraum um die unbedingte Zugehörigkeit aller an kulturellen Aktivitäten – am Beispiel der Stadtteiloper, Chor Don Bleu und Tanzbar Bremen.

Im „Wohnzimmer“ hat Pro Familia einige Verhütungsmittel ausgestellt – und lädt zum Quiz. „Ab wann dürfen Jugendliche in Deutschland Sex haben?“ Na, hätten Sie es gewusst? Ab 14 Jahren, lautet die Antwort. Und wer zu Familienfotos die fehlenden Mitglieder aus einem Repertoire von Porträtaufnahmen addiert, für den funktioniert das Puzzle der regenbogenbunten Lebensgemeinschaften als humorvolles Spiel mit dem Präfaktischen unseres Urteilsvermögens, den Vorurteilen. Anderthalb Stunden sollten Entdeckungsfreunde ab sechs Jahren mindestens einplanen.

Mo–Fr, 9 bis 18 Uhr, sams-, sonn- und feiertags, 10 bis 18 Uhr, bis 7. 1. 2018

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