taz-Serie Gut vorankommen: Mehr Platz und mehr Takt
Rot-Rot-Grün in Berlin will eine Mobilitätswende. Autos sollen zurückgedrängt, Radfahrer, Fußgänger, Busse und Bahnen gefördert werden.
Dabei hat Berlin eigentlich gute Voraussetzungen, selbst ein zunehmendes Verkehrsaufkommen einigermaßen umwelt- und menschenfreundlich zu gestalten: Die Straßenzüge sind breit, sodass es Platz für Rad- und Busspuren gibt. Der öffentliche Nahverkehr ist historisch gewachsen und vergleichsweise gut ausgebaut, und viele Menschen haben eine pragmatische oder sogar ablehnende Haltung gegenüber dem motorisierten Individualverkehr.
Davon zeugen nicht nur Unterschriftensammlungen für bessere Radfahrbedingungen, sondern auch die Verkehrsstatistik. Der zusätzliche Verkehr, der durch das Bevölkerungswachstum verursacht wurde, wurde zu 50 Prozent vom öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) aufgefangen. Um 25 Prozent stieg der Fußverkehr, um 20 Prozent der Radverkehr.
Hatte der motorisierte Individualverkehr im Jahr 2008 noch einen Anteil von 33 Prozent an allen zurückgelegten Wegen der Berliner, waren es fünf Jahre später nur noch 30 Prozent. Während der Fußverkehrsanteil etwa konstant blieb, stieg der des Radverkehrs im gleichen Zeitraum um zwei Prozentpunkte auf 13 Prozent, und der des ÖPNV um drei Punkte auf 27 Prozent. Der Umweltverbund von ÖPNV, Rad- und Fußverkehr kam damit zuletzt auf einen Anteil von 70 Prozent. Und die Tendenz ist weiter steigend.
5-Minuten-Takt auf der S-Bahn Ring geplant
Die neue Stadtregierung will diese Entwicklung weiter vorantreiben. SPD, Grüne und Linke sprechen in ihrem Koalitionsvertrag davon, eine „Mobilitätswende einleiten“ zu wollen. Die Koalition will den Straßenraum zugunsten des Umweltverbundes umverteilen und „massiv in den Ausbau der Fahrradinfrastruktur investieren“.
Die Metropolen wachsen rasant und ersticken im zunehmenden Verkehr. Lärm und Abgase machen den Menschen zu schaffen. Zudem ist der Verkehrssektor einer der größten Klimakiller. Wie Städte diese Probleme in den Griff kriegen wollen, untersucht die taz in ihrer neuen Serie. Vergangene Folge: Istanbul.
So soll es zwei Meter breite Radstreifen auf den Hauptstraßen geben. Auf Nebenstraßen soll ein Radwegenetz entstehen. Zudem ist ein Pilotprojekt Grüner Pfeil für Radler geplant. Die wichtigste Maßnahme, um den Autoverkehr unattraktiver zu machen, ist die Ausweitung der Zonen, in denen das Parken kostenpflichtig ist. Die Koalition plant, bis zum Jahr 2021 das gesamte Gebiet innerhalb des S-Bahn-Rings in Parkzonen zu verwandeln. Damit sollen vor allem Berufs- und Ausgehpendler von einer Fahrt mit dem Auto abgehalten werden.
Weniger ambitioniert sind die Koalitionspläne beim Ausbau des ÖPNV-Netzes. Zwar sollen vier neue Straßenbahnlinien in Betrieb genommen werden. Einen Neubau von U- oder S-Bahn-Strecken soll es aber nicht geben. Immerhin verspricht die Koalition, die Takte von U- und S-Bahnen zu erhöhen. Beispielsweise soll es einen 5-Minuten-Takt auf dem S-Bahn-Ring geben – „sobald ausreichend Fahrzeuge zur Verfügung stehen“.
Neben den hohen ÖPNV-Preisen zeigt dieser Hinweis die Krux bei der Verkehrswende: Da viele Menschen nicht bei jedem Wetter Rad fahren oder weite Strecken zu Fuß gehen wollen, wird ein noch leistungsfähigerer ÖPNV benötigt. Dafür aber reichen Zahl und Zuverlässigkeit der Fahrzeuge derzeit nicht aus, außerdem fehlen Fahrer.
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