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Debatte Verhältnis Türkei-RusslandDie neue Syrien-Allianz

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Putin setzt auf Erdoğan in der Syrienpolitik – obwohl ein regimetreuer Polizist seinen Botschafter in Ankara ermordete. Warum?

Irgendwie wieder d'accord: Putins und Erdogans gemeinsame Interessen lassen sie über den toten Botschafter hinwegsehen Foto: dpa

E r habe, sagte der russische Außenminister Sergei Lawrow am Montag, die drei Länder an einen Tisch bringen wollen, die in Syrien wirklich etwas ausrichten können. Am Tisch saßen dann neben Russland noch der Iran und die Türkei. Das Treffen dieser drei Länder am gestrigen Dienstag war dem russischen Präsidenten Putin und seinem Außenminister so wichtig, dass sie sich auch durch den Mord am russischen Botschafter Andrei Karlow in Ankara nicht davon abbringen lassen wollten.

Dabei wurde Karlow am Montagabend in Ankara von einem türkischen Polizisten erschossen, der zwar nicht im Dienst war, aber zu den Sondereinheiten von Präsident Erdoğan gehörte – und ganz offensichtlich die islamistische Propaganda der türkischen Regierungsmedien zu Syrien vollkommen verinnerlicht hatte.

Schließlich unterstützt Ankara seit Jahren in Syrien einen dschihadistischen Feldzug gegen das Assad-Regime statt eines demokratischen Aufbegehrens gegen einen Despoten. So rief der Attentäter nach dem Mord denn auch nicht: „Es lebe die Demokratie“, oder: „Es lebe die Freiheit“, sondern: „Wir sind diejenigen, die dem Propheten Mohammed Treue im Dschihad geschworen haben. Rache für Aleppo“.

Nachsicht mit Erdoğan

Obwohl Putin eigene russische Sonderermittler nach Ankara geschickt hat, um herausfinden, wer den Attentäter gelenkt hat, ist er offenbar schon heute bereit, darüber hinwegzusehen, dass ein islamistischer türkischer Polizist, der die Propaganda seiner Regierung ernst genommen hat, seinen Botschafter ermordete. Warum diese Nachsicht gegenüber Erdoğan von einem Mann, der nicht für Nachsicht bekannt ist?

Wer sich an die unerbittlichen russischen Reaktionen auf den türkischen Abschuss eines russischen Kampfbombers an der syrisch-türkischen Grenze vor eineinhalb Jahren erinnert, kann sich nur verwundert die Augen reiben über die milden Statements aus Moskau.

In türkischen sozialen Medien war noch am Montagabend viel die Rede vom Attentat auf den österreichischen Kronprinzen in Sarajevo, das 1914 zum Auslöser des Ersten Weltkriegs wurde. Doch Ankara ist nicht Sarajevo. Putin will das Attentat in Ankara offensichtlich nicht zum Anlass für einen neuen großen Konflikt mit der Türkei nutzen, sondern im Gegenteil die Erdoğan-Regierung stärker in seine Pläne einbeziehen.

Erdoğans Rolle: Er soll die Dschihadisten zu einem Agreement mit dem Assad-Regime bewegen

Als die türkische Luftwaffe den russischen Flieger abschoss, bekam sie noch Unterstützung von den USA. Amerikanische Luftraumüberwacher bestätigten die türkische Version, dass der russische Flieger sich im türkischen Luftraum befunden habe. Heute ist Erdoğan mit Präsident Obama über die Syrien-Politik des Westens heillos zerstritten. Vor allem, weil die USA die syrischen Kurden bewaffnen und als Fußtruppen gegen den IS einsetzen. Für Erdoğan ein Affront, weil die syrischen Kurden mit der PKK zusammenarbeiten und ihre Bewaffnung aus Sicht der türkischen Regierung einer offenen Aggression gleichkommt.

Die große Wende weg vom Westen

Schritt für Schritt ist Erdoğan deshalb dabei, sich vom Westen ab- und nach Russland hinzuwenden. Putin agiert geschickt, wenn er Erdoğan damit schmeichelt, nur die Türkei, Russland und Iran hätten in Syrien genug Einfluss, um etwas zu bewegen. Wohingegen die westlichen Mächte, allen voran die USA, doch nur Propaganda betrieben.

Für Putin ist die Rolle Erdoğans in den Syrien-Verhandlungen klar. Er soll leisten, was die USA nicht geschafft haben, nämlich die Rebellen und Dschihadisten, die die Türkei, Katar und Saudi-Arabien seit Jahren unterstützt haben, nach deren Niederlage in Aleppo zu einem Agreement mit dem Assad-Regime zu bewegen – und wenn es zunächst erst einmal nur ein Waffenstillstand ist.

Was immer Russland im Detail plant, wie realistisch oder unrealistisch das auch immer sein mag, Erdoğan ist jedenfalls bereit, den ersten Schritt zu machen und sich mit Russland und dem Iran, ohne die USA, ohne die EU und ohne die UNO, an einen Tisch zu setzen.

Nach Angaben eines Mitarbeiters des türkischen Außenministeriums hat es in der letzten Woche bereits indirekte Gespräche zwischen Vertretern Russlands und den Dschihadisten aus Aleppo gegeben, die in der Türkei stattfanden und von türkischen Diplomaten vermittelt wurden. Jenseits der internationalen Friedensgespräche in Genf plant Putin ein großes Treffen zwischen syrischer Opposition und dem Assad-Regime im kasachischen Astana, bei dessen Realisierung Erdoğan mithelfen soll.

Luft für die Sunniten

Warum macht Erdoğan da mit und was verspricht er sich davon? Erdoğan weiß, dass die von ihm bislang unterstützten Dschihadisten nicht mehr dazu in der Lage sind, Assad militärisch zu stürzen. Er musste diese Niederlage akzeptieren und gleichzeitig erfahren, dass dieselben Dschihadisten sich nicht scheuen, den Terror auch in die Türkei zu tragen. Um zu verhindern, dass sich dschihadistische Terroristen nun auch in der Türkei breitmachen, braucht er einen politischen Kompromiss, der den Sunniten in Syrien wenigstens etwas Luft zum Atmen gibt.

Putin auf der anderen Seite weiß, dass Assad den Sunniten etwas anbieten muss, um die Situation in den kommenden Jahren wenigstens oberflächlich zu stabilisieren. Das wird kein Frieden sein, keine demokratische Wahl und kein wiedervereinigtes Syrien, aber vielleicht wenigstens gegenseitig respektierte Einflusszonen, auf deren Basis ein Waffenstillstand mit Ausnahme des IS möglich ist.

Putin bietet Erdoğan an, in diesem Prozess den Sprecher der syrischen Sunniten zu machen. Nach der militärischen Niederlage kommt nun wieder eine diplomatische Phase. Die syrischen Moslembrüder sind seit Langem in Istanbul versammelt. Sie würden Erdoğan als Sprecher akzeptieren. Ob die geschlagenen Dschihadisten es tun, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.

Auf jeden Fall glaubt Erdoğan, mit Putin mehr in Syrien gewinnen zu können als mit den USA. Ob Putin Erfolg hat, wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen, aber er scheint von seiner Strategie so überzeugt, dass er bereit ist, über einen ermordeten Botschafter hinwegzusehen.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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6 Kommentare

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  • Erdogan gibt die Außenpolitik, die er mit Davutoglu entwickelt hat, komplett wieder auf. Es geht jetzt um die Innenpolitik und auf der Strecke bleieben viele Menschen. Diese Politik produziert Tote - vor allem in Syrien.

  • "... kann sich nur verwundert die Augen reiben über die milden Statements aus Moskau."

     

    Wieso? Weiter unten analysieren Sie die Situation recht realistisch. Nachdem Putin und Erdogan die Hackordnung geklärt haben, ist es in beiderseitigem Interesse, zusammen zu wirken. Das Attentat ist dabei eher hilfreich.

     

    Für Erdogan bietet sich die Gelegenheit, die Islamisten loszuwerden, die sich weigern, seinen Weisungen zu folgen und Putin hat ein Druckmittel gewonnen. Denn niemand, der international mitspielen will, kann sich hinter Leute stellen, die einen Botschafter ermordet haben.

     

    Verlierer in diesem Spiel sind, außer natürlich Herrn Karlow, die Kurden und die Staaten, die von weiter weg in die Region drängen. Ohne die Türkei ist es nur noch schwer möglich, den Bürgerkrieg weiter anzuheizen. Und wenn Erdogan eine kleine Einflusszone und die Köpfe der Kurden bekommt, kann er ja ganz zufrieden sein. Putin kann den Schirmherren spielen und auch für den Iran fällt etwas ab.

     

    Nicht besonders schön, aber realistisch. Bleibt nur noch der IS. Aber der hat gegen die geballte Macht der "Troika" kaum noch eine Chance.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      "Bleibt nur noch der IS. Aber der hat gegen die geballte Macht der "Troika" kaum noch eine Chance."

       

      Nicht so schnell...

      Der Is stand ja immer schon alleine da und wurden angeblich immer schon von allen bekämpft. Seltsamerweise konnte er jedoch sein Gebiet massiv erweitern, obwohl er doch von den USA aus der Luft "bekämpft" wurde. Erst die Russen haben den Ölschmuggel in die Türkei, die den IS ja ebenfalls "bekämpfte", beendet.

       

      Momentan ist der IS u.a. in Rakka und in Mossul massiv unter Druck. Dennoch schafft er es, in dieser scheinbar so schwierigen Situation, 4.000 seiner "Aktivisten" samt schwerem Gerät nach Palmyra zu schicken und es einzunehmen. Möglicherweise ist der Druck also gar nicht so groß oder wurde verringert.

       

      In der im Artikel beschriebenen Konstellation könnte es schon möglich sein, so etwas wie Ruhe zu etablieren. Allerdings fehlen einige Player, die immer noch den Regime-Change auf der Agenda haben.

      Da ist und bleibt der IS ein Joker, mit dem die Entwicklung beeinflusst werden kann.

       

      Offtopic: Wow, ein richtiger Artikel über Syrien!

      • @markstein:

        "Allerdings fehlen einige Player, die immer noch den Regime-Change auf der Agenda haben."

         

        Das einzige bedeutende Rebellengebiet liegt in der Provinz Idlib. Und ohne die Unterstützung der Türkei kann dort, schon aus geogaphischen Gründen, kein anderer "Regime-Changer" agieren. Da ich davon ausgehe, dass große Teile der Provinz zur türkischen Einflusszone kommen, wird sich Erdogan dort nicht von anderen in die Suppe spucken lassen.

         

        "Der Is stand ja immer schon alleine da und wurden angeblich immer schon von allen bekämpft."

         

        Richtig. Aber die Amerikaner unter Obama haben (absichtlich) nicht zielstrebig gehandelt. Bei der "Troika" wird dies bestimmt anders sein. Besonders, wenn sie nicht mehr anderweitig beschäftigt ist. Zusätzlich ist davon auszugehen, dass ein Präsident Trump die taktischen Spielchen der Amerikaner beendet und ernsthaft kämpfen lässt.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Das sehe ich im Prinzip genauso.

          Also fast genauso: Der IS war für die Amis der Türöffner, um dort am Ball zu bleiben. Deshalb erkenne ich dort keine mangelnde Zielstrebigkeit. Trump wird eben seine Spielchen spielen. Ob die dann besser sind, sei mal dahingestellt.

          .

          • @markstein:

            Obama hat sich durch seine taktischen Spielchen (gleichzeitig mit und gegen die Kurden ect.) zwischen alle Stühle gesetzt. Ich schätze Trump so ein, dass er sich für eine Parteiengruppe entscheidet. Eigentlich will er ja hauptsächlich tote IS-Kämpfer vorweisen und ansonsten möglichst weg da unten. Aber auf diesem Gebiet werden wir in ein paar Wochen schlauer sein...