piwik no script img

Demokratie in EuropaDruck von rechts

Nicht weniger als die politische Einigung Europas steht 2017 auf dem Spiel. Ein Überblick von Rom bis Berlin.

Die anstehenden Wahlen in einigen Mitgliedsländern könnten der EU stürmische Zeiten bringen Foto: dpa

Italien: das Verfassungs-Renzirendum

Nicht nur in Österreich, auch in Italien findet am Sonntag eine Abstimmung statt, die vielen im Land, aber auch in ganz Europa als schicksalhaft gilt. Dabei geht es in dem anstehenden Verfassungsreferendum gar nicht um Europa, um die Mitgliedschaft in der Eurozone oder in der Europäischen Union, sondern vor allem um die zentrale Frage, ob in der Zukunft allein das Abgeordnetenhaus in Rom das innenpolitische Sagen in Italien hat, auf Kosten des bisher gleichberechtigten Senats.

Für das Ja zu der Verfassungsreform ficht der Ministerpräsident und Proeuropäer Matteo Renzi, fürs Nein wirbt die versammelte Opposition, von der mit Marine Le Pen und der FPÖ befreundeten Lega Nord bis zu Beppe Grillos Fünfsternebewegung, die Italien am liebsten ganz aus dem Euro herausführen würde. Sollten die Europagegner an diesem Sonntag siegen, wie es die Meinungsumfragen voraussagen, dann müsste Renzi wohl abtreten.

Profitieren dürften bei den früher oder später anstehenden Neuwahlen aber weniger die Rechtspopulisten der Lega Nord unter Matteo Salvini. Viel mehr als 12, maximal 15 Prozent sind für sie wohl nicht drin. Denn der Protest gegen die „Kaste der Politiker“ und gegen das „Austeritätseuropa“ wird in Italien von einer anderen Kraft dominiert, von der auf 30 Prozent der Stimmen geschätzten Fünfsternebewegung. Michael Braun

Niederlande: die Parlamentswahl

Sieben Worte – mehr braucht die Partij voor de Vrijheid (PVV) nicht für ihre europapolitischen Vorstellungen. „Niederlande wieder unabhängig – also aus der EU“, heißt es im Programm zu den Parlamentswahlen Mitte März, welches wiederum auf eine DIN-A4-Seite passt.

Schon lange propagiert Parteichef Geert Wilders den „Nexit“. Seit 2013 bildet er mit Marine Le Pen ein Tandem gegen den „Brüsseler Superstaat“. Dieses bildet die Achse der 2015 gegründeten Fraktion „Europa der Nationen und Freiheiten“ im EU-Parlament.

In Umfragen mischt die PVV ganz oben mit. Einen Koalitionspartner dürfte sie dennoch kaum finden. Wohl aber hat ihr Anti-Brüssel-Kurs die Meinung im Land beeinflusst: Dass die Ablehnung des Assoziationsvertrags mit der Ukraine im Frühjahr eigentlich ein Anti-EU-Votum war, ist kein Geheimnis.

Mitinitiatoren des Ukraine-Referendums treten nun als „Forum voor Democratie“ an. Sie fordern ein Ende der EU-Ausbreitung und Abstimmungen über weitere Mitgliedschaft in der Eurozone.Auch die frisch gegründete linkspopulistische Partei „Neue Wege“ bilanziert: „Europa als politisches Projekt ist gescheitert.“ Unter anderem will sie das EU- Parlament auf mehrere jährliche Treffen nationaler Abgeordneter reduzieren. Tobias Müller

Frankreich: die Präsidentenwahl

Im Frühling 2017 findet in Frankreich die Präsidentenwahl statt. Laut Prognosen kann Marine Le Pen vom Front National (FN) fast sicher sein, als Finalistin am 7. Mai in der Stichwahl gegen den Konservativen François Fillon oder einen Kandidaten der Linken um den Sieg zu kämpfen. Danach könnte die FN-Chefin in der ersten Wahlrunde mit 24 bis 30 Prozent der Stimmen in Führung liegen.

Der FN kann sich auf eine solide soziale Basis berufen; vor allem in Arbeiterkreisen ehemaliger Industriezentren und in ländlichen Regionen wird er gewählt. Für diese Abgehängten macht der FN soziale Versprechen, die durch eine „nationale Bevorzugung“ der Franzosen zu Lasten der Migranten finanziert werden sollen.

Diese Fremdenfeindlichkeit hat auch bei Kleingewerblern, im Militär oder bei Polizeibeamten ein großes Echo. Seine Stärke schöpft der Front National aus dem Versagen der traditionellen Parteien bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, bei der Integration und im Bereich der Sicherheit.

Mit ihrer scharfen Kritik an der EU, am Islam und den Eliten liegt Le Pen im rechtspopulistischen Trend in Europa. Ihre Stoßrichtung wäre nun ein „Frexit“ – der Austritt Frankreichs aus der EU. Ob die Staatengemeinschaft den Verlust ihres gewichtigen Gründungsmitglieds überleben könnte, steht dahin. Rudolf Balmer

Deutschland: die Bundestagswahl

Im September 2017 wählen die Deutschen ihren Bundestag. Obwohl das Ereignis noch weit weg erscheint, hat der Wahlkampf längst begonnen. Auf der einen Seite ist da Bundeskanzlerin Angela Merkel, die erneut als Spitzenkandidatin von CDU/CSU antreten wird.

Auf der anderen Seite steht die SPD, die so tut, als habe sie alle Zeit der Welt, um einen Kandidaten (von einer Frau ist nicht auszugehen) zu küren. Die anderen im Parlament vertretenen Parteien können sich derweil inhaltlich und personell auf mögliche Koalitionen einpegeln.

Also alles wie immer? Keineswegs. 2017 versucht nicht nur die FDP, wieder ihr Plätzchen im Parlament zurückzuerobern. Auch die rechtspopulistische AfD macht sich zum Sprung bereit. Aktuelle Umfragen sehen Frauke Petry und Kollegen bei zwölf Prozent.

Die nationale und internationale Lage macht Merkel zur Hoffnungsträgerin. Nicht nur dass selbst linksliberale WählerInnen darüber nachdenken, die Union zu wählen, wenn es gegen Rechtspopulisten geht. Auch viele EuropäerInnen schauen nach Berlin.

Ihre Hoffnung: Merkel als personifizierte europäische Gralshüterin erhalten. Ob die so Gepriesene diesem Anspruch gerecht wird, ist fraglich. Auch in Deutschland treiben Populisten die Konservativenvor sich her. Und zwar nach rechts. Anja Maier

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Verfälschender kann man die Abstimmung in Italien gar nicht mehr beschreiben:

     

    Die Verfassungskonstruktion der italienischen Republik wurde gewählt, um eine Machtübernahme der Faschisten in Zukunft zu verhindern.

     

    Hier soll das Rad der Geschichte zurück gedreht werden – und zwar auf Druck der US-Investmentbank JPMorgan Chase.

     

    Demokratie ist halt immer besonders lästig, wenns mal wieder ans Bankenretten geht. Und da stehen die italienischen Banken nun einmal kurz davor.

     

    Schade. Auch die TAZ versagt, über diese Abstimmung auch nur einigermassen informiert zu berichten.

  • Die Vereinigung Europas blieb auf halbem Weg stehen:

    nie gab es Parlamentswahlen, die eine Gesetzgebungskompetenz hatten, in denen europaweit Kandidaten von WählerInnen gewählt wurden -

    die Sozialversicherungen,

    vieles hätte vereinigt werden können.

    Aber das wollten selbst die Politiker und Kapitalvertreter nicht : eine Fusion.

     

    Bei der Abstimmung zum Brexit haben die Leute ein Kästchen angekreuzt- in so einer Abstimmung ist der Populismus schon vorgegeben.

    Die vielen Wege, die zur mehr Gerechtigkeit und Emanzipation führen würden, gehen über Intensivierung und Teilnahme aller.

     

    Wenn die Staatsgrenzen weg sollen, dann auch das Wohlstandsgefälle. und Schäuble.

    • @nzuli sana:

      "nie gab es Parlamentswahlen, die eine Gesetzgebungskompetenz hatten, in denen europaweit Kandidaten von WählerInnen gewählt wurden -

      die Sozialversicherungen,

      vieles hätte vereinigt werden können."

       

      Und wo soll der Sinn darin sein? Weshalb soll alles vereinigt und möglicherweise zentralisiert werden? So lese ich das heraus. Genau das ist es auch wovor mehrheitlich Menschen Angst haben. Das macht sie misstrauisch gegen die da oben. Gewaltenteilung ist auch viel besser in föderativen Systemen gegeben. Und regionale Probleme lassen sich viel besser mit Menschen vor Ort regeln. Alle reden immer von Vielfalt und Buntheit. Gerade das geht aber verloren, wenn alles eins und gleich wird. Trotzdem ist es wichtig, dass Europa kooperiert und zusammenhält. Das zu regeln: Zusammenhalt und dennoch Eigenständigkeit zu erhalten ist die Herausforderung in Europa. Wir sind eben keine Vereinigte Staaten, dazu sind wir zu verschieden.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "Die nationale und internationale Lage macht Merkel zur Hoffnungsträgerin. Nicht nur dass selbst linksliberale WählerInnen darüber nachdenken, die Union zu wählen, wenn es gegen Rechtspopulisten geht. Auch viele EuropäerInnen schauen nach Berlin."

     

    In den meisten Ländern geht es v.a. um Ökonomisches. Den gesellschaftlich fortschrittlichen Konservativen ist es gelungen die liberalen Werte zu besetzen, sie komplett von den Fragen der sozioökonomischen Problematik zu trennen und so eine breites Potential aus wirtschaftsfreundlichen Kräften, wertebetonten Konservativen und Linksliberalen zu bündeln.

     

    "Offen" scheint das Zauberwort zu sein. Offene Gesellschaft, offene Grenzen, Wirtschaft offen für Neues und alles...

    Persönlich glaube ich nicht, dass dahinter irgendwelche hehren Ideale stehen. Vielmehr dürfte es sich um kalkulierte, teilweise ökonomisch, teilweise gesellschaftspolitisch motivierte Entscheidungen handeln:

    http://www.faz.net/aktuell/technik-motor/iaa/daimler-chef-zetsche-fluechtlinge-koennten-neues-wirtschaftswunder-ausloesen-13803671.html

    http://www.faz.net/aktuell/politik/wolfgang-schaeuble-abschottung-wuerde-europa-in-inzucht-degenerieren-lassen-14275838.html

     

    Wahrscheinlich haben die Beteiligten dies für eine langfristig erfolgreiche Strategie gehalten, auch trotz der rückwärtsgewandten Störköpfe in eigenen Reihen.

    Mit Brexit und Trump (vielleicht auch PiS, das ist aber eine andere Story) wurde sehr schnell diese Politik als nicht realisierbar entzaubert und drei Schlussfolgerungen stehen im Raum:

     

    1. Das Ökonomische ist wichtig - nicht als Durchschnittswerte, sondern als gefühlte Lage

    2. Die Bevölkerung des eigenen Landes ist wichtig. Und zwar nicht zu 10, 20 oder sogar 50%, sondern als Ganzes.

    3. Man kann, und das ist vielleicht die "gefährlichste" Entdeckung, gegen das "System" gewinnen. Die ersten Folgen sieht man schon jetzt (Pläne gegen "fake news").

  • "Die nationale und internationale Lage macht Merkel zur Hoffnungsträgerin. Nicht nur dass selbst linksliberale WählerInnen darüber nachdenken, die Union zu wählen, wenn es gegen Rechtspopulisten geht."

     

    Falls es wirklich linksliberale WählerInnen geben sollte, die darüber nachdenken, die Union zu wählen, müssten diese ganz intensiv "mit dem Klammerbeutel gepudert" worden sein:

     

    Ein einziger Blick auf die Realpolitik, die die Kanzlerin mittlerweile gegenüber den Flüchtlingen praktiziert, müsste ausreichen, um einen derartigen Gedanken ins völlig Abstruse zu befördern. Jeder, der bei diesem Thema auch nur einen Hauch von Humanität für angemessen hält, müsste sich mit Grauen von dieser Idee abwenden.

     

    Wer’s nicht glaubt:

     

    Unter anderem war in folgendem taz-Artikel zu lesen:

    https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5314484&s=t%C3%BCrkisch-syrisch+grenze/

     

    „Nach Angaben der in Großbritannien ansässigen Beobachtungsstelle erschossen türkische Grenzsoldaten seit Jahresbeginn mindestens 60 Menschen, alles Zivilisten. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) warf den Grenzsoldaten in einem im Mai vorgelegten Bericht vor, syrische Flüchtlinge mit tödlicher Waffengewalt an der Einreise in die Türkei zu hindern.“

     

    Auch so sichert offensichtlich im Auftrag Merkels die Türkei die Außengrenze Europas.

     

    Wenn diese Vorgänge nicht reichen, von einer Wahlentscheidung zugunsten der CDU/CSU Abstand zu nehmen, weiß ich auch nicht…..

    • @Urmel:

      Ich bin kein Merkelfan. Aber was wollen Sie der Kanzlerin eigentlich in dieser Frage vorwerfen. Es ist schon seltsam. Die einen werfen ihr vor, dass sie die Tore überhaupt geöffnet habe und weiter Anreize schaffe, die anderen, die Linken, werfen ihr wiederum vor, dass sie nicht genug rein lässt.

       

      Vorwürfe an andere Staaten gibt's dabei nie bis selten. Wenn, okay, dann gegen Orban. Aber wer kritisiert schon Großbritannien? In der Zeit des Brexits könnte ich das noch nachvollziehen, um nicht Öl ins Feuer zu gießen. Aber jetzt. Wer kritisiert Frankreich? Hat es damit zu tun das dort immer noch ein Sozialist regiert?

       

      Deutschland hat nun wirklich sehr viel geleistet was die Aufnahme anbelangt und ist dabei auch innenpolitische Konflikte eingegangen. Das sollte auch einmal anerkannt werden, anstatt immer zu meckern.

       

      Bei all der Debatte um das Thema Flüchtlinge fehlt mir auch immer zu sehr die Frage nach dem Verursacherprinzip und eine gewisse Ehrlichkeit, auch von linksmedialer Seite.

      • @Jens Egle:

        Sie fragen u.a.: "Aber was wollen Sie der Kanzlerin eigentlich in dieser Frage vorwerfen."

         

        Ganz einfach: Merkel soll bitte mal zu ihren Entscheidungen stehen. Momentan betreibt sie immer noch das Doppelspiel, sich einerseits weiterhin als Mutter Teresa aller Flüchtlinge feiern zu lassen, andererseits Milliarden dafür zu zahlen, dass exakt diese Flüchtlinge notfalls mit brutalen Mitteln auf ihrem Weg nach Europa gestoppt werden. Offensichtlich möchte sie mit diesem üblen Manöver erreichen, ihre Wählbarkeit von Linken bis hin zu AfDlern zu demonstrieren.

         

        Des Weiteren monieren Sie, dass Vorwürfe gegenüber anderen Staaten, speziell GB und Frankreich, selten zu vernehmen seien.

         

        Nun, hier hilft ein Blick auf den Ablauf der Dinge: Die Entscheidung, im Vorjahr eine große Zahl von Flüchtlingen aufzunehmen, traf Merkel ohne jegliche Abstimmung mit unseren EU-Partnerstaaten. Diese Nichtabstimmung war Fauxpas Nummer 1. Als der Kanzlerin dann dämmerte, dass ihr das Problem über den Kopf wachsen könnte, kam sie plötzlich auf die geniale Idee, von den anderen Regierungen Solidarität einzufordern. Jene Regierungen empfanden diese Vorgehensweise reichlich unverschämt, vor allem deshalb, weil für Merkel die wirtschaft- und arbeitsmarktpolitischen Probleme der anderen Staaten offensichtlich völlig bedeutungslos waren. Das war der Fauxpas Nummer 2.

         

        Allein schon diese beiden elementaren diplomatischen Fehler haben Deutschland binnen kürzester Zeit jede Menge Renommee gekostet. Offen wird das in Europa selten geäußert, hinter vorgehaltener Hand ist das Urteil in GB und F eindeutig: „Merkel lädt unbegrenzt viele Menschen zu ihrer Geburtstagsfete ein. Als sie dann merkt, dass es ein wenig eng wird, fordert sie ihre Nachbarn auf, die Gäste mit zu versorgen und ist schließlich empört, wenn dies Ansinnen abgelehnt wird“.

         

        Verantwortliches Regieren sieht anders aus. Auch zwischen Staaten gilt: Wer bestellt, bezahlt.