CSUler Weber über EU-Führungskrise: „Keine Koalition ohne Obergrenze“
Manfred Weber ist einer der Überflieger der CSU – und trotzdem Anhänger von Angela Merkel. Ein Gespräch über Gefahren von rechts.
taz: Herr Weber, es gibt viel zu besprechen. Fangen wir mit Österreich an: Sind Sie froh, dass jetzt ein Grüner in die Hofburg einzieht?
Manfred Weber:Ich bin froh, dass ein klarer Proeuropäer in die Hofburg einzieht. Die Demagogen in ganz Europa können ihre kalt gestellten Champagnerflaschenwieder wegpacken.
Trotzdem: Fast jeder Zweite hat für Norbert Hofer gestimmt. Auch im übrigen Europa ist ein Rechtsruck festzustellen.
Wir haben insgesamt einen Ruck zu den Extremen. Das Flüchtlingsthema hat natürlich vor allem den Vereinfachern im rechten Lager Zulauf beschert. Deshalb geht aktuell die Hauptdynamik von ihnen aus. Aber es gibt auch starke linke Bewegungen, die an ihren Rändern extremistische Ausprägungen haben. Sie alle profitieren vom Wunsch der Menschen nach Halt – sei es bei den Sozialsystemen oder auch bei der Frage der kulturellen Identität.
Was setzen Sie dagegen?
Wer den Willen hat, in der globalisierten Welt zu gestalten, der hat große Chancen. Das müssen wir vermitteln. Deutschland ist da ein Vorbild. Wir hätten heute nicht die wirtschaftliche Stärke und die hohen Sozialstandards, hätte nicht Gerhard Schröder damals die nötigen Entscheidungen getroffen.
44, ist Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament sowie stellvertretender CSU-Vorsitzender. Er gilt als eine der großen Hoffnungen seiner Partei.
Das heißt?
Das heißt, wir brauchen mehr Führung in Europa. Und da sehe ich vor allem die Staats- und Regierungschefs in der Pflicht. Sie müssen Orientierung geben. Helmut Kohl beispielsweise hat die Euro-Einführung als richtig erkannt und ist dann vorangegangen. So etwas fehlt heute. Angela Merkel ist da die positive Ausnahme.
In Frankreich hat der unbeliebteste Präsident aller Zeiten angekündigt, sich nicht zur Wiederwahl zu stellen …
Eine sehr kluge Entscheidung.
Manfred Weber
Haben Sie die Hoffnung, dass andere Kandidaten Marine Le Pen besser Einhalt gebieten können?
Die Chance besteht absolut. Wenn jetzt auch die Sozialisten mit Manuel Valls einen starken Kandidaten ins Rennen schicken sollten, dann wird das ein hartes Ringen zwischen den demokratischen Kräften geben. Und da wird es Le Pen deutlich schwerer haben. François Fillon etwa zeigt großen Mut zu Reformen.
Den hatte auch Matteo Renzi …
Das Referendum in Italien war eine innenpolitische Abstimmung über Renzi und den Einfluss der Parteien. Wir sollten uns davor hüten, in Zukunft jede Entscheidung in Europa immer gleich zur Entscheidung über Wohl und Wehe des Kontinents hochzustilisieren.
Wie geht’s eigentlich nach dem Abgang von Martin Schulz mit dem EU-Parlamentsvorsitz weiter? Sie wollen ja nicht.
Lassen Sie sich überraschen! Wir werden nächste Woche einen Kandidaten nominieren.
Sie kennen Schulz aus nächster Nähe. Sollte er tatsächlich Kanzlerkandidat der SPD werden, macht das die Sache dann schwerer oder leichter für die Union?
Martin Schulz wird auf jeden Fall eine Bereicherung für die Bundespolitik. Ich habe ihn als jemanden kennengelernt, der gern streitet, am Ende aber immer lösungsorientiert ist.
Wie zuversichtlich gehen Sie in diesen Wahlkampf?
Ich freue mich auf den Wahlkampf. Ich glaube, es wird eine harte inhaltliche Auseinandersetzung über die Zukunft des Landes geben. Und mit Angela Merkel an der Spitze haben wir als CDU und CSU alle Chancen, die Grundantwort zu geben – Vertrauen und Orientierung in unsicheren Zeiten.
Haben Sie ihr denn schon zu ihrer Wiederwahl gratuliert?
Selbstverständlich. Es ist ein ehrliches und gutes Ergebnis. Aber ihr ist gelungen, mit einer starken Rede die CDU wachzurütteln. Das war das richtige Signal zum Auftakt in den Wahlkampf.
Welche Schwerpunkte wird die CSU im Wahlkampf setzen?
Stabilität, Sicherheit und Identität.
Und die Obergrenze?
Die wird dabei auch wichtig sein. Für uns ist sie eine Vorbedingung für eine Koalitionsvereinbarung. Wir müssen sicherstellen, dass wir Hilfsbereitschaft praktizieren, aber mit Maß und Ziel.
Sie wissen aber schon, dass die CDU im Bundestag stärker vertreten sein wird als die CSU?
Sicher.
Und Merkel hat gerade wieder bekräftigt, dass es mit ihr keine Obergrenze geben wird. Sie wollen trotzdem diese eine Zahl zur Schicksalsfrage erheben?
CDU und CSU sind sich in einer Fülle von Themenfeldern sehr nahe. Wenn es dann punktuelle Unterschiede gibt, verkraften wir das. Das war in der Vergangenheit so, das ist auch heute so.
Punktuelle Unterschiede sind das eine, Dogmatismus ist das andere …
Das ist kein Dogmatismus, sondern das ist uns und den Menschen in Deutschland wichtig. Die unkontrollierte Massenzuwanderung wie im letzten Jahr darf so nicht mehr passieren.
Genau das hat die CDU in Essen in ihren Leitantrag geschrieben …
Das ist gut, reicht aber nicht aus. Wir brauchen Klarheit und unser Vorschlag dafür ist die Obergrenze.
Sie nennen die Obergrenze einen Vorschlag?
Ich formuliere es klarer: Es wird keine Koalition mit der CSU geben, ohne dass eine Obergrenze verankert ist. Dabei bleibt es. Fixe Kontingente würden uns zudem ermöglichen, stärker darauf zu achten, wen wir zu uns holen. Ich plädiere für klare Kriterien. Letztes Jahr sind überwiegend junge Männer gekommen, das sind nicht unbedingt die Hilfsbedürftigsten.
Und was machen Sie, wenn ausgerechnet der 200.001. der Hilfsbedürftigste ist?
Das ist eine theoretische Debatte. Wir müssen den Mut haben, eine Grenze zu nennen. Und um das noch mal klarzustellen: Wir reden von Flüchtlingen, die aus sicheren Drittstaaten zu uns kommen, nicht von Asylbewerbern. Asyl darf nicht limitiert sein. Aber nur ein sehr geringer Anteil sind Asylbewerber. Flüchtlinge, die beispielsweise vor dem Bombenterror aus Aleppo fliehen, kommen ja zunächst in einem sicheren Staat wie der Türkei an. Die Idee ist, dass wir dann der Türkei einen Teil der Flüchtlinge mittels Kontingent abnehmen und nach Europa holen. Und da sind wir wieder bei den Kriterien.
Gut, gehen wir mal davon aus, Sie überzeugen die CDU noch von der Obergrenze. Sie brauchen aber noch einen weiteren Koalitionspartner. Wie halten Sie’s eigentlich mit den Grünen?
Die Frage ist, von welchen Grünen wir reden. Herr Kretschmann stellt nur eine sehr kleine Facette der Partei dar. Der wesentliche Teil der Programmatik wird noch von Leuten wie Jürgen Trittin geprägt. Deshalb ist Schwarz-Grün für uns keine Option.
Dann bleibt aber nicht mehr viel. Eigentlich nur die Fortsetzung einer Großen Koalition …
Schauma mal. Wir kämpfen für eine bürgerliche Mehrheit.
Im Vergleich zu vielen Ihrer Parteifreunde polarisieren Sie wenig, äußern sich differenziert und mögen sogar Angela Merkel – sind Sie sicher, dass Sie in der richtigen Partei sind?
Absolut. Und wenn ich Sie erinnern darf: Ich bin mit einem ziemlich anständigen Ergebnis zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt worden. Die Frage nach dem Politikstil in Deutschland, die Sie ansprechen, ist aber berechtigt.
Würden Sie sich denn manchmal eine andere Tonart in Ihrer Partei wünschen?
Insgesamt stimmt der Ton schon. Aber eines ist klar: Wir dürfen nie den Sound oder die Argumentationsschemata von Populisten übernehmen.
Und doch haben Sie sich gefreut, als ausgerechnet Andreas Scheuer zu Ihrem Nachfolger als Parteichef der CSU in Niederbayern gewählt wurde?
Andreas Scheuer macht als Generalsekretär einen guten Job. Es gibt verschiedene Typen, und das braucht eine Volkspartei wie die unsere.
Haben Sie eigentlich ministriert?
Natürlich.
Und Sie sind Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Tut es weh, dass es derzeit immer wieder Kritik vonseiten der Kirchen an Ihrer Partei gibt?
Ich nehme es sehr ernst. Deshalb müssen wir uns auch immer vergewissern, dass der Ton stimmt. Ehrlich gesagt, würde ich mir aber manchmal in der politischen Debatte noch mehr von den Kirchen wünschen. Nach dem Karfreitagsurteil habe ich beispielsweise wenig von ihnen gehört.
Markus Söder findet, die Kirchen sollten weniger Politik machen …
Ich wünsche mir das glatte Gegenteil. Die Beiträge von Kirchen und Christen zur politischen Debatte sind extrem wertvoll.
Horst Seehofer wünscht sich ein starkes Alphatier in Berlin. Sie hätten die Voraussetzungen …
Besten Dank, aber Brüssel ist politisch eine absolute Top-Ebene. Und auch dort muss die CSU stark sein.
Sie werden nicht für den Bundestag kandidieren?
Nein. Mein Platz ist in Brüssel.
Aber wer soll’s denn sonst machen? Horst Seehofer kann ja nicht ewig den Libero der CSU spielen …
Der Parteivorsitzende hat angekündigt, sich dazu über Weihnachten Gedanken zu machen.
Seinem Argument, dass es in Berlin im Wahljahr einen Spitzenpolitiker der Partei, möglichst den Vorsitzenden, braucht, können Sie aber folgen?
Ja. Und eine Aufgabenverteilung in der CSU passt in die Zeit. In einer immer heterogener werdenden Gesellschaft wird es nur noch mit mehreren Köpfen und verschiedenen Typen möglich sein, die breite Bevölkerung anzusprechen. Ich sehe auch derzeit niemanden, der ad hoc die Gesamtverantwortung von Horst Seehofer übernehmen könnte.
Markus Söder wüsste da jemanden…
Davon bin ich überzeugt. Ich denke dennoch, dass der Teamansatz der richtige ist.
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