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Die WahrheitMarmageddon wegen Brexit

Ralf Sotscheck
Kolumne
von Ralf Sotscheck

Die englische Leibspeise Marmite verschwindet aus den Supermarktregalen. Menschen mit Geschmack begrüßen diesen Effekt.

Ein Auslaufmodell: Marmite im Supermarktregal Foto: dpa

D amit haben die Brexiteure nicht gerechnet: Weil das Pfund Sterling nach dem Volksentscheid für den Austritt aus der EU in die Knie gegangen ist, erhöhte der Multi Unilever den Preis für die englische Leibspeise Marmite. Aber es kam noch schlimmer. Der Supermarktgigant Tesco akzeptierte die Preissteigerung nicht und nahm Marmite aus dem Sortiment. „Marmageddon“, titelte die englische Boulevardpresse.

Marmite ist ein Brauerei-Abfallprodukt. Die ausgemergelte Hefe wird erhitzt, um sie streichfähig zu machen. Dann gibt man Unmengen Salz und einige andere Produkte hinzu – fertig. Marmite enthalte weder Gluten noch Soja, Mais, Milch, Ei, Nüsse, Farbstoff oder Konservierungsmittel, prahlt Unilever. Meine Unterhose enthält ebenfalls keins dieser Produkte, aber dennoch esse ich sie nicht.

Der Name des schwarzen Hefeschlamms beruht auf dem französischen Wort für einen Tontopf. Das Unternehmen wirbt mit einem Slogan, den die Nazis der British National Party für einen Wahlwerbespot missbrauchten, bis Unilever ihnen das gerichtlich verbieten ließ: „Love it or hate it.“ Ich tendiere bei beiden zu Letzterem.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Marmite als Strafe für ungezogene Kinder eingesetzt, aber nach Protesten von Menschenrechtlern wurde die Paste durch den humaneren Rohrstock ersetzt. Im Zweiten Weltkrieg wurden deutsche Kriegsgefangene in Großbritannien mit Marmite gefoltert.

Viele Engländer streichen sich den Hefematsch freiwillig auf gebutterten Toast. Fairerweise muss man erwähnen, dass es auch Engländer gibt, die sich eher „geronnene Babykacke“ auf das Weißbrot schmieren würden, wie ein Kritiker in einem Internetforum anmerkte: „Sollte mein Baby Marmite kacken, würde ich es zur Adoption freigeben, weil ich den Gestank nicht aushalten könnte.“

Unilevers Begründung für die Preiserhöhung steht auf wackligen Füßen. Marmite wird seit 1902 in Burton upon Trent in Staffordshire hergestellt und benutzt ausschließlich britischen Abfall zur Herstellung, so dass der Fall des Pfunds keinerlei Einfluss auf die Produktionskosten hat. Tescos Boykott von Marmite hat zu Panikkäufen geführt. Die anderen Supermärkte verzeichneten einen Anstieg der Verkaufszahlen um 60 Prozent.

Bisweilen gibt Marmite limitierte Sonderausgaben heraus – etwa mit 30 Prozent Guinness-Hefe, aber ohne Alkohol. Umgekehrt wäre es vielleicht genießbar. Zum Thronjubiläum der Queen konnte man 2012 Ma’amite kaufen, denn laut Etikette spricht man die Königin beim ersten Mal mit „Your Majesty“ an, danach reicht „Ma’am“. Zur Feier des Tages soll sie die Toastreiterchen für ihre Corgis mit Marmite bestrichen haben, wofür sie von Tierschützern gerüffelt wurde.

Selbst für Menschen ist der Aufstrich nicht ungefährlich, denn wer eine bestimmte Sorte Antidepressiva einnehme, könne schwermütig werden, warnen Ärzte. Bei mir geschieht das auch ohne: Sobald ich den Teerschlamm rieche, verfalle ich in Trübsinn.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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27 Kommentare

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  • "Tot bist Du erst, wenn keiner mehr an Dich denkt!"

     

    Die Insel lebt, solang noch Marmite® auf der Stulle klebt.

  • Im deutschen Bioladen gibt es das Zeugs unter dem Namen "VITAM" zum Vielfachen des Preises von Marmite. Ich oute mich als Marmite-Fan und bringe mir jedesmal ein paar Gläser aus England mit. Auf dem Fahrrad

    • @Khaled Chaabouté:

      Wasservelo?

       

      Vitam-R - ja ja - wie Vitaquell -

      War neben Pellkartoffeln bei

      Den Relikten der 20er-Oeko-Bewegung Schwer angesagt!

      De Ohl - bestand auf Butter & Salzkartoffeln - klar Bauernkind!;)

  • Damit noch was nachgelegt wird

     

    Marmite - do it yourself -

     

    Bester Mr. Bean ever: https://www.youtube.com/watch?v=q_mPpcLM8Bw

     

    Nur etwas für starke Nerven!

    • @Lowandorder:

      Really hard stuff. Don't try this at home!

  • Einfach köstlich - der Text !

    Danke , Ralf S. , :-)

  • Glückwunsch, Herr Sotscheck!

     

    Diese Kolumne hat es an die Spitze der Rubrik "Meistkommentiert" geschafft!

     

    Was gäbe es Schöneres zum Nikolaus?

    • @fly:

      Ein Scheck über 1.000€.

  • Ich fand die Paste, als ich sie in England probieren durfte, ganz lecker. Das Glas Marmite, das ich daraufhin als Souvenir mitbringen wollte, wurde jedoch auf den Flughafen Cardiff von der britischen Sicherheitsüberprüfung wegen Gefährdung der Luftsicherheit konfisziert. Die scheinen dem Zeug wohl doch mehr Eigenschaften zu zu trauen...

  • Hab das Zeug mal in Neuseeland probieren dürfen. Hölle! Schmeckt wie eine eingedicke Mischung aus Maggi und Kernseife mit einem Schuss Underberg. YUCK!

     

    Da fehlen ja nur noch die Verweise auf die kleinen Sägemehlstangen (aka "Sausages"), sowie der Brei aus aufgeweichter Pappe und Fensterkitt ("Porridge"). Dazu "Ham, Eggs and Beans" in fettig-triefender Tomatensauce. Wer zum zünftigen englischen Frühstück nicht gleich einen Herzschrittmacher mitbestellt, wird es vermutlich bereuen.

     

    Aber was soll man erwarten bei einer Esskultur, die Kekse aus mit Schwefelsäure aufgeschlossenen Federn und Hühnerfüßen herstellt, eine Paste aus hochgiftigem auch als "schwarzer Brotschimmel" berüchtigten Aspergillus mit dem Slogan "ein naher Verwandter des Champignon" bewirbt und Schafsköpfe am liebsten im Ganzen verzehrt? Der Plan, den Milchanteil in englischer Schokoladencreme durch aus Rinder- und Schweineblut extrahiertes Eiweiss zu ersetzen scheiterte bisher an den EU-Vorschriften für Schlachthofabfälle, die nicht für den menschlichen Verzehr bestimmt sind. Wenigstens da kann ja der Brexit bald unbürokratisch Abhilfe schaffen.

     

    Zu den 3 dünnsten Büchern der Menschheitsgeschichte zählt immer noch die Kontinentalausgabe des Standardwerkes "kulinarische Genüsse aus 800 Jahren britischer Küche".

  • Allein diese ignoranten Vergleiche. Crystal Meth. Marmite ist so sehr ein "Abfallprodukt" einer Brauerei wie ein Apfel, der vom Baum fällt. Im Gegenteil, Marmite veredelt das Brauereiwesen, auf solch bedeutende Erfindungen der Menschheitsgeschichte ist man immer erst durch Umwege gelangt.

     

    Ich nehme es immer zu mir, wenn ich mich in Deutschland einsam fühle und es hilft sofort. Ich kann auch noch mint sauce, britischen Senf und beans on toast empfehlen (siehe den Film "I, Daniel Blake"). Oder die "Verdaulichen" von MacVities, die nicht so süßlich schmecken wie deutsche Kekse.

    • @Ataraxia:

      Der Autor hatte halt ein Weetabix zuviel zum Frühstück. Da muss man mit der Energie wohin.

  • This bitter piece of anti-marmite populism only plays into the hands of multinationals like Nestlé which don't know how to handle the stuff.

    I also think Sotcheque gravely underestimates the potential of Unterhosen for the food industry (as populists often do).

     

    This is final evidence why your reporter has stopped reporting objectively on UK. He is suffering from a severe food deficiency, resulting in very severe symptoms which even a pint of Guinness won't cure.

    A lack of B12, which is a vital ingredient of Marmite together with Thiamin and Riboflavin, engenders symptoms like a decreased ability to think and behavioural and emotional changes such as depression, irritability, and psychosis.

    (Source: Wikipedia, B12).

     

    This is why non-carnivores the world over just love Marmite or better, organically produced varieties of yeast. Long live Marmite, down with the anti-salt lobby and populism! Truth is a bitter medicine!

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Ataraxia:

      Sotcheque, what shalls that?

  • Vielfalt, Toleranz, Buntheit und dann so ein Verriß ? Also wenn ich Claudia Roth wäre, wäre ich doch alarmiert über den "Haß" im Netz, Fremdenfeinden wurde hier eine Bühne gegeben, nicht wahr Herr Maas ? Los Frau Kahane, "Hate-Speech" jagen. Geht doch gar nicht.

    • @Thomas Schöffel:

      Daß ich diesen Artikel mit einem Augenzwinkern geschrieben habe, ist den Kritikern offenbar entgangen. Fragen Sie sich doch mal, ob solch ein Speisenverriß auch über Döner und Falafel möglich wäre. Dann sollten Sie begriffen haben.

    • @Thomas Schöffel:

      Vielfalt, Toleranz und Buntheit haben ihre Grenzen, wo sie die Menschenercht verletzen.

       

      Und Marmite rangiert da nunmal auf der gleichen Ebene wie aztekische Ballspiele mit anschließender Opferung.

    • @Thomas Schöffel:

      Mein Gott, schon mal auf die Idee gekommen, dass das ein Spaß-Artikel ist?

    • @Thomas Schöffel:

      Sie haben wohl Ihren Humor im Keller gelagert?

  • Marmite muss man richtig dosieren, dann schmeckt das Zeug auch ganz gut. Höchstens eine kleine Messerspitze reicht für eine Toastscheibe. Wer es wie Nutella aufs Brot klatscht fällt ins Koma.

  • Marmite ist wie zeitgenössische Kunst. Manche kapieren es einfach nicht, und aus Frust darüber schreiben sie dann solche Verrisse. :P

     

    Mein britisch-deutscher Gourmet-Tipp: Butterbrezel hauchdünn mit Marmite bestreichen.

     

    Macht süchtig.

    • @fhirsch:

      "Macht süchtig."

       

      Crystal Meth auch.

  • Da soll noch mal jemand sagen, der Brexit hätte für England nur negative Folgen...

  • Man könnte ja fast meinen der Autor mag dieses Zeugs nicht ;-)

     

    Meine bisherigen Erfahrungen mit britischen ... nunja nennen wir es spasseshalber mal "Nahrungsmitteln" ... hatte meist durchschlagenen Erfolg, zuweilen im wahrsten Sinne des Wortes.

     

    Dank dem Artikel weiß ich nun endlich wie dieses Zeugs heißt, das ich unter Eid kein zweitesmal auch nur in die Nähe meiner Futterlucke bewegen werde.

  • ...trotz australischer Schwiegermutter, die mir immer wieder Vegemite unterjubeln will und Marmite bei mir zu Hause trotzig verweigert...ich bleibe beim Original, das von der Konsistenz eher Schweröl ähnelt, als das dieselgleiche australische Halbplagiat.

  • super, jetzt habt Ihr mich neugierig auf das Zeug gemacht ;)

    • @Amie:

      Viel Spaß! Als ich Marmite das erstemal probierte, dachte ich nicht, dass man mit sowas Geld verdienen kann.