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Kommentar FinanzministertreffenGriechenland, die Euro-Kolonie

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Seltsam, wie sich die Euro-Finanzminister das Schuldenmanagement des Landes vorstellen. Schäuble bringt den Wahnsinn auf den Punkt.

Europa verlangt, dass Griechenland einen „Primärüberschuss“ von 3,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung erreicht Foto: dpa

F ast jede Familie in Griechenland ist verarmt: Die Einkommen sind im Durchschnitt um 35 Prozent gesunken. Doch die Euro-Finanzminister tun so, als wäre nichts gewesen. Sie wollen die Gehälter weiter senken – und sind sogar bereit, alle internationalen Abkommen zu ignorieren, die die Rechte der Gewerkschaften schützen. Die Finanzminister machen Griechenland zu einer Kolonie, in der Gesetze nicht zählen, sondern nur das Diktat. Das ist politisch fatal und ökonomisch unsinnig.

Genauso seltsam ist, wie sich die Euro-Finanzminister das griechische Schuldenmanagement vorstellen. Wolfgang Schäuble ist wie immer exzellent darin, den Wahnsinn auf den Punkt zu bringen. In einem Interview sagte er jetzt sinngemäß, dass es doch wohl reichen müsse, Zinsen und Tilgung auf Jahre zu erlassen. Nach dem Motto: Was wollen die Griechen eigentlich?

Doch Schäuble unterschlug den wesentlichen Punkt: Die Europäer verlangen eisern, dass Griechenland einen „Primärüberschuss“ von 3,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung erreicht. Damit ist das Plus im Haushalt gemeint nach Abzug der Zinskosten für Kredite. 3,5 Prozent mögen harmlos klingen, sind es aber nicht.

Selbst „Schwarze Null“-Fetischist Schäuble kann im deutschen Etat nur einen Primärüberschuss von weniger als einem Prozent verbuchen. Trotz niedriger Arbeitslosenquote, trotz sprudelnder Steuern. Wie soll Griechenland dann einen Primärüberschuss von 3,5 Prozent schaffen? Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat längst gemahnt, dass maximal 1,5 Prozent realistisch sind.

Leider ist es kein folgenloser Streit um Zahlen. Der überhöhte Primärüberschuss wird herangezogen, um von Griechenland noch mehr Kürzungen zu verlangen – „wenn es im Euro bleiben will“ (O-Ton Schäuble). Man wird den Verdacht nicht los, dass die Euro-Finanzminister noch immer darauf hoffen, dass verzweifelte Griechen den Grexit akzeptieren.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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20 Kommentare

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  • Es sollte doch jedem vernünftigen Europäer klar sein, dass Griechenland seine Schulden niemals in einem überschaubaren Zeitraum zurückzahlen kann. Und Herr Schäuble als Hauptgläubiger will, kann oder darf(???) es nicht wahrhaben. Meines Erachtens ist ein ehrlicher Schuldenschnitt und der Grexit die beste, und für die Griechen die beste Lösung.

  • 3G
    33523 (Profil gelöscht)

    " Da können Schäuble und andere "Demokraten" nicht einfach fair sein - wo kämen wir denn da hin?"

     

    Was heißt denn für Sie in diesem Kontext "fair sein"?

     

    "Jede rechtsgerichtete griechische Regierung hätte mehr an Solidarität erfahren als Syriza."

     

    Syriza sich an einigen Stellen sehr populistisch verhalten und sich mit Personal wie dem Varoufakis keinen großen Gefallen getan. Der war halt sehr unbequem und das oftmals ohne Sinn und Verstand. Das kann man machen. Sojemanden einzusetzen ist deren gutes recht, so wie es das gute Recht des pedantischen Nachbarn ist zu verlangen das kein Zweig von einem Baum der auf meinem Grundstück steht in seines hineinragen darf. Kann man machen, man macht sich aber sehr unbeliebt damit. Und mit dieser Unbeliebtheit muss man leben. Wer polarisiert muss damit leben das es nicht nur begeisterte Anhängern, sondern auch angewiederte Gegner gibt.

    • @33523 (Profil gelöscht):

      Wenn Sie statt auf Vorurteile sich stützend sich mit dem Thema profund auseinandergesetzt hätten, und z.B. die Bücher des Herrn Varoufakis gelesen hätten, hätten Sie verstanden, daß auf europäischer Bühne keine einziger europäischer Wirtschafts- oder Finanzminister ein ausgewiesener Spezialist seines Faches, - ganz im Gegensatz zu Varoufakis. "Ohne Sinn und Verstand" - wie bitte können Sie so eine Aussage begründen?

      • 3G
        33523 (Profil gelöscht)
        @Joachim Dr.med.Genth:

        Ich schrieb: "Der war halt sehr unbequem und das oftmals ohne Sinn und Verstand."

         

        Ohne Sinn und Versand bezieht sich auf das unbequem sein und das hat nichts mit der Doktrin seines Handelns zu tun. Es hat etwas mit der Art des Handelns und der Kommunikation zu tun.

        Er war am Ende selbst für seine eigene Partei unsteuerbar und wurde gebeten sich doch bitte zu verabschieden. Als er dann abgesägt wurde hat er sich in Verschwörungstheorien darüber geflüchtet warum er gehen musste.

         

        Herr Varoufakis ist zwar ein Professor der Ökonomie. Das heißt aber nicht automatisch das er auch ein besonders guter Minister ist. Seine Bücher sind allesamt Bücher über die Ökonomie aus der Perspektive der Linken. Er ist nicht um Neutralität und Sachlichkeit bemüht, sondern um eine einseitige Bewertung von Themen, zugunsten seines eigenen Weltbildes. Es gab schließlich auch nicht wenige Experten (ohne Ministeramt) die ihm widersprochen haben.

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @33523 (Profil gelöscht):

      "...so wie es das gute Recht des pedantischen Nachbarn ist zu verlangen das kein Zweig von einem Baum der auf meinem Grundstück steht in seines hineinragen darf."

       

      "Die EU-Kommission stuft Werte von mehr als sechs Prozent als stabilitätsgefährdend ein. Bei einer längeren Fehlentwicklung droht sie ein Bußgeld an."

      https://www.welt.de/wirtschaft/article125457217/EU-ruegt-Deutschland-wegen-Exportueberschuss.html

      https://www.brookings.edu/blog/ben-bernanke/2015/04/03/germanys-trade-surplus-is-a-problem/

       

      In dieser Union hängt alles zusammen. Auch griechische Schulden mit der deutschen Exportstärke (die im paradoxen Kontrast zu der Binnennachfrage- und Binnennettoinvestitionsschwäche steht). Das ist Beggar-Thy-Neighbor-Politik und u.a. über diese Zusammenhänge wollte Varoufakis auch reden. Aber der Schäuble, der diskutiert doch nicht mit einem Griechen, schon gar nicht mit einem Halbkommunisten.

      Ich freue mich schon jetzt auf sein Treffen mit Trump(team).

      • 3G
        33523 (Profil gelöscht)
        @10236 (Profil gelöscht):

        "Das ist Beggar-Thy-Neighbor-Politik"

         

        Das ist nur halb wahr. Deutschland exportiert zwar massiv, hemmt aber den Import von Waren nicht künstlich. Der Begriff impliziert eine Absicht die es nicht gibt.

         

        "über diese Zusammenhänge wollte Varoufakis auch reden."

         

        Das hätte man wohl tun können aber der Varoufakis hat sich halt auch an Stellen quer gestellt an denen das völlig überflüssig war.

        Sie kennen sicher "Jung&Naiv"?! In einer Folge wird die Maischberger interviewt nd nach dem unangenehmsten Gast gefragt den sie je hatte. Die Antwort: Yanis Varoufakis. Wie sich rausstellt redet der Mann nicht gerne mit Menschen die nicht explizit seiner Meinung sind. Das solch ein eitler Pfau keine gute Wahl für einen Ministerposten in der Krise ist sollte doch eigentlich klar sein.

         

        "Ich freue mich schon jetzt auf sein Treffen mit Trump(team)."

         

        Man kann über Trump sagen was man will aber den Unterhaltungswert von Politik wird er auf jeden Fall steigern. ;)

        • 1G
          10236 (Profil gelöscht)
          @33523 (Profil gelöscht):

          "Deutschland exportiert zwar massiv, hemmt aber den Import von Waren nicht künstlich."

           

          Das ist eine verkürzte merkantilistische Sicht. Dazu gehört mehr: Lohnpolitik (auch der öff. Beschäftigten und Aufrufe zur Lohnmäßigung), öffentliche Investitionen (http://blog.zeit.de/herdentrieb/files/2014/02/Brutto-Netto-Investitionen_Staat_1991-2012.gif), Ankurbelung von Binnenkonsum (http://www.querschuesse.de/wp-content/uploads/2014/07/1a215.jpg).

           

          Alles schon hoch- und runtergeleiert von Kommission und IWF.

           

          Man hat sich anscheinend für das Modell "Volkswirtschaft als mittelständisches Unternehmen" entschlossen und ist fest entschlossen durch Lohn- und Sozialdumping + öffentliche Austerität verkaufen auf Teufel kommt raus. Deutsches Kapital überflutet die Welt (http://www.economonitor.com/wp-content/uploads/2016/03/2.png) und dann schreit man noch auf, dass EZB nicht für Zinsen sorgt.

           

          Schon witzig, dass man es schafft der Bevölkerung das als den richtigen Weg zu verkaufen. Funktioniert, glaube ich, nur mittels der AL-Statistik.

           

          Ausführlicher hier: http://voxeu.org/article/danger-germanys-current-account-surpluses-results-cfm-and-cepr-survey

           

          Zu Varoufakis:

          was die Politiker, Medienleute und deutsche Banker am meisten an ihm gestört hatte war, dass da einer kommt, der tausendmal besser Englisch spricht als sie, so gar nicht nach Hirtenkäse und Olivenöl aussieht und dazu noch nicht tief genug bückt. Die Menschen haben es nicht gerne, wenn ihre Klischees durcheinandergebracht werden.

  • 3G
    33523 (Profil gelöscht)

    “Die Finanzminister machen Griechenland zu einer Kolonie, in der Gesetze nicht zählen, sondern nur das Diktat”

     

    Das ist so nicht richtig. Die Bevölkerung einer Kollonie hat keine Wahl. Sie muss sich den Besetzern beugen. Das war in Griechenland aber ganz anders. Die Griechen hätten durchaus Alternativen gehabt. Die Staatspleite wäre eine solche gewesen. Der Weg für den man sich entschieden hat ist einer ohne absehbares Ende. Und entschieden haben sich dazu die Griechen.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Griechenland hat die Unverfrorenheit besessen, eine Linksregierung zu wählen. Da können Schäuble und andere "Demokraten" nicht einfach fair sein - wo kämen wir denn da hin? Jede rechtsgerichtete griechische Regierung hätte mehr an Solidarität erfahren als Syriza. Das kann man in Spanien deutlich sehen. Und die Menschen? Die sind selber Schuld - sie hätten ja rechts wählen können.

    • 3G
      33523 (Profil gelöscht)
      @1714 (Profil gelöscht):

      " Da können Schäuble und andere "Demokraten" nicht einfach fair sein - wo kämen wir denn da hin?"

       

      Was heißt denn für Sie in diesem Kontext "fair sein"?

       

      "Jede rechtsgerichtete griechische Regierung hätte mehr an Solidarität erfahren als Syriza."

       

      Syriza sich an einigen Stellen sehr populistisch verhalten und sich mit Personal wie dem Varoufakis keinen großen Gefallen getan. Der war halt sehr unbequem und das oftmals ohne Sinn und Verstand. Das kann man machen. Sojemanden einzusetzen ist deren gutes recht, so wie es das gute Recht des pedantischen Nachbarn ist zu verlangen das kein Zweig von einem Baum der auf meinem Grundstück steht in seines hineinragen darf. Kann man machen, man macht sich aber sehr unbeliebt damit. Und mit dieser Unbeliebtheit muss man leben. Wer polarisiert muss damit leben das es nicht nur begeisterte Anhängern, sondern auch angewiederte Gegner gibt.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @1714 (Profil gelöscht):

      Schäuble nach dem Wahlsieg Tsipras':

      "Die Griechen tun mir leid."

       

      Ich unterstelle, dass er damals schon die Gründe kannte.

    • @1714 (Profil gelöscht):

      Hallo Voltaire,

       

      ich stimme Ihnen zu.

       

      Könnten Sie sich denn vorstellen, Ihren letzten Satz ein wenig anders zu formulieren? Zum Beispiel so:

      "Die sind selber Schuld - sie hätten ja freiwillig rechts wählen können.".

  • Sowohl Schäuble als auch Tsipras fühlen sich in ihren Rollen wohl und benötigen sich gegenseitig als Blitzableiter um intern ihre Politik der Austerität bzw. linksnationalismus beizubehalten.

     

    Es eint sie eines: Nix ändern. Und das natürlich zu Lasten der griechischen Bevölkerung. Juckt natürlich niemand und deswegen kratzt da auch keiner.

     

    Gravierend: Tsipras fehlt der inhaltliche background um überhaupt Argumente für eine andere griechische Finanzpolitik zu skizzieren.

    Ich erinnere an den denkwürdigen Auftritt beim Weltwirtschaftsforum in Davos im Winter. Wenn ich mich erinnere hatte er Arbeitskosten und Produktivität durcheinandergebracht usw.

    Man darf sich bei solchen Granaten einfach über gar nix mehr wundern und ertappt sich bei dem Gedanken GR unter internationale Zwangsverwaltung sietens des IWF oso zu stellen....

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Schäuble ist ein alter, verbitterter, arroganter Mann.

    Mit seinem Schwiegersohn kann er vorbildlich für die hässliche Fratze der europäischen Austerität stehen.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @10236 (Profil gelöscht):

      Schließe mich dem an.

      Der Mann hat eigentlich allein schon deswegen ausgedient, weil er nichts mehr von Europa und den Mindestanforderungen an Solidarität versteht.

      • @571 (Profil gelöscht):

        Solidarität bedeutet doch nichts anderes als Schuldenunion.

        Kurz - Deutschland zahlt.

        • @Thomas_Ba_Wü:

          sie sollten sich einmal grundlegend mit VWL beschäftigen, insbesondere mit Makroökonomik.