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Seele in TrauerUnsichtbar krank

Verschweigen, verheimlichen und verstecken: Die Tabuisierung von Depressionen hilft niemandem und macht nur noch kränker

Es scheint alles so hoffnungslos, so aussichtslos

BREMEN taz| Mein Opa ist tot. Er ist an einer Krankheit gestorben, die mich jetzt auch heimsucht. 30 Jahre nach seinem Tod ist ein Abschiedsbrief gefunden worden. Aus dem klar wird, warum er gestorben ist. Er schrieb, dass er Angst hätte, „irre“ zu werden, und dass er deshalb seinem Leben ein Ende setzen will.

Ich kann seine Angst nachvollziehen. Ich habe sie auch. In meinem Kopf geht es manchmal drunter und drüber. Mein Körper reagiert psychosomatisch. Mein Herz ist in Ordnung, aber es fühlt sich manchmal so an, als hätte ich einen Herzinfarkt. Der Arzt sagt, es sei nur eine Panikattacke, nichts am Herzen. Das beruhigt, zumindest für den Moment.

Ein paar Stunden später, liege ich mitten am Tag im Bett, weine und denke über mein Leben nach. Wie eingeschränkt es ist. Was alles nicht geht. Dass es so doch nicht lebenswert ist. So kommt es, dass mich die Suizidgedanken überwältigen.

Es scheint alles so hoffnungslos, so aussichtslos. Dann habe ich Angst. Angst um mein Leben. Ich traue mir selbst nicht mehr über den Weg. Das macht alles aber nur noch schlimmer. Die Gedanken rasen, das Herz fängt schon wieder an, merkwürdig stark zu pochen, mir wird schlecht, ich habe Kopfschmerzen.

Das passiert nur, wenn ich alleine bin. Das sieht keiner. Im Höchstfall greife ich mal zum Telefon und rufe meine Familie an, oder ganz, ganz enge Freunde, die auch depressiv sind und mich deshalb halbwegs verstehen, auch wenn sie mir nicht wirklich helfen können.

Depression ist eine seelische Erkrankung. Von außen nicht sichtbar, von innen in manchen Fällen tödlich. In Selbsthilfegruppen habe ich schon oft gehört, dass es den Betroffenen manchmal lieber wäre, sie hätten eine körperliche Erkrankung. Im ersten Moment klingt das makaber, aber es geht nicht darum, Krankheiten miteinander zu vergleichen, sondern darum, nach außen begreiflich zu machen, wie man leidet, obwohl für Außenstehende der Schmerz unsichtbar ist.

Unser Hilfesystem steckt quasi noch in den Kinderschuhen. Seelische Erkrankungen sind oft sehr komplex und gar nicht so weit erforscht, wie man im Allgemeinen annimmt. So sind die oft so hoch gelobten und sehr schnell verschriebenen Antidepressiva nicht so spezifisch einsetzbar, wie sie sein müssten, um effizient helfen zu können.

Bekommt man Antidepressiva verschrieben, folgt meist eine längere Phase des Ausprobierens. Zuerst wird durch Schlucken einer kleinen Dosis getestet, ob das Antidepressivum überhaupt irgendeine positive Wirkung hat, die im Übrigen bei jedem anders sein kann und meistens nicht ohne Nebenwirkungen auftaucht. Dann wird mit der Dosis herumexperimentiert. Mal mehr, mal weniger, um herauszufinden, was gut wirkt.

Oft sind die Nebenwirkungen so stark, dass gleich das nächste Antidepressivum ausprobiert wird. Dann geht das Spiel mit der Dosis von vorne los. Solange bis man endlich etwas Passendes gefunden hat oder aufgibt, weil die Wirkung nicht die ist, die man sich erhofft hat, oder man die Nebenwirkungen nicht in Kauf nehmen kann.

Das ist zurzeit ein geläufiger Ansatz, um Menschen mit Depressionen zu helfen. Aber Depressionen oder andere seelische Erkrankungen haben nicht nur eine körperliche Komponente, die es zu bewältigen gilt. Viel mehr geht es um Alltagsprobleme, um das Miteinander. In puncto Medikamente geht es oft auch um die Frage der Selbstbestimmung.

Ich glaube, mein Opa ist vor 30 Jahren gestorben, weil seelische Erkrankungen ein Tabuthema waren. Er hat mit niemandem darüber gesprochen und sich von der Angst leiten lassen. Ich bin froh, in einer Zeit zu Leben, in der es immer selbstverständlicher wird, über diese Themen offen zu reden. Auf diese Weise kann man Lösungen schaffen, die einen anderen Weg ermöglichen als den Weg, den mein Opa gewählt hat. Auch wenn es schwer ist: Ich bin sicher, dass wir auf dem Weg sind, etwas zu verändern, indem wir uns öffnen und uns anderen mitteilen.

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1 Kommentar

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  • Ja, dass wir "auf dem Weg" sind, glaube ich auch. Aber noch sind wir ganz am Anfang eines ziemlich langen Weges, der nicht eben gradlinig verläuft.

     

    Wer sich "öffne[t]" und sich "anderen mitteil[t]", der muss immer noch damit rechnen, dass diese Anderen ihn weder verstehen noch ernst nehmen (wollen). Sie wollen entweder über seinen Kopf hinweg entscheiden oder in Ruhe gelassen werden - sofern sie nicht versuchen, die Situation zu eigenen Gunsten auszunutzen. Diese Gesellschaft hat ganz überwiegend überhaupt noch kein Gespür dafür, wie echte Hilfe geht, und sie hat auch keine brauchbaren Rollenmodelle.

     

    Woher denn auch? In der Vergangenheit gab es im Wesentlichen drei Rollen: Die des wohlmeinenden Patriarchen bzw. Muttertiers, die des ignoranten Desinteressierten und die des aggressiven Miststücks. Wir haben einfach nicht gelernt, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Schon gar nicht solchen, die uns ihre Schwächen zeigen. Statt dessen wurde uns beigebracht, dass wir unter allen Umständen auf unsere Kosten kommen und uns beweisen müssen. Wird höchste Zeit, dass wir kapieren: So gaht das nicht.

     

    Ein erster Schritt wäre es wohl, nicht nur über Menschen zu reden, die unsere Hilfe brauchen, sondern auch mit ihnen. Dann würden wir vielleicht erfahren, dass diese Menschen mindestens so gut wie jeder andere wissen, was sie brauchen von uns - und was ganz sicher nicht.