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Kolumne Die CouchreporterDer dunkle Spiegel unserer Realität

Die App bestimmt das Leben. In der ersten Folge der neuen Staffel von „Black Mirror“ bewertet Lacie Pound Interaktionen mit Mitmenschen.

4,2 von 5 Sternen: Lacie Pound freut sich über ihr Rating. Doch sie möchte sich noch verbessern Screenshot: YouTube/Netflix

W as, wenn wir uns alle nach jeder Begegnung per App bewerten würden und unsere Miete davon abhinge? Was, wenn Menschen, die in sozialen Medien Morddrohungen bekommen, dann wirklich auf brutale Art ermordet würden? Was, wenn Menschen von Hackern mit gestohlenen Sexfotos zum Morden gezwungen würden? Ist das schon Sciencefiction oder ist das einfach nur die Zeit, in der wir leben? Die dritte Staffel der Serie „Black Mirror“ entwirft eine Reihe von Dystopien, die manchmal von unserer Gegenwart kaum zu unterscheiden sind.

Der Titel „Black Mirror“ meint die zahlreichen spiegelnden Flächen, die uns im Alltag umgeben, die Bildschirme von Smartphone, Computer und Fernseher. In der Serie, die nun nicht mehr beim britischen Sender Channel 4, sondern auf Netflix läuft, haben diese dunklen Spiegel etwas Bedrohliches.

Jede Folge erzählt eine für sich stehende Geschichte in einer für sich stehenden Welt, aber in jeder Folge unterwerfen die „Mirrors“ die Menschen auf eine eigene Art. Oder besser: Die Menschen unterwerfen sich (mit) ihnen selbst und gegenseitig.

In der ersten Folge der dritten Staffel lebt Lacie Pound in einer Welt, in der alle Menschen sich gegenseitig ständig per App mit bis zu fünf Punkten bewerten. Die ersten Szenen, in denen Menschen mit ihren Handys herumstehen, in denen Pound ihren Kaffee abfotografiert und postet, obwohl er ihr nicht schmeckt, sind dem Zuschauer gar nicht so fremd.

Doch die Bewertungen sind Facebook, Linkedin und Schufa in einem. Sie bestimmen, welche Jobs und Wohnungen man bekommt und wo man erwünscht ist. Wer ein Rating von weniger als 2 hat, wird verachtet. Pound, mit einem respektablen Rating von 4,2, will gerne aufsteigen. Aber um einen Rabatt auf ihr Traumapartment zu bekommen, bräuchte sie ein Rating von 4,5. Und dafür geht sie viele fragwürdige Kompromisse ein.

Die Serie eignet sich nicht zum Binge Watching

„Black Mirror“ meint aber auch die dunkle Spiegelung unserer Realität. Das ist der Markenkern der Serie. Konsequent denkt sie die düsteren Seiten unserer technologischen Realität zu Ende. Die Folgen steigen meist unscheinbar ein und steigern sich.

Ein Weltenbummler muss schnell Geld verdienen und testet ein neues Horror-Computerspiel, das die eigenen Ängste virtuell wahr werden lässt. Ein Mädchen lädt ihrem Bruder aus Versehen einen Virus auf den Rechner. Wenig später filmen ihn Hacker beim Masturbieren und erpressen ihn mit dem Video.

Eine Journalistin wird auf Twitter bedroht, nachdem sie sich abfällig über Behinderte geäußert hat, und wird kurz darauf ermordet. Man ahnt immer schon früh: Die Geschichten enden nicht gut.

Deshalb ist es schwer, „Black Mirror“ internetgerecht in einem Rutsch anzuschauen. Die Folgen sind, in ihrer Spannung zwischen „das ist zu düster, um je wahr zu werden“ und „genau so ist doch die Welt“, extrem verunsichernd.

Zugleich sind die Drehbücher von Charlie Brooker nach den zwei ersten Staffeln vorhersehbar geworden: Die Fixierung auf Pädophilie und sinnlose Machtspiele, die düsteren Wendungen kurz vor Schluss und die ProtagonistInnen, die die bunte Matrix der farblosen echten Welt vorziehen. Umso überraschender sind dafür die wenigen Folgen, die ein befreiendes Ende haben.

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Lalon Sander
Datenjournalist
Lalon Sander ist Datenjournalist. Sein Schwerpunkt liegt in der Aufbereitung von Datensätzen zum Klimawandel.
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1 Kommentar

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  • Schon klar, Spiegel müssen etwas "bedrohliches [haben]", wenn man sie auf Netflix vermarkten möchte. Wer Fische fangen will, hängt ja auch einen Wurm an seine Angel, nicht wahr?

     

    Nein, die "schwarzen Spiegel" – die so schwarz gar nicht sind, wenn mensch sie erst mal eingeschaltet hat – haben nicht nur "etwas Bedrohliches" an sich. Sie strahlen auch Hoffnung(en) aus. Menschen überall auf dieser Welt können mit ihrer Hilfe angstfrei miteinander kommunizieren. Zumindest so lange, wie sie sich nicht den Unterwerfungs-Dystopien fragwürdiger Super-Unternehmer unterwerfen, deren Lieblings-Vorstellung darin besteht, dass alle Menschen dieser Welt sich nicht nur abendfüllend drohen lassen möchten von ihnen, sondern anschließend auch noch dafür bezahlen, dass ihnen jemand Angst einjagt.

     

    Ich sage so was nicht so leicht, aber: die Rating-Agenturen sind die Pest. Das Geld, das sie fürs raten haben wollen, wird besser anderswo vergraben. Es ist der Mensch, der sich entscheiden muss, nicht die Maschine. Wer nicht nur eine Stelle hintem Komma sein (und bleiben) will, der lernt von Wanderratten siegen. Die nämlich kooperieren nur mit solchen Wanderratten, die ihnen hin und wieder ebenfalls was Gutes tun. Wer nicht hilft, wenn es was zu helfen gibt, guckt selber auch in die (entschieden schwarze) Röhre.

     

    Hier also mein Rat an die taz Couchreporter: Wenn jemand euch "extrem verunsicher[t]", dann solltet ihr auf sein internetgerechtes Angebot womöglich sch... - äh: pfeifen wie die Wanderratten. Bildschirme aus, Manipulation vorbei. Im schwarz gewordenen Spiegel kann man sich dann vielleicht nach vielen Monaten mal wieder selber sehen. Gut möglich, dass einem angesichts dessen, was man da erkennt, die "Fixierung auf Pädophilie und sinnlose Machtspiele" nicht mehr ganz so alternativlos erscheint. :-)