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Kolumne MachtDas Volk hat keine Sorgen

Bettina Gaus
Kolumne
von Bettina Gaus

„Aufbruch zu etwas Neuem?“ „Die Karten neu mischen?“ Wer Populisten Einhalt gebieten will, sollte zunächst seine eigene Sprache überprüfen.

Das Volk? Wer soll das sein? Foto: dpa

P opulisten haben jetzt Oberwasser, selbst hierzulande. Sie sehen sich auf der Gewinnerstraße. Ich fürchte: sie haben Recht. Aber dafür braucht es keinen Donald Trump. Ihre Erfolge verdanken die Populisten auch Leuten, die keinerlei Sympathien für sie hegen – sich ihnen aber längst gedankenlos im Ton angepasst haben. Nein, ich rede nicht von der CSU. Sondern auch von Lesern dieser Kolumne. Und von manchen taz-Kollegen.

Am Tag nach der US-Wahl erreicht die Redaktion die Zuschrift einer Leserin. Differenziert, mit einer erfrischenden Portion Galgenhumor, tief besorgt über die Entwicklung in den Vereinigten Staaten. Und dann kommt sie, die kleine, verräterische Bemerkung: Vielleicht sei der Sieg von Trump ein „Aufbruch zu was Neuem, eine letzte Warnung? Wäre ja mal eine Chance, alle Karten neu zu mischen.“

Nur Stunden später bekomme ich eine Mail von einem Freund. „Geschockt“ sei er von Trumps Sieg: „Aber jetzt kann ich dem insofern etwas Positives abgewinnen, als dass ich glaube, dass es schmerzhaft allen Politikern, Parteien etc. vor Augen führt, dass es so nicht weitergehen kann.“

Was genau kann so nicht weitergehen, lieber Freund, der Du mich lebenslang links überholt hast? „Allen Politikern“ soll also etwas „vor Augen“ geführt werden. Wem denn vor allem, Söder oder Wagenknecht?

Und, sehr geehrte Leserin, wie stellen Sie sich das konkret vor, wenn „alle Karten neu gemischt“ werden? Merkst Du, merken Sie eigentlich wirklich nicht, welchen Sound ihr da bedient – und aus welcher Ecke der kommt?

Das „Volk und seine Sorgen“

Wenn ich es recht sehe, dann werden in den USA gerade alle Karten neu gemischt. Und die Hälfte der Bevölkerung dort sowie weite Teile des Rests der Welt haben Angst. Zu Recht. Alles auf Null zu stellen, funktioniert nur im Computerspiel. In der Realität geht bei derartigen Versuchen erfahrungsgemäß sehr viel kaputt. Und zwar im wörtlichen, nicht etwa nur im übertragenen Sinne.

Ach, wenn diese Mails doch einzelne Ausrutscher wären! Aber das sind sie nicht. Sogar in Nachrichtenredaktionen versagen manchmal alle Warnsignale. Im letzten Satz eines Beitrages von n-tv hieß es am Donnerstag, der Sieg von Trump könne „ein letzter Warnschuss für Merkel, Gabriel und Co“ gewesen sein, „das Volk und seine Sorgen ernstzunehmen“.

taz.am wochenende

Abschied von Amerika. Unsere Autorin hat die Präsidentschaft Obamas als Korrespondentin begleitet. Jetzt war sie dabei, als sein Nachfolger gewählt wurde. Was sich im Land verändert hat und wie es nun weitergeht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 12./13. November 2016. Außerdem: Der ARD-„Tatort“ erlebt seine 1.000 Aufführung. Warum ist er so erfolgreich? Und: Wenn der Feminismus „cool“ wird. Unterwegs mit drei Expertinnen. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Das „Volk und seine Sorgen“! In einem Nachrichtentext! Geht’s noch?

Für alle Nicht-Journalisten hier mal eine Grundregel unseres Berufes, die im Regelfall selbst Praktikanten nach der ersten Woche verstanden haben: „Das Volk“ hat keine Sorgen. Teile des Volkes machen sich Sorgen über Altersarmut, über die Gefahr von Einbruchskriminalität oder terroristischen Anschlägen, über zu hohe oder zu niedrige Steuern, über einen zu hohen oder zu niedrigen Mindestlohn. Übrigens alles Themen, mit denen sich Parlament und Regierung befassen. Die Ergebnisse finden jeweils Teile des Volkes toll, blöd, egal.

Ich – und ja: auch ich bin Teil des Volkes! – mache mir ebenfalls Sorgen. Unter anderem über den Geisteszustand mancher Kollegen. Denn was tut die Redaktion von n-tv? Sie lässt den Beitrag laufen, Stunde um Stunde, immer wieder. Was hätte sie tun sollen? Ihn dort versenken, wo der Papierkorb am tiefsten ist und dem Autor ein Volontariat anbieten.

Wer Populisten jetzt Einhalt gebieten will, muss nicht auf die Straße gehen und auch keine dramatischen Aktionen starten. Sondern erst einmal die eigene Sprache überprüfen und auf das wohlige Gefühl verzichten, das allgemeines Genöle bei einem selbst und bei allen Gleichgesinnten hevorruft. Klingt einfach, ist schwierig. Weiß ich.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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42 Kommentare

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  • 7G
    74450 (Profil gelöscht)

    "Und, sehr geehrte Leserin, wie stellen Sie sich das konkret vor, wenn „alle Karten neu gemischt“ werden? Merkst Du, merken Sie eigentlich wirklich nicht, welchen Sound ihr da bedient – und aus welcher Ecke der kommt?"

     

    Die Frage ist doch, auf welches Politkfeld sich diese Formulierung bezieht. Wenn Außen- und Handelspolitisch "die Karten" neu gemischt würden, ginge es möglicherweise 90% der Weltbevölkerung besser.

     

    Es ist nicht wahrscheinlich, dass es so kommt, aber ein Ende des us-amerikanischen Interventionismus wäre schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Dass die Karten neu gemischt werden könnten, ängstigt nur die, die was zu verlieren haben. Eine zunehmende Zahl an Menschen hat aber nichts mehr zu verlieren (zumidest außerhalb der "westlichen Welt"). Da ist es egal, aus welcher Ecke der Veränderungsimpuls kommt.

    • @74450 (Profil gelöscht):

      Jede/r hat etwas zu verlieren. Ausnahmslos. Und "die Karten einfach mal neu mischen", das geht irgendwie davon aus, dass beim Mischen nichts verloren gehen kann, dass am Ende jede/r wieder fünf in der Hand hat und gut. Aber so funktioniert das nicht. Die Welt ist kein Kartenspiel. Schon eine einfache Vereinssitzung ist komplizierter als eine Skatrunde. In der Welt kann es sein, dass man die Karten neu mischt und, hoppla, plötzlich spielt man nicht mehr Skat, sondern Risiko.

  • "Das Volk" hat keine Sorgen zu haben, soll es wohl eher heißen.

     

    In dem Moment ist es mir ehrlich gesagt egal, ob eine wie auch immer definierte Gruppe "Sorgen" hat oder ich meine persönlichen Bedenken und Sorgen artikuliere.

     

    Ich habe seit Jahren die Sorge, dass ich nicht weiß, wen ich wählen soll und ich will definitiv viele nicht wählen und tue das auch nicht. Besser geht es mir und anderen dadurch allerdings nicht. Ich diszipliniere mich und halte meinen Intellekt eingeschaltet. Aber ob das auf Dauer geht, kann ich nicht prophezeien. Aber uns/mir geht es ja sooooo gut!

     

    Ich kann ihre Freunde verstehen und denke und artikuliere ähnliches seit Mittwochvormittag. Vielleicht habe ich mich dabei auch nicht korrekt ausgedrückt. Egal, die Welt hat andere Probleme und ich auch: z. B. bevorstehende Altersarmut.

     

    P.S.: Ich sage nicht N..., nicht Z... und gehe auch montags nicht in DD spazieren. Aber ich kann auch nicht nur korrekt sprechen und handeln, wenn andere sowie ich dabei vor die Hunde gehen.

    • @Hanne:

      Es geht nicht darum, sich unbedingt korrekt auszudrücken. Es geht darum, nicht die Sprache der Populisten zu übernehmen.

      Es geht nicht um konkrete Sorgen, die Sie oder andere tatsächlich haben, sondern umd "dem Volk" (wer soll das sein, so konkret?) nach Gusto zugeschriebene Sorgen. "Das Volk hat Sorgen", das ist (journalistischer, politischer) Blödsinn und klingt für mich eher nach einem Satz aus einem Comic: "Das Volk hat Sorgen, oh Caesar!" - "Lass Löwen bringen, Gaius Promptus!"

    • @Hanne:

      Also weil Sie korrekt sprechen und handeln, gehen Sie oder Andere vor die Hunde? Wie das bitte?

      • @Earendil:

        nicht "weil", sondern während/zeitgleich

  • "Das „Volk und seine Sorgen“! In einem Nachrichtentext! Geht’s noch?"

     

    In diesem Satz haben Sie sehr schön zusammengefasst, warum "das Volk" Trump gewählt hat: Keinerlei Emathie für die, die jeden Tag Angst und Sorge um ihren Arbeitsplatz haben, an dem der Kredit fürs Haus hängt. Die Sorgen der Eltern in den "Außenbezirken", die sich, vor allem jetzt bei der Dunkelheit, jeden Tag Sorgen darüber machen, ob ihre Kinder heil nach Hause kommen...

     

    Aber selbst im noblen Kiez leben und die Kinder auf die Privatschule schicken: Scheinheilig!

    • @Jens Frisch:

      Meine Fresse: Wer unter realen gesellschaftlichen Problemen leidet, soll

      - den Arsch hochkriegen,

      - sich mit anderen, die unter denselben Probleme leiden, zusammentun

      - versuchen die Strukturen zu erkennen, die seine Probleme verursachen,

      - möglichst Solidarität mit anderen suchen, die unter anderen, prinzipiell vergleichbaren Problemen leiden

      - und gemeinsam aufbegehren und gesellschaftliche Macht entfalten, um diese Strukturen zu ändern oder zu überwinden, so dass die Probleme behoben werden können!

       

      Dieser klassische, solidarische linke Weg ist nämlich der einzige, der zu positiven Veränderungen führen kann!

       

      Und nicht sich als "das Volk" bezeichnen, "Volksverräter" und andere Sündenböcke suchen, sich mit Pseudoproblemen wie der "Islamisierung des Abendlandes" oder "mexikanischen Kriminellen" beschäftigen und dahergelaufene Großmäuler wählen, die alles Mögliche versprechen, nur nichts, was die eigene Lage tatsächlich verbessern könnte!

       

      Dieser klassische rechte Weg hat nämlich noch nie irgendwas Positives hervorgebracht. Wer den beschreitet, ist entweder ziemlich dumm oder macht sich ganz andere "Sorgen" als um Arbeitsplatz, Hauskredit oder persönliche Sicherheit.

      • @Earendil:

        Ich würde niemals von "Volk" sprechen bzw. bei DEM "Volk" mitlaufen. Darum geht es meines Erachtens allerdings nicht, sondern zumindest mir, dass es nicht reicht, nur selbst korrekt und solidarisch zu sein, WÄHREND die GRÜNEN, die SPD und auch die CDU sich einen Dreck um ihre sozialen "Problembereiche" scheren und im Gegenteil noch weiter drauf treten. Es wird immer noch von arbeitsfaulen Asozialen gefaselt, die ihre Kinder nicht erziehen können, wenn es um ALG II-Bezieher etc. geht. Oder die absurden Statistiken zu Arbeitslosenzahlen und Erwerbsminderungs- und Altersrenten.

         

        Hallo, wer geht in D/EU mal diese Themen an, anstatt immer auf Griechenland etc. zu zeigen, die angeblich auch nichts auf die Reihe bekommen.

         

        Wieso hat D nach 1945 was "auf die Reihe" bekommen? Und wieso sieht jetzt fast keiner, dass die sozialen und fast gerechten Jahre vorbei sind?

         

        Das ist meine Wut, auch wenn ich mich mit anderen zusammen tue.

  • "Das Volk" ist sprachlich einfach nicht totzukriegen - sonst aber regelmäßig.

    • @Rainer B.:

      Wie ist denn "das Volk" regelmäßig sprachlich tot gemacht worden? Haben Sie ein bessereres Wort dafür?

       

      Ansonsten: "Goebbels war höflich, der hat wenigstens gefragt" https://www.youtube.com/watch?v=EAUUj8NlNo8

      • @Jens Frisch:

        Was lesen Sie denn da? Ich hab doch nirgendwo geschrieben, dass das Volk regelmäßig sprachlich tot gemacht worden ist.

         

        "Haben Sie ein besseres Wort dafür?"

        Wofür denn eigentlich?

        • @Rainer B.:

          Volk, oder wenn Sie mögen auch "Pöbel" (vom franz. peuple, Volk)

          • @Jens Frisch:

            Warum nehmen Sie nicht die englische Variante "the people", die ich hier einfach mal mit "die Leute" übersetzen würde. Bei "das Volk" denkt mittlerweile ja jeder automatisch an Rasse, Abstammung, Verwandtschaft, Sprach- und Kulturraum etc., was schon früher meist komplett am Ding vorbei ging. Ausserdem wird mit dem Wort "Volk" ja regelmäßig eine Abgrenzung der Mehrzahl zu einer vermeintlichen Elite/Herrschaft verbunden. Wer also als Demokrat erkennbar bleiben will, verwendet dieses Wort besser nicht.

  • Super Artikel, danke

  • Gute Kolumne!

     

    Die populistischen Pferdeflüsterer & Volksversteher, wie sie zur Zeit aus allen politischen Gebüschrichtungen angedackelt kommen gehen einem mächtig auf den Keks.

  • Danke Frau Gaus,

     

    "Wir bräuchten erst einmal reinen Tisch", und das von "links", lässt mir die Lage nur noch fataler erscheinen. Trump als Korrektiv ist wie Naturkatastrophe zur Heilung, nur dass wir diese gut vorhersagen könnten.

  • Die größten Populisten sind doch die Euphemismus-Profis, die seit über 15 Jahren den Neoliberalismus und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft schönreden, so nach dem Motto "Wir nehmen Dir zwar etwas weg und schikanieren Dich, aber sieh’ es doch einfach als Chance und sei uns dankbar dafür, denn immerhin geht es 'uns allen' statistisch gesehen jedes Jahr um ca. 0,3% besser!".

     

    Ach, gehen wir noch weiter zurück, was waren denn Kohls Äußerungen "Jetzt müssen wir alle den Gürtel enger schnallen!" oder später das Gerede von den "blühenden Landschaften" anderes als reiner Populismus? Diese Linie hat sich über das Auftreten deutscher Spitzenpolitiker auf dem Maidan, wo wenige Meter weiter Brandsätze gegen Polizisten geworfen wurden über die Hetzartikel deutscher Medien gegen die faulen Griechen bis hin zu Merkels "Wir schaffen das!" fortgesetzt, wobei nicht Merkels Ausspruch der Skandal war, sondern die Reaktion der Scheinheiligen auf Wagenknechts Anmerkungen dazu, dass die sozialen Kosten der Massenflucht bei uns einmal mehr denjenigen angelastet werden, die sowieso am wenigsten haben und dass an den Fluchtursachen nichts geändert wird.

     

    Der Begriff Populismus ist zu einem Kampfbegriff derjenigen geworden, die sich nicht mehr mit den eigenen Fehlern auseinandersetzen wollen und gehört von daher aus jeglichem seriösen Diskurs verbannt!

    • @Khaled Chaabouté:

      Sie haben einfach nicht begriffen, was Populismus meint. Aber Wikipedia kann Ihnen weiterhelfen:

       

      "Populismus ist geprägt von der Ablehnung von Machteliten und einigen Institutionen, Anti-Intellektualismus, einem scheinbar unpolitischen Auftreten, Berufung auf den „gesunden Menschenverstand“ (common sense) und die „Stimme des Volkes“, Polarisierung, Personalisierung, Moralisierung und Argumenten ad hominem. Populismus betont häufig den Gegensatz zwischen dem „Volk“ und der „Elite“ und nimmt dabei in Anspruch, auf der Seite des „einfachen Volkes“ zu stehen."

       

      Der Begriff gehört nicht verbannt, sondern präzise eingesetzt. Auf Trump passt er mehr als auf irgendwas anderes. Auf die von Ihnen gebrachten Beispiele passt er hingegen gar nicht.

  • @;)(

     

    Die Simulatoren von Münster -

    Was ist die Welt doch finster.

    Gut derb auf die zu Schängen -

    Wo doch Käfige an St. Alberti hängen!

    Doch jeder Bourgeois liebt nun mal &

    Das gilt ganz global - Das Kapital!

    Citoyen? - wo kommer denn da henn!

    Gilt für Betbrüder wie Betschwestern

    Was stört unser Sabbeln von gestern!

    Die exAO/K-ler stimmen fröhlich ein -

    Soo soll es sein - Soo wird es sein!

    Mag die grüne Basis noch so tönen

    Schwatzgrün gahrpSPD - Wir frönen!

    Mag auch die Linke noch so winken -

    Rechts ab gehts! - Links - nur blinken!

  • Damit es "postfaktisch" werden kann, muss es einmal "faktisch" zugegangen sein. "Faktisch" ist ein Kampfbegriff. Faktisch war es einen Peter Hartz mit dem "Umbau" des BRD-Sozialsystems zu beauftragen, es war auch "faktisch" 2011 Mario Monti mit seiner Regierung aus Fachleuten über die Geschicke Italiens walten zu lassen. Die Fakten bestimmen auch die Politik Griechenlands wenn Volksentscheide ignoriert werden. An "Fakten" orientierte Politik ist oft genug eine post-demokratische, neofeudale Politik unter der verschleiernden Terminus: Governance. Die "postfaktischen" Lügen über Hillary sie sei Anhängerin eines Hexenkults oder an Parkinsons erkrankt, oder eine Reptiloidin haben ihr nicht den Sieg gekostet sondern die "Fakten" ihrer bisherigen Arbeit und die "faktische" Politik für die sie steht. Den mehrdeutigen Begriff "Volk" zu problematisieren halte ich für richtig, Wenn dann aber so etwas wie "there is no such thing as Volk" herauskommt. Wurde links geblinkt und rechts abgebogen (habe gestern sinngemäß etwas ähnliches geschrieben, was irgendwie nicht gepostet wurde, hoffe, das erscheint jetzt nicht zweimal :) )

  • There is no such thing as "the Volk"!

  • Puh. Nach einem vielversprechenden Auftakt mit Deborah Feldman und Gereon Asmuth scheint ihr euch auf eine andere Deutung verständigt zu haben, die mE massiv in die falsche Richtung geht. Vielleicht, weil euch gedämmert hat, was für weitreichende Konsequenzen es haben würde, wenn ihr den Weg weiter geht.

     

    In dem Bundesland, in dem ich lebe, sind 25% der Menschen im Niedriglohnsektor. Was glaubt ihr denn, wie deren Alltag aussieht? Interessiert euch das überhaupt? Wisst ihr, was die von eurer Sprachregelung haben? Genau gar nix.

     

    Doris Akrap hat es die Tage live vorgeführt, erst das Konzept "die Abgehängten" diskreditiert und gleichzeitig ein neues Totschlaglabel "Trump-Versteher" eingeführt. So legt man sich Herrschaftsinstrumente zurecht, nimmt moralische Überlegenheit in Anspruch, die einem schon lange nicht mehr zusteht, verschafft sich gesellschaftliche Relevanz und Deutungshoheit, die sich direkt in materielle Vorteile und Status übersetzen. Denn ohne Mühe ist man eine Instanz und gefragt.

     

    Wir sind mal angetreten, um aus dieser Welt eine zu machen, die für ALLE lebenswert ist. Das habt ihr längst verdrängt.

     

    Trump ist nur ein Katalysator, was soll man denn auch wählen bei dieser tollen "Auswahl"? Ein kurzzeitiger Schock fürs gut geölte "Weiter so".

     

    Derweil simulieren die Grünen soziales Engagement über Prozentpunkte bei der Vermögenssteuer. Es ist so erbärmlich.

    • @uvw:

      Was ist Ihnen denn lieber? Ein paar Prozentpunkte (5,50 €) mehr bei Hartz4 stattdessen?

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @uvw:

      Der Populist erzeugt Angst und malt die Realität in trübsten Farben. Der Untergang steht bevor.

      Dann er stellt er sich als wahren und einzigen Repräsentanten "des" Volkes und als dessen Retter dar. Er präsentiert einfache und radikale Patentrezepte. Diese führen en passant dazu, dass liebgewordene rechtsstaatliche Grundsätze oder auch nur Mindestformen menschlichen Anstandes, leider, leider über Bord geschmissen werden müssen.

      Aus diesem Grund ist es hilfreich daran zu erinnern, dass der Untergang nicht bevorsteht, wenn zB. 850.000 Flüchtlinge kommen. Dass, bei aller Armut in Deutschland, von einer massenhaften Verelendung breiter Schichten nicht die Rede sein kann. Dass es "das" Volk sowieso nicht gibt. Es ist Zeit daran zu erinnern, dass es zu keiner Zeit in der Geschichte unserem Land und seinen Bewohnern besser gegangen ist als heute. Und dies hat Gründe: Europäische Union, Grundgesetz, soziale Marktwirtschaft, Einwanderung. Wer daran etwas ändern will, sollte hier keine Mehrheiten finden. Wer an den bestehenden Problemen etwas ändern will soll das tun.

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @uvw:

      "Was soll man denn auch wählen bei dieser tollen "Auswahl"" ? Ganz leicht, UVW:

      Nicht Trump. Niemals Trump.

      Und wer diese banale Wahrheit nicht rafft, sollte das Kommentieren lassen.

      Die meisten Trump-Wähler gehören gerade nicht zu den Abgehängten, sondern sind wohlsituierter als der Rest der Gesellschaft. Wie bei uns der klassische AfD-Wäler und Sarrazinverehrer. Es sind Leute, die dem Anderen nicht den Dreck unter den Fingernägeln gönnen, wenn sie meinen, zu kurz zu kommen. Es sind Leute, die meilenweit entfernt davon sind, unsere Welt für ALLE besser zu machen. Es sind Leute, die hassen wollen. Fremde, Frauen, Andere.

      Abgesehen davon, dass Armut niemanden dazu berechtigt, Faschismus zu wählen, auch nicht als Katalsysator; es ist geradezu himmelschreiend arrogant, Armen und Deklassierten zu unterstellen, sie könnten sich nur auf der Faschismusebene artikulieren. Da ist mir die von Hillary verkörperte Oberschicht allemal lieber, die nimmt die Ärmsten und ihre Anliegen sicherlich ernster.

      • @60440 (Profil gelöscht):

        "Die meisten Trump-Wähler gehören gerade nicht zu den Abgehängten, sondern sind wohlsituierter als der Rest der Gesellschaft"

         

        – Angenommen es wäre so, dann bleibt immer noch einer kleiner Rest an Wählern übrig, die sich aus sozialen Gründen für Trump entschieden haben, entweder weil es ihnen tatsächlich schlecht geht, oder weil sie die Befürchtung haben ihre Lebensverhältnisse könnten sich verschlechtern, und dieser vielleicht gar nicht so kleine, zumindest aber in einem Mehrheitswahlsystem entscheidende Teil hat Hillary z.B. im Rostbelt die Stimme verwehrt. Mit den bekannten Folgen.

         

        "Abgesehen davon, dass Armut niemanden dazu berechtigt, Faschismus zu wählen, auch nicht als Katalsysator; es ist geradezu himmelschreiend arrogant, Armen und Deklassierten zu unterstellen, sie könnten sich nur auf der Faschismusebene artikulieren. "

        – Da gebe ich Ihnen Recht, aber dann schreiben Sie:

        "Da ist mir die von Hillary verkörperte Oberschicht allemal lieber, die nimmt die Ärmsten und ihre Anliegen sicherlich ernster." Und ich komme ins Grübeln. Lag nicht gerade hier das Problem. Die von Hillary verkörperte Oberschicht hat dieses Anliegen niemals gehabt, oder es sehr geschickt verborgen.

        • 6G
          60440 (Profil gelöscht)
          @Sandor Krasna:

          Und weil ein ehemaliger Stahlarbeiter des Rust-Belt den guten alten Zeiten nachtrauert, wählt er den stinkreichen Milliardär, der keine Steuern zahlt und stolz ist drauf; und der chinesischen Stahl auf seinen Baustellen verbaut weil der billiger ist - wobei er den Freihandel aufkündigen und chinesische Importe verteuern will. Ah ja. Und die Sorgen des ehemaligen Stahlarbeiters im Rust-Belt werden weiniger, wenn Millionen arme Schlucker ausgewiesen werden, (die er nicht kennt, weil die gibts ja nicht da wo er wohnt), und eine große Mauer im Süden der USa gebaut wird. Ah ja. Und The Donald wird - im Gegensatz zur Hillary - Steuererleichterungen für das eine reichste Prozent durchsetzen, eben weil ihm die Sorgen der kleinen Leute so am Herzen liegen. Und den Mindestlohn will er nicht erhöhen, im Gegensatz zur Hillary. Wissen Sie was ? So dumm sind die Kälber nicht. Die Trump-Wähler wissen woran sie beim Trump sind. Es ist ihnen egal. Solange sie hassen können ...

          • @60440 (Profil gelöscht):

            Ich habe nicht gesagt dass die ArbeiterInnen in den ehemaligen Industriezentren der USA mit ihrer Entscheidung für Trump ihre ökonomischen Interessen gut verteidigt haben. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass NICHT ALLE Wähler Trumps weiße, rassistische Millionäre sind. Es gibt bestimmt auch HartzIV Empfänger die die Grünen wählen, das ist natürlich widersprüchlich und dumm, aber würden Sie das auch ausschließe? Rassimus und Hass taugt nicht allein als Erklärung für Trumps Wahlsieg, sonst wäre Obama niemals zwei mal gewählt worden. Sie können den ökonomischen Aspekt nicht verdrängen. Und wo kommen alle diese Rassisten und Sexisten plötzlich her? Sind sie so geboren worden und haben sie nur auf den richtigen Kandidaten gewartet? Und was macht man nun mit diesen Leuten?

    • @uvw:

      Danke - vor allem für "die für ALLE lebenswert ist."

      Das "faktische" "Deutschland geht es gut" ist so ein unglaublich wütend machender Satz! Jeder Einzelne könnten wir sein - wenn wir tief nachdenken! Das Gutgehen jedes Einzelnen wenn uns am Herzen liegt, dann ist das eine schönere Welt. Das ist nicht weltfremd - nur wer den Mut verloren hat, das Gute zu denken, wird es sicher nie erreichen.

    • @uvw:

      danke!!!

  • 3G
    32795 (Profil gelöscht)

    Man sollte grundsätzlich erst einmal nachdenken bevor man sich der Sprache bedient, dann fällt das mit der Überprüfung der eigenen Sprache gleich leichter.

     

    Wir tun uns schwer damit gegen die Populisten anzureden. Das Problem ist ja, sie zeigen mit dem Finger auf Symptome die wir verleugnen. Das gibt ihnen dann wiederum die alleinige Lufthoheit die Ursachen der Symptome betreffend.

     

    Wir sollten damit aufhören die Symptome zu verleugnen und lieber über deren Ursachen und Problemlösungen streiten.

     

    Es wäre wohl an der Zeit aufzuhören zurückzuweichen. Greifen die Populisten ein Thema auf gehen wir reflexartig hin und hehaupten da gäbe es ja gar kein Problem. So weichen wir Stück für Stück zurück und überlassen ihnen das Feld.

     

    "Der Warnschuß" galt eher einer bequem gewordenen Linken. Wir sind sogar zu bequem um mit uns selbst zu ringen. Wenn ich frage "Feminismus oder Kulturrelativismus" muss ich schon froh sein wenn mich niemand mit etwas bewirft. So haben wir den Populisten nicht viel entgegenzusetzen, nicht auf Dauer....

  • Tut mir leid Frau Gaus aber ihre Kollegen haben völlig recht. Glauben Sie etwa die Leute hätten Trump gewählt weil ihnen langweilig ist? Ich sehe die Welt nicht so das alles bestens läuft und auch wenn sich die Leute unterschiedliche Sorgen machen so gibt es doch das verbreitete Gefühl das es denjenigen die Einfluss auf die Gesellschaft nehmen können völlig egal ist was mit den restlichen 99% passiert. Wenn in Deutschland fast 400.000 Menschen auf die Straße gehen weil sie das bisschen soziale Sicherheit und Demokratie was noch da ist behalten wollen dann interessiert das im politischen Berlin niemanden. Ich kenne Keinen der Lust hat auf TTIP, ich kenne auch Keinen der Lust hat auf Hartz 4. Aber man kann es halt nicht ändern. Jetzt kam mit den Flüchtlingen eine Kriese die die Leute die bisher mit Rückzug reagiert haben in ihrem täglichen Umfeld betroffen hat. Und ich kenne auch Keinen der sich darüber freut das viele 100.000 Flüchtlinge kommen. Ich kenne viele die sich anständig verhalten und helfen aber das jetzt jedes Jahr fast ne Millionen Flüchtlinge kommt will keiner den ich kenne. Es ist eben gerade links den Leuten eine Alternative zu bieten die ohne Rassismus auskommt. Wenn einem keine Alternative geboten wird dann sucht man sich woanders eine, im Notfall bei Trump oder der AfD

    Bisher sind große Teile der Linken doch nur durch Selbstgefälligkeit, irgnoranz und Debatten um richtiges Gendern aufgefallen. Genau das sind die Sachen die Trump und Co gegen euch verwenden und zwar zu recht

    Ich für meinen Teil gehe nächstes Jahr gar nicht wählen. Die etablierten Parteien werde ich bestimmt nicht wählen aber die Afd geht eben auch überhaupt nicht.

  • Also weiter wie bisher ?

  • Danke - daß Bettina Gaus kühl das benennt -

     

    Was Klaus Theweleit unlängst für die taz(is)

    Die Diekmannisierung der taz - genannt hat!

    Zu recht. Coffie für KaiLÜGT! - Geht´s noch! - & -

    Einer der unglaublich dämlichsten Auswüchse ~>

    Ist die aktuelle GrünVerSchwatzung der taz!

    Melodie:"Besoffskis & Friede sei mit euch!" im Duo!

    Statt die plan as plan can be asozialen Tendenzen & Sorry -

    Arschkriecherballaden von Neocons&Betbrüdern -

    Beim passenden Namen zu nennen!

    Statt Kritik humaine - billige populistische Journaille!

    Robert Misik - Hat so was von recht - wenn er sagt:

    "Aufrecht stehen, nicht auf Knien, das muss der zeitgenössische Journalismus erst üben." http://misik.at/

    kurz - rein ton katolsch warrn.

  • Solange es noch einen Kontakt zum "postfaktischen" Widerstand gibt, sollte man ihn sehr gut erhalten - denn sonst machen es die Postfaktischen wie in den USA - freundlich lächeln, sagen, dass sie "auf keinen Fall AfD wählen" und dann in der Wahlkabine mit freudigem Gesicht ihr Kreuz bei der AfD zu machen. Die manipulierte Sprachwelt kann die ausgeschlossenen Menschen nicht dazu zwingen im pseudofaktischen Raum zu bleiben - die Gesetze sind andere - es sind eher Gesetze wie wir sie aus der Chaostheorie kennen - wer lernen will, kann sich damit mal beschäftigen - genauso wie mit dem Unbewussten/Unterbewussten - denn auch das ist ein Feld, das auf gesellschaftlicher Ebene existiert und wirkt und das sich nicht mit Wunschrhetorik verstehen lässt.

  • Dann beginnen wir doch mal mit dem Begriff "postfaktisch" - und der Impliktion, dass jetzt alles "faktisch" wäre. DIE Begriffe des Establishments sind NICHT faktisch und wenn sie das noch so oft behaupten - sie sind eigennützig definierte Welt, die viele Menschen ausschließt, die dann als "Abgehängte" bezeichnet werden. Die gesamte Sprache ist manipuliert und die Notwehr gegen diese Situation ist natürlich dann nicht brav "pseudofaktisch" - nein, sie ist irrationale und paradoxe Gegenwehr, die lieber in Kauf nimmt, dass alles zusammenbricht, weil diese "pseudofaktische" Welt für sie eh schon ein Leben im täglichen Zusammenbruch ist - verlieren tut nur das Establishment - das meint es könnte über pseudorationale Argumente noch was retten.

  • 2G
    2422 (Profil gelöscht)

    Guter Beitrag zum Nachdenken! Wer hat das eigentlich geschrieben?

    • @2422 (Profil gelöscht):

      Bettina Gaus. :)

      • @Karl Kraus:

        & die is ne Gute - ;)

        Wie frauman im Ruhrgebiet sagt!