Vergewaltigung in Italien: Auch Mamma schwieg
In einem italienischen Dorf vergewaltigt eine Mafiabande über Jahre ein Mädchen – niemand spricht darüber. Kein Einzelfall in Italien.
Erst 13 war sie, als sie das erste Mal vergewaltigt wurde. Zwei weitere Jahre lang wurde sie immer wieder Opfer der Gruppenvergewaltigungen, begangen von neun jungen Männern aus ihrem Städtchen, Melito di Porto Salvo, in Kalabrien ganz unten an der Stiefelspitze Italiens.
Jetzt, da der Fall bekannt wurde, zeigt sich das Land entsetzt. Entsetzt über den Fall selbst, entsetzt vor allem aber über jene Kultur des Schweigens, die es möglich machte, dass die Vergewaltiger so lange ungestört agieren konnten. Selbst die Mutter des Mädchens machte da mit. Sie fand einen Schulaufsatz ihrer Tochter, in dem das Mädchen über sein Leiden berichtete. Und was war daraufhin der mütterliche Rat? Schweigen! Schweigen, damit die Familie „nicht diskreditiert“ werde.
Die Reaktionen im Dorf, als der Fall einmal bekannt geworden war, geben der Mutter auf abscheuliche Weise recht. Einer der Täter – sie alle sind zwischen 20 und 30 – ist der Sohn des örtlichen Mafiabosses, ein anderer der kleine Bruder eines Polizisten, ein dritter der Filius eines Heeresunteroffiziers: allesamt „Respektspersonen“ im Ort. Der Respekt fehlte dann auch nicht.
Eine Frau aus Melito sprach in die TV-Kameras, sie fühle sich „den Familien der jungen Männer nah“, denn schließlich liege es an den Mädchen, „die doch nur darauf aus sind, so wie sie sich kleiden“. Eine isolierte Stimme? Der Bürgermeister jedenfalls hatte es vor allem mit den Medien, die ein „verzerrtes Bild“ von Melito zeichneten, weil sie solche Stimmen übertrugen. Und der Pfarrer wusste nur zu sagen, am Ende seien „alle Opfer, auch die Jungs“, die die Tat begangen hatten.
Frauenfeindliche Kultur
Das Opfer einer Vergewaltigung als die eigentliche Täterin: Diese Haltung ist in Teilen der italienischen Gesellschaft immer noch weit verbreitet. Noch vor wenigen Jahren fiel der oberste Gerichtshof mit einem Urteil auf, das eine Vergewaltigung deshalb für unmöglich erklärte, weil die Frau eine enge Jeans trug – und die, so die Richter, könne man ja kaum gegen echten Widerstand herunterziehen.
„Im Mittelalter“ wähnen pessimistische Beobachter wegen solcher und zahlreicher weiterer Vorfälle Italien auch heute. Ganz so schlimm ist es nicht. Doch ein gutes Stück Arbeit bleibt zu tun, bis ins römische Parlament hinein. Dort hatte der Rechtssenator Maurizio Gasparri den Einfall, die für die Verfassungsreformen der Regierung Renzi zuständige junge und gut aussehende Ministerin Maria Elena Boschi mit dem Spruch anzugehen, sie werde „weniger wegen ihrer Reformen als wegen ihrer Formen im Gedächtnis bleiben“. ,
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“