15 Jahre Einsatz in Afghanistan: Ein Ende ist nicht abzusehen
Derzeit sind noch bis zu 980 deutsche Soldaten in Afghanistan stationiert. Wonach bemisst sich der Erfolg des Einsatzes?
Immerhin: Der Bundeskanzler war ehrlich. Am Morgen des 16. Novembers 2001 trat Gerhard Schröder vor den Bundestag, die Abgeordneten sollten die Bundeswehrbeteiligung an Antiterroreinsätzen in Afghanistan und anderswo genehmigen. Drei Tage zuvor waren US-Truppen kampflos in Kabul einmarschiert, der Sieg gegen die Taliban war nah, trotzdem dämpfte Schröder die Erwartungen. „Der Kampf gegen den Terror wird noch lange dauern und wird uns einen langen Atem abverlangen. Schnelle Erfolge sind keineswegs garantiert“, sagte er.
Unmittelbar nach der Plenardebatte stimmte der Bundestag für das gewünschte Mandat. Der Afghanistaneinsatz konnte beginnen. Beendet ist er bis heute nicht. Wann die Bundeswehr endgültig aus Afghanistan abziehen wird, ist nicht abzusehen.
Das derzeit gültige Bundeswehrmandat erlaubt den Einsatz von bis zu 980 Soldaten. Sie sind im Rahmen der Nato-Mission „Resolute Support“ tätig und hauptsächlich damit beauftragt, afghanische Sicherheitskräfte auszubilden und zu beraten. Der Ausbildungseinsatz folgte auf die Stabilisierungsmission Isaf, die die Nato Ende 2014 nach 13 Jahren eingestellt hatte.
Für die Bundeswehr war Isaf ein Wendepunkt: In Afghanistan gerieten zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg deutsche Truppen in schwere Gefechte. Bis zum Ende der Isaf-Mission starben am Hindukusch 54 Bundeswehrsoldaten.
Und wofür?
Zahlen zu getöteten gegnerischen Kämpfern und Zivilisten gibt es nicht. Die Kosten des Einsatzes beliefen sich laut offiziellen Angaben auf insgesamt 8,8 Milliarden Euro. Die tatsächlichen Kosten könnten noch höher liegen, Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sprachen schon vor fünf Jahren von 17 Milliarden Euro.
Und wofür? Der letzte „Fortschrittsbericht Afghanistan“ der Bundesregierung stammt aus dem November 2014. „Wir haben viel richtig gemacht, aber manches hätte noch besser sein können“, hieß es darin. Das war noch optimistisch ausgedrückt. Der genaue Blick in das Dokument zeigt, dass selbst die Bilanz der Bundesregierung recht trostlos ausfällt. Danach befand sich Afghanistan Ende 2014 zwar „in weit besserer Verfassung“ als 2001, also zu Beginn der westlichen Militärintervention. Dennoch sah die Regierung gravierende Probleme.
So nahm die Kapitalflucht zum Zeitpunkt des Berichts „ein bis dato nicht gekanntes Ausmaß“ an, die Staatseinnahmen waren „stark eingebrochen“, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung wurden auf bis zu 50 Prozent der Erwerbsbevölkerung geschätzt: „Generell gehört das Land weiterhin zu den ärmsten der Welt.“
Auch die Menschenrechtslage blieb prekär. „Weiterhin werden die Menschenrechte in Afghanistan nur mangelhaft gewährleistet“, hieß es. Das gelte in besonderem Maße für Frauen und Mädchen. Dazu trügen auch „Unzulänglichkeiten“ bei Teilen der afghanischen Sicherheitskräfte bei, die „sich in Form von Übergriffen gegenüber der Bevölkerung und Verletzungen wesentlicher Menschenrechtsgarantien“ niederschlügen.
Verbessert hat sich die Situation nicht
Verheerend sah schließlich die Sicherheitslage aus. Die „regierungsfeindlichen Kräfte“, sprich: die Taliban, stellten „landesweit eine erhebliche Bedrohung“ für die afghanische Bevölkerung dar. Verbessert hat sich die Situation seitdem nicht – eher im Gegenteil. Die nördliche Provinzhauptstadt Kundus war jahrelang einer der Schwerpunkte der deutschen Mission. Vor einem Jahr kehrten die Taliban zurück und nahmen die Stadt für mehrere Tage ein. Exakt zwölf Monate später, in der Nacht zum Montag, starteten sie einen neuen Angriff.
Warum aber ist die Lage nach 15 Jahren Afghanistaneinsatz so instabil? Welche Fehler haben die Bundeswehr und ihre Verbündeten gemacht? Was haben sie für die Zukunft daraus gelernt? Im September veröffentlichte ein sicherheitspolitisches Expertentrio ein gemeinsames Papier zu den Lehren aus Afghanistan. Hans-Peter Bartels (Wehrbeauftragter des Bundestags), Klaus Wittmann (ehemaliger Bundeswehrgeneral) und André Wüstner (Vorsitzender des Bundeswehrverbands) beklagen darin, dass der Einsatz nie richtig ausgewertet worden sei. „Zu Isaf liegt bis heute kein umfassender Evaluationsbericht der Nato oder eines einzelnen großen Bündnispartners vor, auch aus Deutschland nicht“, schreiben sie. Das Trio selbst betont die Bedeutung von „klaren Zielen und Kriterien für Fortschritt und Erfolg“ einer Mission.
Dieser Hinweis erinnert an einen Einwand aus der Bundestagsdebatte vom 16. November 2001. Der damalige PDS-Fraktionschef Roland Claus stellte Kanzler Schröder sechs Fragen, zumindest die letzte davon ist noch immer aktuell: „Wohin sollen deutsche Soldaten gehen? Wie lange soll der Einsatz dauern? Was sind die konkreten Aufgaben? Was sind die Ziele des Kampfes? Wann sind sie erreicht? Wann ist der Einsatz abgeschlossen?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball
Bilanz der Ampel-Regierung
Das war die Ampel
Israelische Fans angegriffen
Gewalt in Amsterdam
Die Grünen nach dem Ampel-Aus
Grün und gerecht?
Trumps Wahlsieg und Minderheiten
So wie der Rest