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Kommentar OECD-BildungsvergleichDie vererbte Bildungsarmut

Kommentar von Richard Rother

13 Prozent der Um-die-30-Jährigen haben weder abgeschlossene Berufsausbildung noch Abitur. Das ist ein Armutszeugnis für Deutschland.

Bildung ist der Schlüssel: 13 Prozent der Um-die-Dreißig-Jährigen haben keinen abgeschlossenen Berufsabschluss Foto: reuters

B erlin bleibt schlau. Mit diesem Spruch wirbt die Berliner SPD, die seit mehr als zwei Jahrzehnten an der Regierung ist, derzeit im Wahlkampf in der Hauptstadt.

Der Spruch ist ein schlechter Witz: Jeder dritte Jugendliche in Berlin kann nicht ausreichend lesen, schreiben oder rechnen – und dem Senat fällt dazu bloß ein, die Leistungsanforderungen weiter herabzusetzen und die Veröffentlichung von Vergleichsergebnissen in Frage zu stellen. Eine Frechheit. Dass Berlin kein Einzelfall ist, zeigt die neueste Studie der Wirtschaftsorganisation OECD, die weiter Nachholbedarf in der deutschen Bildungspolitik sieht. Und das völlig zu Recht.

Denn laut OECD haben in Deutschland 13 Prozent der Um-die-30-Jährigen keine abgeschlossene Berufsausbildung oder Abitur. Diese Bildungsverlierer sind nicht nur auf dem Arbeitsmarkt abgehängt, sondern oft auch von politischer Teilhabe ausgeschlossen – und entsprechend anfällig für Extremisten.

Das ist ein Armutszeugnis für Deutschland, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Anteil der Bildungsverlierer in anderen Ländern sinkt, in Deutschland aber konstant bleibt.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Weder ist es nur der Migrationshintergrund von Schülern, wie der Bildungserfolg von Kindern mit vietnamesischen Wurzeln zeigt, noch sind es nur die soziale Herkunft oder zu geringe Bildungsausgaben. Berlin beispielsweise gibt nicht weniger Geld pro Schüler aus, hat aber schlechtere Ergebnisse als andere Städte mit ähnlicher Sozialstruktur.

Bildungsarmut wird auch vererbt, weil viele Schulen nicht willens oder nicht in der Lage sind, eine möglicherweise mangelnde Unterstützung der Eltern auszugleichen. Das kann auch an falschen Konzepten liegen: Wenn Grundschüler sich den Stoff selbst erarbeiten sollen, obwohl sie nicht lesen können, führt das zwangsläufig zu Überforderung und Misserfolg. Und dazu, dass der Einfluss der Eltern auf den Bildungserfolg ihrer Kinder weiter zunimmt.

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Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Geboren 1969 in Ost-Berlin. Studium an der FU Berlin. Bei der taz seit 1999, zunächst im Berliner Lokalteil. Schwerpunkte sind Verkehrs- und Unternehmenspolitik.
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5 Kommentare

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  • Das Problem ist, dass Kinder in den ersten 6 Jahren schon sehr viel lernen. Das ist für Kinder auch überhaupt kein Stress, die sind neugierig. In der Zeit wird so viel für das spätere Verständnis von Sprache und Mathematik angelegt... oder eben nicht.

    Wenn Kinder bei der Einschuung teilweise nicht bis 5 zählen können (und dann evtl. noch zusätzlich kein deutsch beherrschen), dann müsste man den Betreuungsschlüssel aber um den Faktor 10 verbessern um das in absehbarer Zeit zumindest teilweise aufholen zu können...

     

    Ich denke man sollte die Kindergärten kostenfrei und ab einem Alter von 3 Jahren verpflichtend einführen.

  • Die sogenannten "Bildungsverlierer" sind von der politischen Teilhabe keineswegs ausgeschlossen. Sie nehmen nur nicht aktiv teil. Sie werden vielmehr teilgenommen. Passiv nämlich – als Disziplinierungsinstrument. Sie müssen abschrecken, die restlichen zwei Drittel auf Trab halten und dafür sorgen, dass sich diese restlichen zwei Drittel nicht fragen, ob das alles wirklich ganz okay ist, was eine kopflose Politik da so im Auftrag einer durchgeknallten Wirtschaft treibt.

     

    Ach ja, billiger kommt es außerdem, ein Drittel aller Jugendlichen abzuhängen. Wenn schon nicht finanziell, dann doch organisatorisch. Es braucht keine Kritik, wenn das Ergebnis passt. In Berlin, scheint mir, ist das ein starkes Argument.

  • 8G
    86548 (Profil gelöscht)

    Laut OECD haben 87% der 30-Jährigen eine Berufsausbildung oder Abitur. Ein hervorragender Wert im Vergleich zu den meisten Ländern dieser Welt.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Zum letzten Absatz im Beitrag:

     

    Der wirksamste Hebel dagegen ist die flächendeckende Einführung von Ganztagsschulen

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    "Berlin bleibt schlau......Der Spruch ist ein schlechter Witz"

     

    Genauso wie die andern auch:

     

    "Berlin bleibt bezahlbar"

     

    "Berlin bleibt sozial"

     

    Und der Kracher:

     

    "Berlin bleibt fleissig"