Islam Ditib, der Moscheeverband der Deutschtürken, ist beleidigt. Seine Verbindungen nach Ankara störte lange Zeit nur wenige Politiker. Nun gehen sie auf Distanz: Darf Erdoğan ins Klassenzimmer?
von Tobias Schulze
Den Sommer hat sich Selçuk Doğruer anders vorgestellt. Der 33-Jährige verbringt seinen Urlaub in der alten Heimat: ein paar Tage bei seinen Eltern am Bodensee, zwischendurch ein Ausflug in den Europapark, vielleicht noch ein Abstecher in die Schweiz. Wirklich entspannen kann Doğruer in diesem Sommer aber nicht. Dafür sind die Nachrichten zu schlecht.
Die Innenminister der Union wollen die doppelte Staatsbürgerschaft abschaffen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière will mehr Ausländer abschieben. Vor allem aber: Doğruers Arbeitgeber steht seit Wochen in der Kritik. „An allem, was man sich vorstellen kann, soll plötzlich Ditib schuld sein. Ich finde diese Debatte besorgniserregend. In unseren Gemeinden wurde nie Fundamentalismus gepredigt, trotzdem werden wir immer noch misstrauisch beäugt. Die Polarisierung schadet dem Frieden“, sagt der Theologe.
Doğruer arbeitet in Hessen als Landeskoordinator für Deutschlands größten muslimischen Dachverband, die Ditib. Ausgeschrieben: Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion. Dem Verband unterstehen über 900 Moscheevereine, in denen vor allem Deutschtürken beten. Doğruer ist nicht der einzige von ihnen, der sich ungerecht behandelt fühlt.
„Unsere Gemeindemitglieder fühlen sich falsch verstanden, falsch wahrgenommen und unfairen Vorwürfen ausgesetzt“, beklagt die Ditib-Spitze in einer vierseitigen Erklärung, die sie in dieser Woche nach einer Krisensitzung veröffentlichte. „Unsere Mitglieder werden quasi als fremdstaatliche Gefährder markiert. Eine solche Stigmatisierung muslimischer Gemeinden und Personen kennt man sonst nur von rechtsextremen Gruppen.“ Was ist da bloß passiert?
Umstrittene Freitagspredigt
Wer nach dem Auslöser der Debatte sucht, findet ihn am ehesten am 22. Juli, einem Freitag. Der Putschversuch in der Türkei war eine Woche her, die Gegenoffensive von Staatspräsident Erdoğan nahm Fahrt auf: Verhaftungswelle, Massenentlassungen, Ausnahmezustand. An diesem Tag erhielten die Ditib-Gemeinden Post aus der Bundeszentrale in Köln. Die Predigtkommission hatte ihnen einen Text für das Freitagsgebet geschickt.
„Unser Volk hat in der Nacht des 15. Juli eine ernste Prüfungsnacht erlebt“, hörten die Gemeindemitglieder an diesem Tag von ihren Vorbetern. „Wir sind Zeuge geworden, dass durch die Hand von internen und externen Bösen sowie einer unseligen Struktur ein Putschversuch gegen die Unabhängigkeit unseres Volkes und der Demokratie unternommen wurde.“ Als „unselige Struktur“ bezeichnen Erdoğan und die AKP die Gülen-Bewegung. In ihr vermuten sie die Hintermänner des Putsches. In der Türkei sind Gülen-Anhänger nun Repressionen ausgesetzt, in Deutschland kam es vereinzelt zu Übergriffen auf Gülen-Einrichtungen.
Seit dieser Predigt steht Ditib in der Kritik – aus allen Lagern. Als „Sprachrohr von Ankara“ bezeichnet CDU-Fraktionschef Volker Kauder den Verband. „Wer mit Ditib redet, redet mit Ankara“, sagt der Grünen-Abgeordnete Volker Beck. Im Stadtrat des rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach spricht sich die Linkspartei vorerst sogar gegen den Bau einer Ditib-Moschee aus. Der Verband sei „in Teilen auch ein politisches Instrument der türkischen Regierung“.
Alles nur unfaire Vorwürfe?
„Wenn Ditib-Funktionäre sagen, ihr Verband sei unabhängig, dann ist das gelogen. Er ist strukturell von der türkischen Religionsbehörde Diyanet abhängig“, sagt Susanne Schröter, Direktorin des Frankfurter Instituts für Ethnologie, die über den Islam in Deutschland forscht. Diyanet ist dem türkischen Ministerpräsidenten direkt unterstellt und hat enge Verbindungen zu Ditib. Sie bezahlt türkische Beamte und entsendet sie als Imame in deutsche Gemeinden. Mehrere Verbandsfunktionäre, darunter der Bundesvorsitzende, sind gleichzeitig als religiöse Mitarbeiter an der türkischen Botschaft angestellt.
Lange Zeit störte sich kaum jemand an diesen Strukturen. Im Gegenteil: Politik und Behörden waren gemäßigte Moscheen unter türkischer Kontrolle lieber als manch unabhängige und weniger berechenbare Gemeinde. Die Akzeptanz schwindet aber, und das nicht erst seit dem Putschversuch. „Der türkische Staatsislam galt lange als moderat. Unter Erdoğan hat er sich in den letzten Jahren aber verändert: Es ist kaum mehr zu erkennen, wo die Religion aufhört und wo die Politik anfängt. Das gilt auch für Ditib“, sagt die Frankfurter Ethnologin Schröter.
Organisation: Ditib ist die Abkürzung für Diyanet İşleri Türk İslam Birliği (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion). Sie vertritt nach eigenen Angaben über 70 Prozent der hier lebenden Muslime, laut Bundesamt für Migration 16 Prozent.
Imame: Ditib ist stark vom türkischen Staat abhängig. Die Religionsbehörde bestimmt die Imame, die nach Deutschland kommen und türkische Staatsbedienstete bleiben.
Lobby: Bisher enger Ansprechpartner für die Politik, sagte Ditib nach der Armenienresolution des Bundestags Einladungen zum Ramadan bei Parlamentspräsident Lammert (CDU) wie bei der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), wieder ab.
Nun ist es in Deutschland nicht strafbar, den türkischen Präsidenten zu unterstützen. Es ist auch nicht verboten, in der Moschee für ihn zu werben. Dennoch könnte Ditib bald Konsequenzen spüren. Und damit kommen wir wieder zu Selçuk Doğruer, dem hessischen Funktionär vom Bodensee.
„Wir sehen im Islamunterricht auch eine Anerkennung, nach fünfzig Jahren wirklich dazuzugehören. Umgekehrt trägt der Unterricht dazu bei, dass sich die Schüler stärker mit ihrer Schule und mit Deutschland identifizieren“, sagt er. Sechs Jahre lang hatte Doğruer dafür gearbeitet, dass hessische Schulen in Zusammenarbeit mit Ditib Islamunterricht anbieten. Im Jahr 2013 war er am Ziel. Jetzt gerät sein Erfolg in Gefahr.
Im Grundgesetz steht der Religionsunterricht weit vorne. Artikel 7 schreibt vor, dass staatliche Schulen den Unterricht in „Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ durchführen. Religionsgemeinschaften haben ein Recht auf diesen Unterricht. Sie gestalten den Lehrplan, der Staat organisiert den Unterricht.
Dass muslimische Schüler dennoch lange Zeit keinen Islamunterricht bekamen, hatte einen einfachen Grund: Die Bundesländer erkannten Moscheeverbände nicht als Religionsgemeinschaften an, weil sie andere Strukturen haben als christliche Kirchen.
Hessen war eines der ersten Länder, das seine Einschätzung änderte. Das Kultusministerium gab vor drei Jahren zwei Gutachten in Auftrag. Das Ergebnis: Ditib sei sehr wohl als Partner für den Unterricht geeignet. Ein Kriterium: Die türkische Regierung unterstütze den Verband zwar, aber nicht so stark, dass sie den Unterricht beeinflussen könne.
Dann ging es los: Ditib schrieb den Lehrplan, das Ministerium nickte ihn ab. Das Ministerium bildet Lehrer für den Islamunterricht fort, eine Ditib-Kommission nickt sie ab.
Ein Modell, dass der SPD-Landtagsabgeordnete Turgut Yüksel jetzt infrage stellt. Vor drei Jahren sei der Moscheeverband vielleicht unabhängig gewesen. Inzwischen sehe die Situation aber anders aus.
„Bestimmte Vorfälle in der Vergangenheit legen nahe, dass, ausgelöst durch politische Entwicklungen in der Türkei, der Bundesvorstand begonnen hat, stärker auf den Landesverband Hessen Einfluss zu nehmen“, sagt er. Sein Vorwurf: „Vor einem Jahr wurde der damalige Landesvorsitzende abgesägt. Der Bundesverband und ein Religionsattaché der türkischen Botschaft haben so lange Stimmung gegen ihn gemacht, bis er nicht mehr für den Vorsitz kandidierte.“ Von einer Mobbingkampagne ist die Rede. Angeblich wurde er sogar mit einem Foto unter Druck gesetzt, auf dem er ein Weinglas hält.
Neue Gutachten bestellt
Ditib bestreitet diese Version. Der alte Vorsitzende habe kaum mit den Gemeinden gesprochen und die Jugendarbeit vernachlässigt. Die Mitglieder hätten deshalb genug von ihm gehabt und sich mit großer Mehrheit für neues Personal entschieden. Im Übrigen: Es sei traurig, dass sich die Öffentlichkeit so stark in Interna einmische.
Dennoch fordert der SPD-Abgeordnete Yüksel, die Landesregierung müsse die Unabhängigkeit von Ditib in Hessen neu überprüfen. Ein Sprecher des Kultusministeriums betont die gute Zusammenarbeit mit dem Verband, sagt aber auch: „Wir schauen natürlich genau auf die aktuellen Entwicklungen.“
In anderen Ländern laufen ähnliche Debatten. In Baden-Württemberg, wo Ditib den Islamunterricht ausweiten will, analysiert das Kultusministerium die aktuellen Aussagen des Verbandes. Rheinland-Pfalz hat die Verhandlungen ausgesetzt und ein neues Gutachten über die Unabhängigkeit bestellt. Niedersachsen legte gestern einen geplanten Staatsvertrag mit den Islamverbänden auf Eis.
Und Ditib? Verschickte am Freitag eine neue Predigt an die Moscheen. Es geht darin um den geraden Weg, dem die Gläubigen folgen sollen. Den Weg des Korans, des Propheten und der Barmherzigkeit.
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