Kolumne German Angst: Die Antwort auf alles? Abgrenzung
Das Attentat von München zeigt das Missverständnis unserer Gesellschaft über Identität – und das über die Aufgaben von Polizei und Medien.
M ünchen ist wie ein Spiegel. In diesem entfaltet sich langsam eine ganz spezifische deutsche Tragödie. Vor lauter Islamistenangst rückte die Möglichkeit, dass hier ein Deutscher explizit als Deutscher gemordet haben könnte, an den Rand des Vorstellbaren. Kaum jemand traute sich, auf den Jahrestag von Breiviks Utøya-Morden auch nur hinzuweisen.
Die Geschichte von Ali David S., dem stolzen Deutschen, musste darum erst nachgearbeitet werden. Denn obwohl für die Tat ohne Bedeutung, machten die (sozialen) Medien – auf den Pressekodex geschissen – die Herkunft der Eltern zur Hauptnachricht. Ganz so, als sei die Antwort auf das „Warum?“ die, dass David S. ein falscher Deutscher gewesen sei.
Diesen Kurzschluss zeigt der Dialog zwischen einem Anwohner und dem Attentäter. „Scheißkanake!“, brüllt der Rentner, eine rassistische Beschimpfung, die ihm wohl als Erstes (!) einfiel, und als Antwort bekam er: „Ich bin Deutscher. Ich bin in Deutschland geboren.“ Aber das zählt halt nicht bei einem Ali mit schwarzen Haaren.
Dieser Wortwechsel zeigt die ganze verquere Debatte, das brutale Missverständnis, das in Deutschland über Identität allgemein und die seiner BewohnerInnnen herrscht. In einem Einwanderungsland sollte es keine Neuigkeit sein, dass Deutsche, auch die mit Migrationsgeschichte, sich deutsch fühlen. Zum Nazisein braucht es eben keinen Ariernachweis (mehr).
Nach Würzburg, Ansbach und München müsste nun also die Diskussion beginnen: darüber, was jemanden dazu bringt, sein Deutschsein so wichtig zu nehmen. Warum junge Männer sich zum Töten entschließen. Über Radikalisierung in Europa.
Aber wozu? Die Lösung ist ja schon gefunden: Die Vereinfachung der Abschiebung soll es richten. Abgrenzung, das ist die Antwort auf alle Fragen. Dabei geht es eben nicht um den aktuellen Fall, sondern um etwas anderes, Altes: Identität im Sinne von Herkunft.
Gut, dass es in all dem Schlechten noch etwas Gutes gab. Um dem Horror von München etwas Tröstendes zu geben, fehlte ein Held. Helden hatte es in Paris gegeben und in Nizza, mutige Menschen, die ihr Leben für andere riskierten.
In Deutschland war dieser Held – ein Polizist. Und bei aller Zufriedenheit mit der Polizeiarbeit, darüber, dass da ein starker Mann den aufgewühlten Leuten ein Gefühl vermittelt, in guten Händen zu sein, vergaß man eben das eine: dass die Polizei ein Staatsorgan ist und mit ihrer Informationspolitik eben den Staatsinteressen dient – ich verweise hier wieder auf den NSU, die Rechtsblindheit der Polizei.
Die JournalistInnen haben in München nicht geglänzt. Ihre Aufgabe – Informationen zu verarbeiten, in einen Kontext zu stellen, zu kritisieren – erfüllten sie nur ansatzweise. Was aber passiert, wenn Staat und Polizei die Berichterstattung kapern? Wir sehen es unter anderem in der Türkei.
Und hier ist man offenkundig bereit, sich zu fügen. Ein Uniformierter in Lodenjacke als Hauptsympathieträger jedenfalls spricht Bände über unserer Gesellschaft. Fürs nächste Mal schaue ich dann ins Ödipus-Handbuch. Oder in die Studien zum autoritären Charakter.
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