Fantasie Sie war eine Künstlerin, eine Erscheinung, auffallend, begehrt – heute kennt sie kaum noch jemand: Bele Bachem wäre diesen Sommer 100 Jahre alt geworden. Ihre Tochter tut alles, damit sie unvergessen bleibt: Die Surrealistin und ihre Tochter
Aus S’Arracó Waltraud Schwab
Der Exmann von Bele Bachem meinte, manche hegten Zweifel, dass diese Künstlerin je existiert habe. Das lag vor allem an Bachems Fantasie. Denn diese galoppierte davon, so schnell, so weit, dass manche, diese manchen eben, die ihr Exmann meint, nicht hinterherkamen. Dort, wo Zentauren und Sphinxe Gesellschaft bekommen von hundsköpfigen Gentlemen, Affenvogelmannskindern, gewichthebenden Stiermännern, Eulenfrauen und Fischweibern, die sich prostituieren – und das sind längst nicht alle Wunderlichkeiten –, fühlte sich die Malerin und Schriftstellerin wohl.
Die Kreaturen, halb Mensch, halb Tier, bevölkern die Bilder der Künstlerin. In einem unablässigen Schaffenszug drängen sie aus ihr, fast eine Prozession eigensinnigster Wesen. Träumen und Albträumen sind sie entsprungen. Dennnoch wirken sie friedlich, selbst dann, wenn das Friedliche verstörend wirkt und die Absichten dunkel sind. Dies liege daran, dass die Bilder mit Herz gemalt seien, sagte die Künstlerin einst und wehrte sich auf diese Weise dagegen, zu den Surrealisten gezählt zu werden. Richtiger Surrealismus nämlich sei „kühl“. Und darin liege der Fehler.
Im Mai wäre Bele Bachem hundert Jahre alt geworden. Ständig zeichnete sie, nicht nur Bilder, auch Bühnenbilder. Zudem stattete sie Filme aus, entwarf Teppiche, bemalte Geschirr für Rosenthal, illustrierte Bücher, die sie mitunter selbst schrieb. Und obwohl sie – noch dazu – eine Erscheinung war, eine Frau, farbig, goldbehängt, in auffallenden Kleidern, ein Paradiesvogel, eine Boulevardgöttin, klein an Statur, die sich nicht verzehrte nach einem Prinzen, sondern viele begehrte, die umringt war von Verehrern – „Gott, und diese Liebhaber, diese Liiiiiebhaber“, sagt die Tochter, nein sie schreit es schrill – trotz alledem kennt heute kaum jemand die Künstlerin. „Schade, dass man sie vergisst“, sagt die Tochter.
Bettina Böhmer ist die Tochter. Kantig wirkt sie, herb-herzlich, mit kurzen Haaren und strammem Gang. Vor zehn Jahren, nach dem Tod ihres Mannes 2003 und zwei Jahre später dem Tod ihrer Mutter, „der Bele“, ist sie endgültig in das kleine Steinhaus, versteckt in den Bergen Mallorcas, gezogen. 40 Jahre lang besaß sie es schon. „Da atmete ich auf.“ Jetzt lebt sie, nicht ganz wie eine Einsiedlerin, aber doch ganz für sich.
Bilder ihrer Mutter, Teppiche, Geschirr hat sie mitgenommen nach Mallorca – „weil’s mir gefällt. Weil ich’s schön finde, schöööön.“ Böhmer wiederholt oft, was sie sagt, und betont die Vokale dabei aus Lust am Geräusch, das Vokale machen, und als wolle sie sicher sein, dass es gesagt ist. Oder gehört. Sie hört ja nicht mehr so gut. Natürlich konnte sie nicht alles auf die Insel mitnehmen. Vieles ist noch in München verstaut, in Schwabing. Ihre Mutter gehörte zur legendären Schwabinger Boheme der 60er, 70er, 80er Jahre.
Böhmers Verhältnis zu ihrer Mutter schwankt. „Ja, die Bele“, sagt sie, eine Erscheinung, ein Vulkan, „eine Atombombe“, soll ein Freund mal gesagt haben. Geliebt hat sie sie, „geliiiiebt“, aber die Energie dieser Mutter ist so stark, so unberechenbar, dauernd musste das Mädchen aufpassen.
Wenn die Mutter da war, war Böhmer eine Prinzessin. Sie konnte machen, was sie wollte. Konnte spielen, wo sie wollte. Vor allem an die Ruinen in München, in denen sie herumtoben durfte nach dem Krieg, erinnert sie sich. „Obwohl das gefährlich war. Das war doch gefäääährlich.“ Die Mutter kümmerte es wenig, sie ließ ihrer Tochter alle Freiheiten. Und sie wollte, dass sie schön ist. „Ich war nicht in das ewige Braun gekleidet wie die anderen Kinder da nach dem Krieg. Ich hatte eine hellblaue Strumpfhose.“ Die hatte die Mutter über Freunde im Ausland besorgt.
In der Halbwirklichkeit
Ruinen und hellblaue Strumpfhosen – Böhmer erwähnt sie oft in ihrer klaren, auf den Punkt gebrachten Sprache, denn die hellblaue Strumpfhose hatte auch Nachteile: Böhmer war jetzt erst recht anders als die anderen Kinder. „Da hat mir die Bele dann auch wieder keinen Gefallen getan. “
Die Tochter der Künstlerin sitzt in ihrer Küche in S’Arracó auf Mallorca, Steinfußboden, Steinmauern, steinerner Herd, Bilder ihrer Mutter an den Wänden. Im Zentrum der Bilder, da, wo der Blick zuerst hinfällt, sind nackte Frauen, Gespielinnen. Und neben dem Spülstein in Böhmers Küche, wo andere vielleicht Geschirr abstellen würden, stehen Skulpturen von der Bele, der Mutter, auch Frauenfiguren, auch nackt.
Bele Bachem malte immer Menschen, auf ihren Bildern liefert sie sie dem Blick aus – und der Geschichte, die die Künstlerin inszeniert. Auf einem mit Schreibmaschine geschriebenen Manuskript ihrer Mutter, das Böhmer aus einer Schublade zieht, erklärt Bele Bachem, was sie wie und warum malt: „Die Einsamkeit, die Lebensangst – die Bosheit, die Häßlichkeit – die Schönheit – das Gesicht mit Herz und die Klischees – das sind die Personen und die Zustände, die ich konfrontiere- ich ent- und bekleide sie ja nach ihrem psychologischen Gehalt, der mich interessiert zu schildern.“
Neben den Figuren ist Bele Bachem die Umgebung wichtig, in der diese stehen. Oft sind es apokalyptische Wirklichkeiten, Ruinen, Kriegsruinen, klar: „der Raum, er muß gut ausbalanciert sein – muß im Spannungsverhältnis stimmen“, schrieb die Malerin auf den Schreibmaschinenseiten, egal ob ein Haus dann nur aus zwei Wänden besteht oder die Perspektive verdreht ist. Sowieso ist meistens etwas aus dem Lot in ihren Bildern. Die Figuren metamorphisieren, sind Mensch und Tier, Mann und Frau, nichts ist zuverlässig, die Schwerkraft eine Schimäre und die menschlichen Beziehungen ein Kuddelmuddel.
Bele Bachem stand mit einem Bein in der Halbwirklichkeit. „Surrealismus“ würde es schon treffen, sie wäre dann wohl die einzige surrealistische Malerin in Deutschland – allein, sie will es nicht sein. Ja, was dann? Pessimismus? Nihilismus? Tausendsassaismus?
„Herrgott, warum ist so eine heute fast vergessen?“, fragt Böhmer, die Tochter, wieder. An ihr liegt es nicht, sie tut, was sie kann, um ihrer Mutter Glorie zu geben. Jetzt gerade organisiert sie wieder eine Ausstellung – ja was soll sie sonst machen? Obwohl sie doch gern ihre Ruhe hätte, die Tochter, sie ist auch schon 75 Jahre alt.
Ihre Mutter, Bele Bachem, kam 1916 in Düsseldorf zur Welt. Deren Vater war Maler und nahm die Tochter von Anfang an mit ins Atelier. Zur Muttermilch: Ölfarbe, Kohle und Pastell. Was wie ein gutes Vater-Tochter-Verhältnis anmutet, barg einen Haufen Abgründe. Der Vater war unberechenbar, die Tochter ihm ausgeliefert, und die Mutter war kein Gegengewicht. Die Kindheit soll schrecklich gewesen sein. Bele Bachem hat wohl selbst in Anwesenheit ihrer Mutter ganz munter und öffentlich erzählt, was für ein Chaos alles war, wie blöd ihre Eltern waren. „Die Bele konnte maßlos sein“, sagt Böhmer und erschrickt, dass sie nicht nur Gutes von ihrer Mutter erzählt. „Ach, das gehört wohl dazu.“
Die Schule war Bele Bachems Sache nicht, und an der Kunstakademie ließ man sie in ihren Fantasien schwelgen. Sie sei mit einem eigenen Stil geboren, sie habe nie danach suchen müssen, sagte Bachem einmal. Wenn überhaupt Vergleiche, dann ziehe sie den Manierismus vor, weil der am wenigsten festgelegt sei. Dagegen seien Giotto, Dalí, Chagall, mit denen sie manchmal verglichen wurde, so viel größer als sie, meinte sie – obwohl vieles in ihren Gemälden wirklich chagallhaft oder dalíisch ist.
1940 heiratet Bachem den Kunsthistoriker Günter Böhmer, bekommt die Tochter, und bald darauf werden die Nazis aufmerksam auf sie und verpassen ihr noch im vorletzten Kriegsjahr ein Ausstellungsverbot.
Umso mehr malt und zeichnet Bachem nach dem Krieg. Sie nimmt alle Aufträge an, die sie kriegt, von Verlagen, Theatern, Filmproduktionen, denn als ihr Mann 1945 aus dem Krieg heimkommt, trennen sich die zwei. „Die konnten wohl nichts mehr miteinander anfangen“, sagt Böhmer, die Tochter, die ihren Vater auch eher belanglos fand. Fortan war Bele Bachem alleinumschwärmt, alleinerziehend, alleinversorgend, eine leidenschaftliche Mutter. „Aber dann war sie ja wieder fort, und ich war bei Freunden oder der Großmutter oder sonst wo untergebracht“, sagt die Tochter.
Ob ihr die Mutter Lust und Last war? „Nein“, sagt Böhmer, „neeein, keine Last. Ja, gut, belasten tut man sich schon, aber die Kinder belasten die Eltern auch.“ In der Schule zum Beispiel sei sie selbst auch nicht gut gewesen, aber die Mutter habe dann ja eine Steiner-Schule für sie gefunden, und das sei gut gewesen. Abitur konnte sie da nicht machen, aber sie wollte auch nicht. Böhmer ist Fotografin geworden.
Es gibt ein Fotobuch von Bettina Böhmer, „Püppchen“ der Titel. Darin sind Fotos von Puppen, erst versehrte Dinger, denen die Gliedmaßen oder der Kopf fehlt, und am Schluss Puppen, die wie junge Frauen wirken, wie Persönlichkeiten. Alle Bilder sind unkommentiert, aber die Grenze zwischen Puppe und Mensch löst sich in der Abfolge der Fotos auf. Das Buch, das Böhmer mit 23 machte, ist eine zarte Arbeit. Biografisch gedeutet, zeigt sie symbolisch, wie Böhmer sich aus dem Schatten der Mutter löst.
Der Nachlass der Mutter
Böhmer sieht ihre Ablösung von der Mutter anders: „Ich bin dann mit 20 sowieso nach Holland gezogen“, wo sie heiratete, einen Mann, gut aussehend, wohlhabend, „ich war ja dann weg.“
Böhmers erste Ehe war indes ein Desaster und die zweite Ehe nicht minder. Erst die dritte mit dem Grafiker Klaus Wagner, der Plakate für Herzog-Filme, für Fassbinder-Stücke entwarf, lief in ruhigem Fahrwasser. „Aber der starb auch.“ Im heißen Sommer 2003 hatte er einen Schwächeanfall in München, sie war gerade auf Mallorca mit dem jüngeren Sohn. Der ältere fand ihn erst Tage nach dem Zusammenbruch. Er war so stark dehydriert, dass er sich nicht mehr erholte. Wenn man’s auf den Punkt bringt: Er ist verdurstet. Sie spricht nicht viel darüber.
Böhmer lebt nun in Mallorca in ihrem Steinhaus, die Erde trocken und heiß. Sie trifft sich manchmal mit anderen Bohemiens, die vor Jahrzehnten in die Tramuntana-Berge auf Mallorca zogen, mit Vögel und Grillen, Geranien und Kakteen.
Inzwischen sind die Aussteiger der Hippie-Ära alt geworden, trotzdem malen sie weiter, wenn sie noch können, zeigen sich, wenngleich zarter, die Haut ist jetzt trocken und rau. Um die Kranken kümmern sich Böhmer und andere, die noch gut beieinander sind: um Maja, Künstlerin, jetzt dement. Um Jesus, Zeichner, jetzt mit kaputter Leber und sehr hinfällig. Das sind zwei Namen, die oft fallen.
Das Fotografieren hat Böhmer aufgegeben. Das sei jetzt alles anders, ihre Fotografie war Dunkelkammerkunst. Aber dieser Nachlass der Mutter, der hängt ihr an, sie muss sich kümmern, jetzt zum hundertsten Geburtstag der Mutter sowieso. Eigentlich hat sich Böhmer, die Tochter, immer um ihre Mutter kümmern müssen. „Mei, wenn die uns nicht ghabt hätt“, sagt sie. Uns – das sind sie und die Großmutter, Bachems verachtete Mutter. Böhmer liebte die Großmutter, weil sie wusste, dass sie sich auf sie verlassen kann.
Das alles erklärt aber auch nicht, warum Bachem, die fast neunzig Jahre lang gemalt hat, die in Schwabing geleuchtet hat, das Bundesverdienstkreuz, na gut, bekam, Ausstellungen, Auszeichnungen dazu, heute unbekannt ist. Wie früher, als Böhmer für ihre Mutter einkaufen ging, kochte, tut sie nun, was sie kann, um diesem „jenseits von Gut und Böse dahinschwebenden Luftgeist“, dieser Frau, „die versehentlich in diese Zeit, in diese Welt geraten zu sein scheint“, dieser Künstlerin, über die „mancher schon rätselte , ob sie überhaupt ein richtiger Mensch sei“ – das schrieb Böhmers Vater einst als Vorwort in einem Ausstellungskatalog –, ein wenig Aufmerksamkeit zu sichern. Wahrscheinlich ist es nie genug, was die Tochter tut.
Zum 100. Geburtstag von Bele Bachem: Ausstellung vom 29. Juli bis 9. September in der Galerie im Schlosspavillon in Ismaning bei München
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen