piwik no script img

Kommentar zu Henkel und Rigaer StraßeGefährliches Eigenleben der Polizei

Berlins Innensenator ist für die jüngste Eskalation politisch verantwortlich. Doch welche Entscheidungen hat er selbst getroffen – und welche die Polizei?

Drängt sich ins Bild: Polizei vor dem Hausprojekt Rigaer Straße 94 Foto: dpa

Frank Henkel redet sich um Kopf und Kragen. Schlimmer noch: Die Erklärung, mit der der Berliner CDU-Innensenator das Urteil des Landgerichts in Sachen Rigaer Straße 94 kommentiert, liest sich wie reinste Verschwörungstheorie.

Richtig ist: Der Anwalt des Hauseigentümers ist nicht zur Gerichtsverhandlung erschienen. Deshalb erging ein Versäumnisurteil. Das gibt dem Kläger automatisch recht. Doch die Richterin hat in der Verhandlung keinen Zweifel daran gelassen, dass die Räumung der Kneipe Kadterschmiede durch die Polizei rechtswidrig war. Denn der Eigentümer hatte weder einen Räumungstitel erwirkt noch einen Gerichtsvollzieher mitgebracht.

All das ist Henkel keine Silbe wert. Stattdessen beruft er sich auf angebliche Erkenntnisse, wonach der Anwalt des Eigentümers aufgrund „einer massiven Einschüchterung“ nicht erschienen sei. Soll heißen, das Gericht hätte sonst dem Eigentümer recht gegeben. „Der Einsatz war gefahrenabwehrrechtlich begründet. An dieser rechtlichen Einschätzung halten wir fest“, so Henkel vollmundig.

Klar ist: Ohne die rechtswidrige Teilräumung der Rigaer 94 hätten in den letzten Wochen nicht so viele Autos gebrannt; auch die Demonstration am Samstag wäre nicht so gewalttätig verlaufen. Die politische Verantwortung für all das trägt Henkel. Aber die Probleme gehen tiefer. Dass der Innensenator überfordert ist, war die gesamte Legislaturperiode lang klar. Henkel selbst hat daraus keinen Hehl gemacht: Er verlasse sich ganz auf das Votum seiner erfahrenen Polizeiführer, pflegt er zu sagen.

Dreimal hat der Innenausschuss über den Großeinsatz in der Rigaer Straße im Januar diskutiert. Auch dieser erfolgte ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss. Er habe das allein entschieden, hatte der verantwortliche Polizeiführer, Michael Krömer, im Ausschuss erklärt. „Niemand muss uns sagen, was wir zu tun haben.“ Das klingt so, als habe die Polizei unter dem unfähigen Henkel ein Eigenleben entwickelt. Höchste Zeit also, auch über den Zustand der Polizei zu diskutieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

23 Kommentare

 / 
  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Die CDU agiert hier vollständig unprofessionell. Wie wäre es mit einem Räumungstitel und Gerichtsvollzieher bei der Vollstreckung gewesen?

    Angeblich ist doch der Rechtsstaat die Kernkompetenz der CDU. Hier kann man nur sagen, sechs setzen, klappe halten, wenn man keine Ahnung hat und Profis bzw. andere Parteien ranlassen. Das kriegen ja sogar die Grünen besser hin.

  • Angenommen die Polizei hätte illegal ein AfD-Protestcamp geräumt und die Leute eingekesselt. Dann hätte das nie das Anzünden von leer stehenden Häusern gerechtfertigt. Hier gilt gleiches. Das Anzünden leerstehender Häuser und leerer Autos ist auch nicht so unterschiedlich.

    Natürlich kann die Polizei die Stimmung durch rechtswidrige Aktionen "anheizen" und trägt dann an der darauf folgenden Eskalation eine Mitverantwortung - aber ohne die eigentlichen Täter von ihrer Verantwortung zu entlasten.

    Eine Polizei, die sich nicht von Gerichten sagen lassen will, was sie zu tun oder zu lassen hat, ist schlicht eine illegale bewaffnete Organisation. Herr Krömer steht damit nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes und sollte sofort zurücktreten.

    Wir sind in einem Rechtstaat und nicht im Krieg, wo Leute meinen die Straftaten der einen Seite mit den eigenen Straftaten aufrechnen zu können.

    • @Velofisch:

      Korrekt - & Plutonia Plarre sollte nicht schlecht bedacht leichtfertig-mißverständliches Zeugs schreiben!

      Das Gegenteil von gut -

      Bleibt immer noch gut gemeint!

      Auch wieder wahr!

  • Das Wort "dilettantisch" wäre als Bezeichnung für das Vorgehen der Berliner Polizei noch untertrieben. Riga94 läuft als Projekt ja schon länger und die Historie zeigt, das eine "rechtswirksame" Räumung eigentlich nie wirklich stattgefunden hat. Allerdings wer geht schon gerne in ein Haus in der die Bewohner gleich mit Steinen schmeisen und mit Eisenstangen auf Leute einprügeln. Da sich diese Szenze ja zum Ziel gesetzt hat etwas im "System" zu ändern, wäre doch die Frage, was sich denn bis dato geändert hat, außer das sich 99,999% der Bürger von der Art und Weise des Verhaltens von R94 deutlich abgestoßen fühlen. Tolles Beispiel für ein Versagen beider Seiten! Der diesmal sehr schwache Artikel umkuschelt auch noch die Freunde aus der radikalen und gewaltenbereiten Linkenszene. Wer Autosanzündet dem ist es völlig egal was die Konsequenzen sind, Personschäden werden in Kauf genommen. So argumentiert auch das Militär bei ihren Einsätzen....

  • "Ohne die rechtswidrige Teilräumung der Rigaer 94 hätten in den letzten Wochen nicht so viele Autos gebrannt; auch die Demonstration am Samstag wäre nicht so gewalttätig verlaufen."

    Also mit Verlaub, das ist das Niveau von "Ohne Flüchtlinge gäbe es nicht so viele rechtsextreme Gewalttaten."

     

    Die rechtswidrige Räumung mag eine Motivation gewesen sein, aber es haben nicht Autos gebrannt, weil geräumt wurde, sondern es haben Autos gebrannt, weil Verbrecher, die der linken Szene nahestehen, sie angezündet haben.

    • @sart:

      Bravo, dieser Satz ist mir auch extrem negativ ins Auge gesprungen.

  • Terror ist durch NICHTS zu rechtfertigen. Schade, dass sich die Autorin des Artikels Frau Plarre nicht dazu bekennen kann. Die Aussagen: „Berlins Innensenator ist für die jüngste Eskalation politisch verantwortlich.“ und „Klar ist: Ohne die rechtswidrige Teilräumung der Rigaer 94 hätten in den letzten Wochen nicht so viele Autos gebrannt; auch die Demonstration am Samstag wäre nicht so gewalttätig verlaufen.“ Sind ganz klar extremistisch und menschenverachtend.

     

    Richtig ist: Der der Aggressionen ausübt, ist dafür auch verantwortlich! Und zwar jeder für seinen Teil: Der Innensenator für die Räumung; Die Linksradikalen für den Terror gegen Geschäfte und Autobesitzer.

    • 6G
      6474 (Profil gelöscht)
      @Nickname23:

      der inflationäre gebrauch des wortes "terror" führt irgendwann zur völligen gleichgültigkeit gegenüber guten argumenten die gegen das anzünden von autos sprechen.

    • @Nickname23:

      Was ist an den zitierten Aussagen etxremistisch und menschenverachtend? Wer wird verachtet? Es werden Tatsachen in ihren Zusammenhängen dargestellt, und letztere wurden von niemandem geleugnet - geschweige denn beschönigt.

      Klar ist es auch richtig, daß ein Aggressor für seine eigenen Handlungen verantwortlich ist. Das "Linksradikalen" gefolgt von "Terror" in Ihrem letzten Satz klingt mir allerdings schon eher nach Extremismusexegese.

  • „Niemand muss uns sagen, was wir zu tun haben.“

     

    Offenbar doch.

  • gibt es irgendeine erklaerung des anwalts zu den angeblichen einschuechterungen, in welcher form, wann wie wo was. herr henkel scheint ja sehr genau informiert zu sein, seiner reaktion nach zu urteilen:

    http://mediathek.rbb-online.de/tv/Abendschau/Teilr%C3%A4umung-der-Rigaer-laut-Gericht-rech/rbb-Fernsehen/Video?documentId=36539006&topRessort=tv&bcastId=3822076

    • @the real günni:

      Laut Aussage des Anwalts im Tagesspiegel (Artikel in Print-Ausgabe gestern, 13.7.2016) wurde vor seiner Kanzlei bei einem Terroranschlag ein Auto abgefackelt. Er musste annehmen, dass damit er "gemeint" sei. Er musste deshalb in den folgenden Stunden für die polizeiliche Aufnahme des Anschlags zur Verfügung stehen.

  • 2G
    2830 (Profil gelöscht)

    Wer zuletzt lacht ...

    Wenn es wahr ist, dass der Anwalt des Eigentümers bedroht bzw. eingeschüchtert wurde, weht ein anderer Wind.

    Ich verstehe nicht was es zum Jubeln gibt, wenn ein Mob, egal aus welcher Richtung rumzündelt, sich übers Gestetz stellt und Menschen mafios und SA-gleich unter Durck setzt.

    Aber, erstmal abwarten was da rauskommt. Mir sind die Verschwörungstheoretiker im Moment auf beiden Seiten zu laut.

    Alle diejenigen, die gewaltbereit sind und dem nach handeln sind Horror für eine Zivilgesellschaft. Dann bitte genau so pauschal und dämlich im Sinne der Gleichbehandlung: wenn ACAB dann auch AAAB (All Anarchists ...)

    • @2830 (Profil gelöscht):

      Schöne Grüße nach Jamel.

    • @2830 (Profil gelöscht):

      Das Leute bedroht werden ist nicht neu. Das Anwälte und Richter Bedroht werden st auch nichts neues. Leider gerade wenn es aus dem Rechten Spektrum kommt und trotzdem finden verhandlungen statt.

       

      Das hat aber nichts damit zu tun, das höchstwahrscheinlich auch mit Anwalt das Urteil so ergangen wäre. So hat Herr Henkel offenbar nur eine Ausrede bekommen und konnte die Schuld wieder in die selbe Ecke schieben wie er es die ganze Zet tut.

       

      Das ungeheuerliche ist hier einfach, dass die Polizei Rechtsbruch begeht und dies ist aus dem Urteil heraus ersichtlich.

       

      Natürlich sind rechtsbrüche schlimm. Aber es ist noch wesentlich schlimmer wenn sie von der Polizei begangen werden.

       

      Das der Anwalt sich vielleicht bedroht fühlt, ist kein Argument die Tatsache des staatlichen Rechtsbruches zu entschuldigen.

    • @2830 (Profil gelöscht):

      Vielleicht mal Ursache und Wirkung berücksichtigen:

       

      Ohne illegale Räumung und Wahlkampf Henkels auf dem Rücken anderer keine brennenden Autos, Racheaktionen gegen Unbeteiligte, Einschüchterung des Anwalts. Nicht nur die Brandstifter sind für die Brände verantwortlich, auch die politischen Biedermänner. Gejubelt wurde nicht über brennende Autos, sondern über das ev. nahe Ende des Ausnahmezustands in der gesamten Nachbarschaft.

      • @Dorian Müller:

        Nunmal abgesehen davon das Henkel ne Punktpunktpunkt ist wie sie gewöhnlich nur die Berliner Politszene hervorbringt...

         

        Ihnen ist schon klar das sich mit Ihrer Argumentation auch das entspannte Anzünden von Ausländerwohnheimen rechtfertigen lässt, weil eig. ist ja die Merkel schuld die die reingelassen hat?

         

        Gewalt ist kein politisches Diskurselement. Punkt.

        • @Krähenauge:

          Falsch. Bei dem einen werden hilfebedürftige Menschen angegriffen, bei dem anderen ein paar Autos von neureichen Schnöseln im Kiez abgefackelt. Wie heißt es noch so schön in Marc-Uwe Klings Känguru Chroniken?

          „Ob Links- oder Rechtsterrorismus – da sehe ich keinen Unterschied“

          „Doch, doch“, ruft das Känguru, „die einen zünden Ausländer an, die anderen Autos. Und Autos sind schlimmer, denn es hätte meines sein können. Ausländer besitze ich keine.“

          Gewalt ist nicht gleich Gewalt, Gewalt kann im richtigen Rahmen durchaus eine legitime Form des Protests sein. Die Karren sind doch eh alle Versichert, die Leute sind ja nicht blöd. :D

          • @Mayoboy:

            Ihr Känguru ist irrelevant. Dorian Müller rechtfertigte die Verbrechen nicht mit dem Hinweis, es seien ja nur Sachen (was ein Anwalt ja nicht ist, genauso wenig wie die Polizei oder die von ihm genannten Unbeteiligten), sondern damit, dass es ja nur passiert ist, weil es ein auslösendes Ereignis gab.

             

            Wobei das ganze dann doch wieder für sich spricht, denn dadurch, dass man die Verantwortung auf den Innensenator und die Polizei verschiebt, entmündigt man die Verbrecher, die nicht aus freiem Willen gehandelt haben (den wer aus freiem Willen etwas tut, trägt dafür auch die volle Verantwortung), sondern reine Reaktionsmaschinen sind, die angesprungen sind, weil der Trigger ausgelöst wurde.

          • @Mayoboy:

            Forza dem kommunistischen Känguru!

          • @Mayoboy:

            Alles neureiche Schnösel, ja? Woher die Info? Kann's auch ein junger, hart arbeitender Handwerker sein, der zufällig Autofreak ist?

            Und über seine Versicherungsverhältnisse weeste auch bescheid?

            Wow.

             

            Und die diskutierte Gewalt richtet sich auch gegen Menschen: Polizisten sind eben auch Menschen, auch wenn sie (wie sicherlich in den 30'ern auch) von einer Gruppe entmenschlicht werden, um Hemmschwellen gezielt abzubauen...

            Ich find Krähenauges Einwurf genial entlarvend, was das einseitige Denken hier angeht!

  • Eins ist klar und das schon "immer" ->

    Polizei ist auch keine Lösung!

  • 3G
    34420 (Profil gelöscht)

    Es ist einfach nur ungeheuerlich, was Henkel und Polizei in der Rigaer angerichtet haben. Da gibt es übrigens noch jede Menge ARbeit für Journalisten. Der Mann sollte nicht so einfach davonkommen.