Hauptstadt-CDU und Rigaer Straße: Herr Henkel und der Rechtsstaat

Berlins Innensenator Frank Henkel will für die CDU die bevorstehende Wahl in Berlin gewinnen. Jetzt steht er mächtig unter Druck.

Ein blauer Luftballon, darauf steht „Frank Henkel“

Dekoration des Sommerfestes der Berliner CDU Foto: dpa

Berlin taz | Beine breit, oberster Hemdknopf offen, Grinsen im rosigen Gesicht, so sieht es aus, wenn Frank Henkel mit sich zufrieden ist. Das letzte Mal, dass man Berlins CDU-Innensenator so erlebte, war am Montag im Roten Rathaus. Für Henkel war es ein triumphaler Auftritt. Soeben hatte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) in Henkels Beisein vor der Presse eingeräumt, dass es keinen Sinn mache, mit Linksradikalen zu reden. „Das ist jetzt nicht die Zeit der Runden Tische.“ Henkel hatte das die ganze Zeit gesagt.

Die Szene war historisch. Zum ersten Mal in der knapp fünfjährigen Regierungszeit hatte sich Henkel in einem Konflikt um seine Politik im rot-schwarzen Senat durchgesetzt. Und Müller hatte sich blamiert. Nur Tage zuvor hatte er seinen Innensenator noch öffentlich abgewatscht, für dessen kompromisslose Haltung in Sachen Rigaer Straße 94. In aller Öffentlichkeit hatte Müller Henkel gedrängt, den Dialog mit der Szene zu suchen, damit die Lage in der Stadt nicht noch mehr eskaliert.

Am 22. Juni waren 300 Polizisten in dem autonomen Hausprojekt Rigaer Straße 94 zu einer Teilräumung angerückt – betroffen war auch das Vereinslokal Kadterschmiede im Hinterhaus. Ein Stich ins Wespennest. Die Rigaer94 gilt in der Szene als Symbol für die letzten linken Freiräume in Berlin. Seither brannten in Berlin fast jede Nacht Autos, eine Solidaritätsdemonstration mit rund 3.500 Teilnehmern gipfelte am Samstag in heftige Krawalle. Zahlreiche Polizisten wurden verletzt.

Aber Frank Henkels Triumph währte nur kurz. Die Wende kam am Mittwoch: Das Landgericht gab dem klagenden Hausverein recht und erklärte die Teilräumung der Rigaer94 für rechtswidrig. Der Eigentümer hatte weder einen Räumungstitel erwirkt noch einen Gerichtsvollzieher mitgebracht.

Wenig Respekt für Henkel

So war es immer. Alle heißen Eisen, die der gelernte Wirtschaftskaufmann Frank Henkel in seiner Amtszeit anfasste, wendeten sich gegen ihn. Auch bei dem einstmals von Flüchtlingen besetzen Oranienplatz war es so. Henkel wollte den Platz räumen. Er wurde vom damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) zurückgepfiffen.

„Gänzlich unfähig und überfordert“, dieses Zeugnis stellen ihm nicht nur die drei linken Oppositionsparteien, die Grünen, Linkspartei und Piraten, aus. Die SPD sagt es nur nicht so offen, weil sie mit der CDU noch bis 18. September regieren will. Dann sind Wahlen. Seit dem Urteil des Landgerichts ist Henkel richtig unter Druck.

Polizeisprecher nach dem Abzug

„Das ist sicher alles andere als gewöhnlich“

Am Donnerstagnachmittag gab es erneut eine historische Szene. Eine Gerichtsvollzieherin kam in die Rigaer94. Üblicherweise rückt sie zu solchen Termine mit Unterstützung der Polizei an. Nun mussten die Beamten, die die Straßen wochenlang abgesperrt hatte, abrücken. „Das ist sicher alles andere als gewöhnlich“, sagte ein Polizeisprecher vor Ort. Das Vereinslokal wurde an die alten Nutzer zurückgegeben. Ein Sieg auf ganzer Strecke für die autonome Szene.

Es gibt Stimmen, die sagen, Henkel hätte der linksradikalen Szene mit seiner Eskala­tions­politik keinen größeren Gefallen tun können. Denn der harte Kern der Szene ist an keinem Dia­log interessiert. Und in der Rigaer Straße, wo Nachbarschaft und Bewohner der 94 Seite an Seite den Abzug der Polizei forderten, ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen.

Einsatz: Am 22. Juni hatten 300 Polizisten das einst besetzte Haus Rigaer94 zum Teil geräumt.

Urteil: Die Nutzer des Vereinslokals Kadterschmiede zogen vor Gericht. Mit Erfolg. Eine Richterin bemängelte am Mittwoch, dass der Einsatz ohne richterlichen Räumungstitel erfolgt sei.

Rechtslage: Das Urteil kam wenig überraschend. Schon mehrfach hatten Gerichte bemängelt, dass die Berliner Polizei lange existierende Hausprojekte ohne Gerichtsurteil geräumt hatte. Manche Exbewohner bekamen erst Jahre nach der Räumung recht, ohne weitere Folgen. Mehr dazu: taz.de/Räumung.

Eine Baugruppe, die auf einer Brache einen Neubau errichtet, hat einen Wachmeister eingestellt, weil der Bau – vermutlich von Gentrifizierungsgegnern – so oft beschädigt wurde.

Absetzbewegungen an allen Ecken

Ausgerechnet Henkel, der den Linksautonomen immer den Kampf erklärt, hat sie mit der rechtswidrigen Räumung also erst richtig aufgewertet. Und das im Wahlkampf. Bei den Berliner Landtagswahlen tritt der Innensenator als CDU-Spitzenkandidat an. Selbst in seiner Partei wohlgesonnenen Berliner Medien gibt es inzwischen Absetzbewegungen. „Innensenator gerät in Erklärungsnot“, schrieb die Berliner Morgenpost auf der Titelseite.

Die Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters Müller ließ mitteilen, sie sei an dem Entscheidungsprozess „nicht be­teiligt“ gewesen.

„Henkels Polizei hat mit 300 Leuten einen Einbruch beschützt“, bloggte der Chefredakteur des gutbürgerlichen Tagesspiegel. Und was tut Henkel? Im Lokalfernsehen stellt er sich hin und behauptet immer noch, der Polizeieinsatz sei gar keine Räumung gewesen. Die Polizei habe dem Eigentümer lediglich zu seinem Recht verholfen, die Räume zu sanieren. Ohne Polizei wären die Bauarbeiter angegriffen und an den Arbeiten gehindert worden. Es habe sich um eine Hilfestellung aus Gründen der Gefahrenabwehr nach Polizeirecht gehandelt. Hauptsache breitbeinig.

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