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CDU in SachsenVaterlandsliebe als Krisenarznei

Bundesweit grübelt die CDU über eine Strategie gegen die AfD. In Sachsen propagiert die Partei nun den Patriotismus.

So schön kann Deutschland sein. So hässlich können Klischees sein Foto: Imago / Westend 61

Dresden taz | Was hält unsere Welt im Innersten zusammen? Die sächsische Union entdeckt die Faust-Frage neu und kennt auch gleich eine Antwort: Patriotismus – die edle Liebe zum Vaterland – gibt Halt und Orientierung.

So stand es in der Einladung zu einer Regionalkonferenz am Dienstagabend im Dresdner Hygienemuseum, der etwa 130 Unionsfreunde folgten. Und wenn mit deutschem Patriotismus schon nicht die ganze Welt zusammenzuhalten ist, dann doch zumindest die schwankende CDU-Wählerschaft, gebeutelt durch Attacken von Pegida und der AfD.

Bundesweit laboriert die Union derzeit an der Frage, wie mit der rechten Konkurrenz umzugehen ist. Die Dresdner Regionalkonferenz wärmte jene 12 Thesen über einen „Deutschen Patriotismus im vereinigten Europa“ wieder auf, die ein CDU-Landesparteitag schon im November 2005 beschlossen hatte.

Ihr damaliger Autor Matthias Rößler ist heute Landtagspräsident. Als Impulsredner referierte er nun sein Werk noch einmal, obschon ein aktuelles Nachfolgepapier in Aussicht steht. Rößler propagiert einen idealen, unschuldigen, per se positiven Patriotismus, der vom Nationalismus, der andere herabwürdigt, zu unterscheiden sei. Als dessen Wurzeln bezeichnet er das antike Erbe, das Christentum und die Aufklärung.

Toleranz und deutsche Leitkultur

„Echte Patrioten stellen sich den guten und schlechten Seiten der Geschichte“, erklärte Rößler. Patriotismus heute sei verbunden mit dem Bekenntnis zu Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie. Die Toleranz endet für Rößler allerdings bei der deutschen Leitkultur: Der hätten sich alle Zuwanderer unterzuordnen. „Sie müssen sich mit Haut und Haaren auf unser Land, auf unsere Gesellschaft einlassen“, rief Rößler unter Beifall.

Was diese Leitkultur ausmacht, wie sie konkret zu fassen ist, sagte Rößler nicht. Es wurde auch in der Diskussion nicht erörtert. Über die „emotionalen Symbole“ Flagge, Fußball und Nationalhymne gingen die Ansätze nicht hinaus.

Mit Haut und ­Haaren auf unser Land einlassen

Matthias Rößler, CDU

Die Diskussion der erschienenen CDU-Mitglieder mit Rößler und Ministerpräsident Stanislaw Tillich driftete ohnehin vom Thema weg und offenbarte, was die Sachsen-Union eigentlich bewegt: Patriotismus als gesellschaftlichen Kitt zu bemühen.

Erfahrungen mit internationalem Hochschulpersonal

Die Beiträge klangen eher nach Bürgersprechstunde oder Pegida light. Von Überfremdungsängsten war die Rede, Islam-Ängsten, Scharia-Ängsten. Aber auch vom Bahnverkehr und abgehängten ländlichen Räumen. Tillich stimmte vorsichtig in die Kritik am möglichen Missbrauch der doppelten Staatsbürgerschaft ein.

Einer der wenigen kritischen Redner warf die Frage auf, ob ein Volk, das derart schrumpfe, überhaupt das Recht habe, über Patriotismus zu sprechen. Verunsicherung allenthalben. Eine Frau wagte die Bemerkung, dass es auch unter Deutschen bereits sozial bedingte Parallelgesellschaften und nicht integrierte Steuerflüchtlinge gebe. Ein Einwurf, den Ministerpräsident Tillich nicht verstand. Ein Student wiederum fragte angesichts seiner Erfahrungen mit internationalem Hochschulpersonal, warum es eine Patriotismus-Debatte überhaupt brauche.

„Patriotismus kann man nicht herbeireden oder verordnen“, räumte schon das sächsische Thesenpapier von 2005 ein. Muss man auch nicht mehr. Denn die rechte CDU-Konkurrenz punktet damit längst. Davon sprachen weder Rößler noch Tillich direkt, sondern propagierten stattdessen deutschen Nachholbedarf an einem „selbstverständlichen“ Patriotismus, wie ihn die französischen oder polnischen Nachbarn demonstrieren.

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9 Kommentare

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  • Wenn ich an Sachsen denke, kommt mir auch immer als erstes in den Sinn: was denen fehlt, ist Patriotismus!

     

    All die Asylkritik und Kundgebungen gegen Ausländer mögen ja berechtigt und politisch der gemeinsame Nenner im Freistaat sein - jedoch sehr negativ konnotiert. Patriotismus böte hier positivere vibrations für die innere Balance.

     

    Jedenfalls würden TV-Bilder aus Sachsen, bspw. von Asylkritiker-Demos oder Björn Höcke, mit mehr Deutschlandfahnen bestimmt noch viel schöner aussehen.

  • Billiger Patriotismus als Pseudo-Ersatz für neoliberal torpedierte und zunehmend abgewrackte soziale Sicherungssysteme ... so offensichtlich und rücksichtslos verkaufen CDU wie AfD die Bürger_innen für dumm.

  • Woran erkennt man einen Patrioten? Daran dass er mit guten Beispiel vorangeht! D.h. dass er freiwillig mehr Steuern und Abgaben zahlt ohne darüber zu klagen und unbezahlte Dienste zum Wohle der Allgemeinheit animmt. Ist natürlich nur Spaß, ein echter Patriot denkt gar nicht daran, sondern fordert in erster Linie, dass sein Land besser gestellt wird als alle anderen, da aber jedes Land seine Patrioten hat, von denen jeder das gleiche will ist der ganze Patriotismus für die Katz und Quatsch mit Käse. Es steht einer gemeinsamen Lösung, welche für alle Nationen das Beste ist im Wege, siehe Flüchtlingspanik in Österreich. Die Moral besteht darin, von den andern das fordern, was man selber nicht einhält. Das ist das Wesen der sog. Leitkultur.

  • In Polen, Frankreich oder Ungarn mag das, was derzeit passiert, als "selbstverständliche[r] Patriotismus" durchgehen. Selbst da aber nur unter Leuten, die zur Abstraktion unfähig sind. In Deutschland können sich Politiker nicht einmal darauf rausreden, dass sie es gern konkret haben.

     

    Polen, Frankreich oder Ungarn haben eine deutsche NS-Vergangenheit. Sie müssen die Parallelen nicht erkennen. Nationalisten neigen ja dem Glauben zu, das, was im Fall anderer Nationen ein Fehler ist, könne im eigenen Fall unmöglich einer sein, weil man ja völlig anders ist als all die andern kleinen Jungs und Mädchen.

     

    Nun ja. Deutsche sind Deutsche. Als solche haben sie wohl hinlänglich bewiesen, dass sie den Tiger, der mit "Patriotismus" beschriftet ist, nicht reiten können. Da hilft es auch nicht darauf hinzuweisen, dass 2016 im Kalender steht. Wenn Patriotismus als "gesellschaftliche[r] Kitt" funktioniert, dann nur, weil er Menschen, die das dringende Bedürfnis nach Frustabfuhr empfinden, eine Möglichkeit dazu verspricht. Und zwar eine, die sie sich fest einbilden dürfen.

     

    Dass Matthias Rößler das nicht weiß, glaube ich ihm nicht. Er rechnet sehr wahrscheinlich fest damit, dass seine Zuhörer ihn schon verstehen werden, wenn er ausreichten lässt: "Toleranz endet an der deutschen Leitkultur". Es schwingt ein großes, einendes Versprechen mit in Rößlers Pathos: Jeder, der sich Rößler anschließt, darf sich aufgerufen fühlen, den Rächer der Nation zu geben.

     

    Endlich wer sein, das Große-Ganze mitbestimmen! Was die deutsche Leitkultur ausmacht, wie sie konkret zu fassen ist, darf jeder Rächer selbst entscheiden. Und wenn er glaubt, dass irgendwer gegen das selbstgeschnitzte Reglement verstößt, dann darf er "emotional[]" werden – und den vermeintlichen Delinquenten ganz ohne fremde Hilfe richten. "Mit Haut und Haaren", wenn es denn nicht anders geht.

     

    Und Rößler? Der wird nachher kühl behaupten, man hätte ihn nur völlig falsch verstanden.

  • Und wieder muss ich mit dem Zitat von Samuel Johnson kommen:

    "Patriotismus ist die letzte Zuflucht eines Schurken."

    Gehört habe ich diesen Satz übrigens zum ersten Mal in dem Stanley Kubrik Klassiker "Wege zum Ruhm",den man unbedingt gesehen haben sollte,dann weiß man auch klipp und klar,was er bedeutet.

    • @Markus Müller:

      Und wieder muss ich mit dem Zitat von Christian Morgenstern kommen:

      "Zitate sind Eis für jede Stimmung."

      • @Nase Weis:

        Good old Schopenhauer:

         

        "Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein: hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen."

  • Rößler propagiert einen idealen, unschuldigen, per se positiven Patriotismus, der vom Nationalismus, der andere herabwürdigt, zu unterscheiden sei. Als dessen Wurzeln bezeichnet er das antike Erbe, das Christentum und die Aufklärung.

    Christentum: Naher Osten

    Antikes Erbe? Der Balkan hat mehr antikes Erbe als Sachsen.

    Aufklärung? Höchstgradig gesamteuropäisch, daher ungeeignet für einen deutschen oder sächsischen Patriotismus.

    Und was ist das bitte albernes, wenn dieser unschuldige per se positive Patriotismus, der sich von einem andere herabwürdigenden Nationalismus unterscheiden soll, eine Leitkultur beinhaltet, der sich Zuwanderer "mit Haut und Haaren auf unser Land, auf unsere Gesellschaft einlassen" müssen?

    • 8G
      889 (Profil gelöscht)
      @LeSti:

      An Haut und Haaren erkennt der gemeine Sachse den Ausländer.