Familiennachzug scheitert: Das Baby und die Bürokratie
Der Syrer Majd Farekh ist gerade Vater geworden. Doch das Neugeborene und die Mutter stecken in Mazedonien fest.
Aber Farekh kommt hier nicht zur Ruhe, denn bei seiner Flucht geht es nicht nur um ihn. Seine Frau Hiba und seine am 5. April geborene Tochter Sham stecken auf der Balkanroute fest. Sein Kind kennt er nur von Fotos. Vor etwas mehr als zwei Monaten hat seine damals schwangere Frau die Grenze zwischen Mazedonien und Serbien erreicht. Seitdem lebt sie mit rund 1.000 anderen Flüchtlingen in einem Lager in Tabanovce, von wo es für sie weder vorwärts noch zurück geht.
„Ich weine jede Nacht“, erzählt Farekh am Telefon. „Es geht ihr nicht gut dort, ich mache mir viele Sorgen. Sie schläft in einem großen Zelt, mit 100 oder 200 anderen. Es ist laut, die anderen rauchen. Im Lager ist das Internet zu schwach, deshalb läuft sie jeden Tag einen Kilometer, um ein besseres Signal zu bekommen.“
Farekhs Papiere reichen für einen Antrag auf Familiennachzug nicht aus. Bisher hat er nur eine „Büma“, die „Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender“. Auf seinen Asylantrag und den Termin beim Amt wartet er seit Oktober. Sie hätten sogar bei dem Ausländerbehörde in Bielefeld nachgefragt und versucht, Druck zu machen, erzählt Albert Schnurbusch, ein Nachbar, der Farekh unterstützt. „Dort hatten sie Verständnis, können aber auch nichts ausrichten“, sagt er. „Es ist besonders bitter, weil alle, die inzwischen neu ankommen, sofort registriert werden und direkt ihren Antrag stellen können. Deren Verfahren gehen viel schneller.“
„Ich wünsche mir, dass meine Familie in Sicherheit ist“, sagt Farekh. „Dass meine Tochter in Deutschland aufwachsen kann, dass sie Deutsch spricht, sich hier integriert. Deutschland hilft uns mehr als andere Länder, wir werden das nicht vergessen.“
Angst vor der Überfahrt
Bevor er sich auf den Weg über die Balkanroute gemacht hat, lebte Farekh zwei Jahre mit seiner Frau in der Türkei. Sie hätten sich erst gemeinsam auf den Weg gemacht, sagt er. Vor der Überfahrt im Schlauchboot habe seine Frau große Angst bekommen, deshalb sei er allein weitergereist – in der Hoffnung, sie schnell nachholen zu können.
„Hiba wollte das Kind nicht allein bekommen, ich sollte bei der Geburt in der Nähe sein, deshalb hat sie sich mit einer Freundin auf den Weg gemacht“, sagt Farekh. „Sie hätte auf legalem Weg nachreisen können, wenn mein Asylantrag schon bearbeitet und entschieden wäre.“
„In Mazedonien ist es für die Flüchtlinge noch weniger aussichtsreich als in Griechenland“, sagt die Freiwillige Sylvia Hanslik. Sie hält seit Monaten Kontakte in die Balkanländer und nach Griechenland und versorgt Flüchtlinge über soziale Netzwerke mit Informationen. Die Bedingungen im Lager von Tabanovce seien bedrückend. Während alle nach Idomeni guckten, vergesse die Öffentlichkeit die Flüchtlinge in Serbien und Mazedonien. „Hiba Farekh würde ich fast raten, umzudrehen nach Griechenland. Und dann einen Asylantrag direkt mit einem Antrag auf Familienzusammenführung zu stellen.“
Ständige Sorge
„Es gibt ein Grundrecht auf Familienleben und freie Partnerwahl, und das wird bei Hindernissen im Familiennachzug verletzt“, sagt Sidonie Fernau vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften. Bei Geflüchteten sieht sie ähnliche Probleme wie bei Familien, bei denen die Partner aus unterschiedlichen Ländern kommen. „Die Menschen begleitet ständig die Sorge um ihre Angehörigen. Die Frage, wie es den Anderen geht, wie und wann man sich gegenseitig erreicht, ob der Akku aufgeladen ist. Das hindert sie daran, anzukommen und sich auf ihren Alltag einzulassen. Und es übt einen enormen psychischen Druck aus“, sagt sie.
Der psychische Stress könne die Integration verzögern. „Dabei sind die Geflüchteten oft sehr motiviert, sich hier ein neues Leben aufzubauen“, sagt Fernau. „Sie wollen für sich und ihre Familie sorgen.“ Ein weiteres Problem sieht Fernau in der Definition von Familie. „Es gibt nur den Nachzug der Kernfamilie, das ist eine große Einschränkung.“ Eine starke Einschränkung des Familiennachzugs könne dazu führen, dass sich der im Ausland lebende Teil der Familie mitunter auf sehr gefährlichen Wegen auf die Reise nach Deutschland begibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video