piwik no script img

Volkswirtschaftslehre in der KritikStudis stöhnen über zu viel Theorie

VWL-Studenten haben ihr Fach untersucht. Sie stellten fest: Die Realität der Wirtschaft kommt darin genauso selten vor wie Wirtschaftsgeschichte.

Im Bild: Studenten. Nicht im Bild: Praxisbezug Foto: dpa

Berlin taz | Warum kommt es zu Wirtschaftkrisen? Wieso sind die Reichen reich und die Armen arm? Wie funktioniert Geld? Wie entsteht Wachstum? So erstaunlich es klingen mag: Diese Fragen kommen in einem normalen Wirtschaftsstudium nicht vor. Die meisten Ökonomen basteln dort an theoretischen Modellen, die mit der Realität nichts zu tun haben.

Doch es regt sich Widerstand: Kritische Studenten haben sich im „Netzwerk Plurale Ökonomik“ zusammengeschlossen, um die einseitige Lehre zu reformieren. An Mittwoch erschien eine Studie, die 57 deutsche Bachelor-Studiengänge untersucht hat, die zu einem Abschluss in Volkswirtschaftslehre (VWL) führen.

Ergebnis: Mathematische Formeln dominieren. „Den Studenten wird das Denken abgewöhnt“, sagt Gustav Theile, der in Tübingen studiert und an der Untersuchung mitgewirkt hat. „Es geht beim Lernen nicht darum, etwas zu verstehen, sondern vorgegebene Aufgaben möglichst schnell zu berechnen.“

BWL dominiert VWL

Konkret ergab die Auswertung der Lehrinhalte und Prüfungsordnungen, dass das Fach Volkswirtschaftslehre in Wahrheit von der Betriebswirtschaftslehre dominiert wird. Sie bestimmt 21,3 Prozent des Lehrplans. Weitere 17,7 Prozent der Zeit werden für reine Mathematik und Statistik aufgewandt. Die klassischen Inhalte der Volkswirtschaftslehre, Makro- und Mikroökonomie, machen 11,6 und 9 Prozent aus, und auch dort dominieren die Formeln.

Selbst das Thema Geld interessiert in der Volkswirtschaftslehre kaum

Bemerkenswert: Selbst das Thema Geld interessiert in der herrschenden Volkswirtschaftslehre kaum und füllt nur etwa4 Prozent des Lehrplans. Dabei haben nicht erst die letzten Finanzkrisen gezeigt, dass Geld im modernen Kapitalismus eine zentrale Rolle spielt.

Noch schlechter schneiden jene Fächer ab, die zum Nachdenken anregen würden. Die Wirtschaftsgeschichte kommt fast gar nicht vor, obwohl sich anhand der historischen Ereignisse am besten ablesen lässt, ob Wirtschaftstheorien überhaupt stimmen. Auch Wirtschaftsethik und die Geschichte des ökonomischen Denkens sind mit1,3 Prozent weitgehend ignorierte Randfächer.

„Formeln auswendig lernen“

„Wir lernen immer nur das herrschende Dogma, und Konkurrenztheorien kommen gar nicht vor“, fasst Theile die Ergebnisse zusammen. „Prüfungsvorbereitung heißt, Formeln auswendig zu lernen.“

Die Studenten sind längst nicht mehr die einzigen Kritiker des Faches. Selbst berühmte Volkswirte sind inzwischen überzeugt, dass ihr Fach vor allem nutzlose Mathematik produziert und mit einer rationalen Wissenschaft nichts mehr zu tun hat. Es würden sich Sekten bilden, die doktrinäre Glaubenssätze verbreiten. So schrieb der US-Ökonom Paul Romer kürzlich in seinem Blog: „Die Ökonomie funktioniert nicht mehr, wie es bei einer wissenschaftlichen Disziplin üblich sein sollte.“ Er warf seinen Kollegen vor, „wie auf einem interreligiösen Treffen“ nur noch „Dogmen zu rezitieren“ und dafür auch noch „andächtige Stille“ zu erwarten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • "Bemerkenswert: Selbst das Thema Geld interessiert in der herrschenden Volkswirtschaftslehre kaum und füllt nur etwa 4 Prozent des Lehrplans."

     

    Das kann einen überhaupt nicht wundern : D a s Thema ist für die klassische akademische VWL-(Anti)Wissenschaft lebensgefährlich . Weil : ginge ja nicht ohne sehr in die Tiefe gehende Theorie ab , man würde dabei richtig ins Denken kommen müssen , an Autoren nicht vorbei können , die auf der "roten Liste" stehen - ... wer könnte wissen , was dabei in den Köpfen der Studis alles raus- bzw. reinkommen würde !?

    Und außerdem : "Die Wirtschaft" will der Uni keine D e n k e r abnehmen , sondern K ä m p f e r bekommen , für die Front und die härter gewordene Jagd nach Rendite .

    • @APOKALYPTIKER:

      Na klar, wenn man verstanden hat, dass Geld keinen Wert hat, sondern lediglich ein Versprechen einmal reale Güter dafür zu bekommen, erkennt man dass die "Wirtschaft" mit der Jagt nach Rendite einen Schattenreich verfallen ist.

      Es geht nur um reale Güter und Kunden, diese gebrauchen und sich leisten können!

      Deshalb bringt es auch nichts, wenn die EZB beliebig viel Geld aufs Papier schreibt. Die Industrie wir nur investieren, wenn es Abnehmer für reale Produkte gibt.

      Mit dem wertlosen Geld auf dem Konto können sie spekulieren und die Verteilung dieser leeren Versprechungen unendlich steigern! Dadurch entstehen keine zusätzlichen Produkte!

      Unsere Erde ist rund und endlich. Der Kampf um die Verteilung, der Krieg Reich gegen Arm läuft schon lange,

      Siehe dazu das Video von Georg Schramm https://www.youtube.com/watch?v=-ZwsmVthQUs

      und die sogenannten Freihandels Abkommen TTIP, CETA, und Bernie Sanders "We Must Stop Outsourcing Jobs https://www.youtube.com/watch?v=pbF9nYfIOlQ

      Veröffentlicht am 05.03.2016

      "We must put an end to the disastrous trade deals like NAFTA, CAFTA, and the TPP that outsource American jobs to countries like Mexico, China and Vietnam."

      Das sind die Dicken Eier, die man uns zu diesem Ostern in das Nest legen will!

  • Wozu denn Wirtschaft verstehen? Dann müsste ja etwas geändert werden. Dass die Eierkopffächer an den Unis viel Unsinn lehren, das ist doch jedem bekannt. Aber Fächer, die Modelle für Hochgeschwindigkeitshandel entwickeln, sind von "Wirtschaftslehre" weit entfernt.

  • Die werden aber auch echt immer dümmer. Gerade bei VWL ist es völlig offensichtlich, dass die Modelle gehörig abstrahier sind und sich mit ein klein wenig Schmalz durchaus treffend auf die Realität anwenden lassen. Allerdings nur, wenn man mal selber denkt und nicht hinten und vorne betüdelt wird mundgerecht die Lösung serviert bekommt. Das scheinen einige nämlich ständig zu erwarten.

    • @ioannis:

      & nochens - "abstrahi" - sahre Sie!

      Alles mit Schmalz ~> Reality¿!

       

      "Also verstehste - abstrakt ist das Gegenteil von konkret. Stehste vor was Abstrakten - isses konkret!" &

       

      "Theorie&Praxis - Also - Theorie sind

      8 Mark - Praxis sind 8 Pfennig!"

      by Storm P.

      (obwohl Däne - hab ich zu Schmalz bei ihm nix in Erinnerung - zu dumm;))

    • @ioannis:

      Dunnerwedder -

       

      "…Die werden aber auch echt immer dümmer. Gerade bei VWL ist es völlig offensichtlich, dass die Modelle gehörig abstrahier sind und sich mit ein klein wenig Schmalz durchaus treffend auf die Realität anwenden lassen.…" really really ¿

       

      Wo steht Ihr Leerstuhl?

      Ich schmalz mal vorbei;))

      Really really!

    • 2G
      25726 (Profil gelöscht)
      @ioannis:

      Selber denken und Modelle der VWL sind ein Widerspruch in sich. Wenn ich eine Zitrone auspressen kann, verstehe ich noch lange nix von Obstanbau...

      • @25726 (Profil gelöscht):

        Aber nein: Selber denken + die Modelle, dann kanns was werden. Man darf halt nicht die Schablone mit der Realität verwechseln und dann behaupten, die Schablone tauge schon nichts.

  • 3G
    33523 (Profil gelöscht)

    VWL Studieren und sich dann über zu viel Theorie aufregen. Da soll einer schlau draus werden,...

  • 2G
    27741 (Profil gelöscht)

    Was ist das denn. Die Studenten neigen zu Eigenmächtigkeiten? Dann wollen wir mal hoffen, dass es zum 50ten der 68er ein großes Fest gibt. Wenn ihr dann noch die Arbeiter mitnehmt, könnt es was Großes werden.

  • Wer fundiert kritisieren und nachfragen will, muß auch kompetent mit Zahlen und Statistiken umgehen können - gerade in den Wirtschaftswissenschaften. Daher ist die Polemik gegen angeblich zuviel Mathematik völlig fehl am Platze. 17% Mathematik in einem Wirtschaftsstudium sind alles andere als übertrieben.

    • @yohak yohak:

      Warschau & Ahoj Käpt'n!

      Danscha ahlens in Butter -

      Aufn Kutter;()

      • @Lowandorder:

        & nochens Käptn Ahab -

        Gewiß - Rechnen is noch nich Mathe¿

        Aber ca 1/5 ?! - Alles auf Latte¿¿;))

        Als Teerjack tu ich mich was schwer

        Eher son - you know¿ - Käptn Blaubär¿!

    • @yohak yohak:

      Ich glaube sie missverstehen, Mathematik ist wichtig und wird im Studium der WiWi auch gesondert und gewissenhaft vermittelt.

       

      Als WIng hatte ich 4Semester Mathe, 3Semester Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik, dazu noch Informatik und Operation Research(angewandte Lösungsverfahren). Ich fühle mich mathematisch durchaus in der Lage auch komplizierteste Aufgaben zu modellieren und zu lösen.

      Aber in den 2Semestern BWL musste man dann simpelste Kosten/Leistung-Rechnungen und das Aida-Werbungssystem auswendig lernen. Über dass Geldsystem habe weniger gehört als man sich in 5Minuten Wikipediabesuch angeeignen kann.

      Fragen mich Freude über die wirtschaftliche Lage muss ich zugeben das ich KEINE AHNUNG habe.

  • Das ist der grundlegende Fehler: "BWL dominiert VWL. Konkret ergab die Auswertung der Lehrinhalte und Prüfungsordnungen, dass das Fach Volkswirtschaftslehre in Wahrheit von der Betriebswirtschaftslehre dominiert wird."

    Das ist Schwachsinn! Ich will doch auch nicht von einem Tierarzt am Herzen operiert werden.

    Hinterfragen sie das Triumphgeschrei unseres "Wirtschafts Ministers" und der Kanzlerin, die sich freuen, das Deutschland "Export-Weltmeister" über lange Jahre ist. Hier fehlt die Wirtschaftspolitik, die für eine ausgeglichene Handelsbilanz sorgt. Hier muss eine Landeswährung automatisch aufwerten. Sonst müssen wir unsere Exporte, wie zur Zeit durch Kredite an unsere Abnehmer selbst finanzieren. Das Geld bzw. Waren können die Schuldner nie zurück zahlen.

    Diese aktuelle Krise wird als Blase platzen.

    Ein Rechtsanwalt als Finanzminister, z.B. Dr. Schäuble und ein Oberlehren für Erwachsenen Bildung als Wirtschaftsminister. Gabriel, haben ihr Berufsziel verfehlt!

    VWL hat drei gleichwertige langfristige Ziele:

    - Wachstum mit Vollbeschäftigung

    - Preisstabilität

    - ausgeglichene Handelsbilanz

     

    Ludwig Erhard (parteilos) hat das mit dem Motto "Wohlstand für alle!" geschafft. Dabei hat er noch 4 Mio Migranten importiert.

    Heute haben wir die größte Ungleichheit,

    das ist gleichzeitig Ungerechtigkeit aller Zeiten in Deutschland.

    Wo sind die Sozialen Denker mit einer Christlichen Handelsmaxime?

    Es gibt nur noch BWL Absolventen?

    Lesen Sie doch einmal J.M. Keynes "Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" 1936

    Das funktioniert immer noch.

    Frau Ulrike Herrmann kann Ihnen noch tolle Videos dazu empfehlen.

    P.S. Mathematik zu verstehen ist kein Fehler, denn Zeitreihen Analysen gehen regenmässig wegen der Autokorrelation in die Hose. Das erkennt man nur mit gesundem Menschenverstand.

  • "...Konkret ergab die Auswertung der Lehrinhalte und Prüfungsordnungen, dass das Fach Volkswirtschaftslehre in Wahrheit von der Betriebswirtschaftslehre dominiert wird..."

    "....Selbst berühmte Volkswirte sind inzwischen überzeugt, dass ihr Fach vor allem nutzlose Mathematik produziert und mit einer rationalen Wissenschaft nichts mehr zu tun hat. Es würden sich Sekten bilden, die doktrinäre Glaubenssätze verbreiten..."

     

    Bachelor VWL - das ist zwar nicht

    "Tells-Geschoß" - Aber - hochrechenbar Für alle betroffenen Studiengänge - der

    Bertelsmann-Bologna-Rohrkrepierer!!

    Verblödungsmaschine per excellance.

     

    Universitäten/Hochschulen in `schland

    Als Zulieferer-Betriebe für den

    Industriell-Wirtschaftlichen Komplex!

    Schmalbrüstige Gebrauchsware - aka -

    AuspressCitronen-Stuff - as usual!

    Das - ist des Pudels Kern! - &

    Die eigene Brut wird an die

    "Elite"-Universitäten usa &

    Nach Oxbridge geschickt.

    Zur Sicherung der Renditeraten der

    Happy Few Rich! That´s the Truth!

    Gut - Daß sich dagegen vermehrt

    Widerstand bildet.

    Massel tov.

  • Ein VWL/BWLer soll nicht verstehen.

    .

    Der/die sollen funktionieren wenn sie im Betrieb eine Aufgabe bekommen. Denken, gar über die Aufgabe hinaus dafür gibt es den Vorstand, die Geschäftsführung:-(

    .

    Es ist ganz schön unverschämt von diesen StudentenInnen auch noch zu erwarten das sie

    a. das verstehen, was sie studieren

    b. das Theorien auf "wahr/falsch" getestet werden

    c. das man aus der Geschichte lernen kann

    .

    In einem Umfeld, in dem die GRUNDLAGE des Kapitals= Zinsen bringen, außer Kraft gesetzt worden ist, auch noch das Maistream Credo, das Glaubensbekenntnis anzweifeln....

    .

    Dann können wir ja gleich zu machen!

    .

    Wenn dann auch noch die Forderung kommt, Ansätze&Theorien kritisch zu diskutieren gar zu hinterfragen..... So haben wir uns das aber mit "Wissenschaft" nicht gedacht:-((

    .

    Meint

    Sikasuu

    .

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Oh je, wo kommen wir denn da hin, wenn Studenten auf einmal tatsächlich die Wirtschaft verstehen. Das ist Herrschaftswissen, die Stundeten sollen mal schön weiter Formeln auswendig lernen.Womöglich wird sonst noch die Wirtschaft irgendwann tatsächlich gerechter und die Vermögenden müssen doch tatsächlich irgendwann mal wieder angemessen Steuern zahlen.

    Oder noch schlimmer, es gibt umfangreiche Diskussionen in der Öffentlichkeit zu diesem Thema: http://www.deutschlandradiokultur.de/soziales-erbschaft-abschaffen.976.de.html?dram:article_id=302723