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Strategie für mehr BürgerbeteiligungGrünbuch für Citizen Science

Das Thema „Bürgerwissenschaft“ gewinnt in Deutschland weiter an Fahrt. Gestritten wird darüber, wie weit die Partizipation reichen darf.

Einfach nur Vögel zählen ist manch einem Hobbyforscher zu wenig Foto: dpa

„Citizen Science“, die Beteiligung der Laien an der Wissenschaft, ist in Deutschland in den letzten zwei Jahren deutlich vorangekommen. Dies betonten die Organisatoren der Plattform Bürger schaffen Wissen am Mittwoch bei der Vorstellung ihres „Grünbuchs“ einer „Citizen Science Strategie 2020 für Deutschland“ (pdf-Datei) in Berlin. Jetzt werde diskutiert, wie über die Forschung hinaus „die Anschlussfähigkeit an andere gesellschaftliche Felder“, etwa die Bildung, zu erreichen sei, erklärte Katrin Vohland vom Berliner Naturkundemuseum als Sprecherin der Plattform.

Die Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Bürgerwissenschaft waren in den letzten Monaten ebenfalls in einem offenen Partizipationsprozess entstanden. Zur Formulierung des Strategiepapiers hatten in einer Onlinekonsultation über 1.000 Teilnehmer rund 400 Kommentare abgegeben und 53 Positionspapiere eingereicht.

Heraus kam, dass vor allem drei Bereiche bis 2020 von Bedeutung sind: die Unterstützung von Citizen-Science-Akteuren in den schon bestehenden Kooperationsstrukturen, die Neuschaffung von Rahmenbedingungen und das Experimentieren mit neuen Beteiligungsformaten sowie die Integration von Citizen Science in „Wissensprozessen, Politik und Bildungsansätzen“. Für jeden Bereich sind im Grünbuch zehn Handlungsfelder angeführt.

Das Wachstum der Bewegung konnte Markus Weißkopf von der Initiative Wissenschaft im Dialog mit Zahlen untermauern. So hat sich die Zahl der Bürgerforschungsprojekte auf der Internetplattform www.buergerschaffenwissen.de seit 2014 von zehn auf heute 65 erhöht, angeführt von naturwissenschaftlichen Disziplinen. Die Webseite hat 3.000 Besucher im Monat mit 10.000 Seitenaufrufen. Auf Facebook verzeichnet das von Naturkundemuseum und Umweltforschungszentrum in Leipzig getragene Konsortium derzeit 861 Freunde, auf Twitter 959 Follower sowie 494 Abonnenten des Newsletters. Weißkopf: „Wir wachsen ständig weiter.“ Auch die öffentliche Resonanz sei mit über 150 Zeitungsartikel und 30 Rundfunkbeiträgen beachtlich.

Tier- und Sternenbeobachter

Die Landschaft des Bürgerengagements in der Wissenschaft ist in seiner Breite noch unerforscht. An den 65 Projekten auf der Plattform sind nach Schätzung der Betreiber rund 250.000 Menschen beteiligt. Die Größe der Projekte schwanke sehr. Sie reicht von einzelnen Personen in einem der mindestens 40 FabLabs oder den 11 Wissenschaftsläden in Deutschland bis hin zu 10 bis 50.000 Usern auf Onlineplattformen wie „Naturgucker“, wo etwa Tier- und Sternenbeobachtungen eingetragen werden. In der Summe, rechnet das Konsortium hoch, „haben in Deutschland in den letzten Jahren mindestens 500.000 Personen an Citizen-Science-Projekten im weiteren Sinne teilgenommen“.

Für die Politik zeigte sich der Staatssekretär aus dem Bundesforschungsministerium, Georg Schütte, beeindruckt: „Mein Glückwunsch zu diesem Kraftakt.“ Schütte forderte dazu auf, die Zivilgesellschaft stärker an der Wissenschaft zu beteiligen. Allerdings gebe es hier noch kritische Diskussionen, wie weit diese Partizipation reichen dürfe.

Eine Umfrage des Projekts zeigt, dass die Forscher die Bürger am liebsten als Datenkollektoren dabei haben wollen, während für die Laien auch die Themen-Mitbestimmung vorrangig ist. Forschungspolitiker Schütte, dessen Haus das im September auslaufende Konsortium Bürger schaffen Wissen mit eine halben Million Euro finanziert hatte, kündigte die Fortsetzung in Form einer „Förderrichtlinie“ an. Dann können sich einzelne Citizen-Science-Projekte direkt um eine Förderung beim Ministerium bewerben.

Das Budget soll dem Vernehmen nach aber insgesamt nur wenige Millionen Euro betragen – ein Klacks im Vergleich zu den Milliarden der Exzellenzinitiative.

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1 Kommentar

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  • Direkte Themen-Mitbestimmung stelle ich mir schwierig vor. Indirekt hingegen gibt es das ja de facto schon. Es gibt inzwischen so viele Projekte, an denen man sich beteiligen kann, dass man eine große Auswahl hat und die Projekte natürlich interessant genug sein müssen, damit sich Leute auch dafür begeistern. Ich denke nicht, dass das ein schlechter Weg ist, auf dem Citizen-Scientists einen Einfluss auf Forschungsschwerpunkte haben können.