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Kommentar Anschlag von VillingenMaas und die Hysterieschraube

Kommentar von Martin Reeh

Der Handgranatenanschlag in Villingen macht deutlich: Politiker sollten sich mit voreiligen Schlüssen in Ermittlungsverfahren zurückhalten.

Ein Modell der Handgranate, die in Villingen-Schwenningen zum Einsatz kam. Foto: dpa

D ie Hysterie in der Flüchtlingsdebatte greift um sich. Bei Rechtspopulisten, die über Vergewaltigungen durch Flüchtlinge fantasieren, die es nie gegeben hat, bei Berliner Flüchtlingsunterstützern, die Blumen für einen nicht vorhandenen toten Flüchtling niederlegen. Und bei Spitzenpolitikern, die es eigentlich besser wissen sollten.

Am Tag nach dem Handgranatenanschlag von Villingen-Schwenningen auf den Sicherheitscontainer sprach Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) von einem Anschlag „quasi mit militärischen Waffen auf Asylsuchende“, Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) legte einen Anschlag mit fremdenfeindlichen Motiven nahe.

Nach dem jetzigen Ermittlungsstand der Polizei handelt es sich um einen Streit im Sicherheitsgewerbe. Einen fremdenfeindlichen Anschlag schließen die Beamten aus.

Führende Politiker, besonders Innen- und Justizminister, sollten sich mit voreiligen Schlüssen in Ermittlungsverfahren zurückhalten. Weil sie damit den weiteren Gang der Ermittlungen beeinflussen, einerseits, und weil sie sich damit oft genug eine blutige Nase geholt haben, andererseits. Und zwar ganz gleich, ob sie einen rechtsextremen Hintergrund voreilig annahmen, wo er nicht zu beweisen war, oder frühzeitig verwarfen, wo er schließlich ermittelt wurde.

Der bis heute ungeklärte Bombenanschlag auf jüdische Migranten in Düsseldorf im Jahr 2000 stachelte die Bundesregierung zum ersten NPD-Verbotsverfahren an. Es scheiterte bekanntlich kläglich. Nach dem Anschlag in der Kölner Keupstraße 2004 sprach Innenminister Otto Schily von einem kriminellen, nicht terroristischen Hintergrund. Jahre später flog der NSU als Täter auf.

Wie viele der AfD-Anhänger noch mit rationalen Argumenten zu beeinflussen sind, ist unklar. Aber ein Justizminister, der selbst weiter an der Hysterieschraube dreht, wird ihre Hysterie sicher nicht verringern.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
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20 Kommentare

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  • Herr Maas und die Hysterieschraube; was für eine Wortschöpfung. Frauen sind hysterisch (?). Herr Maas hysterisch, die Bemerkung ist die "Fehlformulierung" der Woche! Hysterisch ist spontan, erregt, von Gefühlswallung geprägt....Wenn Herr Maas spricht ist da nichts mit spontan... es ist überlegt, vorbereitet und kalkuliert, jeweils eine Attacke in Richtung der Konservativen und/oder anders denkenden.

  • Vielleicht war das hier wirklich eine Rivalität zwischen Sicherheitsfirmen oder anderswo ein Streit zwischen Asylbewerber_innen. Das dürfte jedoch eine wirkliche Ausnahme sein.

    Selbst wenn sich das bestätigt, ist es sehr bedenklich, wenn solche "Sicherheitsfirmen" beauftragt werden. Zudem sind auch osteuropäische Immigranten vor Fremdenhass gegen andere Ausländer nicht immun. Ein Hintergrund bleibt rechtsradikal, selbst dann wenn die Täter nicht deutsch sind.

    Bei so vielen Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und so wenig Reaktionen darauf von "Hysterie" zu sprechen, klingt merkwürdig. Selbst wenn der konkrete Einzelfall anders liegen mag.

  • Der Inhalt dieses Kommentars ist wirklich gut und ich stimme dem Autor zu. Allerdings finde ich es schrecklich, wie inflationär Gebrauch von dem Wort "Hysterie" gemacht wird. Dieses Wort sollte aufgrund seiner Verwendung als Bezeichnung für eine "(Frauen) Krankheit" Anfang des 20. Jhdt. Definitiv kritisch hinterfragt werden.

    • @Paul Kreuz:

      Begriffe wandeln bzw. erweitern sich manchmal in ihrer Bedeutung; Duden hilft.

  • Leider kann Herr Maas nix anderes als "Hysterie". Das war bei Edathy so, als sein erster Gesetzentwurf so weit außerhalb der Verfassung stand und jedes Museum und manches Kunstbuch auf den Index gesetzt hätte, ist bei den Hass-Postings so, bei denen er auch nie eine Abgrenzung von verbotenem Hass zur Meinungsfreiheit hinbekommt und lässt sich an zallosen weiteren Beispielen belegen. Ich habe noch nie etwas von Maas gelesen, das irgendeine Substanz hatte außer Empörung. Das könnte die Bäckerfrau genauso.

  • Die Begründung der Polizei, dass es keinen fremdenfeindlich Hintergrund ist, dass die "Täter" einen "osteuropäischen" Hintergund haben, also wenn das nich bkloppt ist!

     

    Ansonsten abwarten, ich bin immer froh wenn keiner versucht Menschen auf der Flucgt versucht zu verletzten oder gar zu töten (reicht ja wenn das die Festung Europa und die Mächtigen ausserhalb voran treiben!).

     

    Ansonsten finde ich es trotzdem sehr erschreckend das Menschen mit Handgranaten aufeinander los gehen!

    • @Anarchie-Jetzt:

      Wenn Sie zwei korrelierende Fakten nehmen, und aus ihnen Kausalität konstruieren, die Sie dann selbst widerlegen, da sie unlogisch ist, ist das eher nicht das Problem der Polizei.

       

      Die Taten haben keinen fremdenfeindlichen Hintergrund, weil osteuropäische Sicherheitsfirmen sich um Marktanteile (und vermutlich auch Verbrechensanteile) streiten, dann wirft man halt nicht aus Rassenhass Handgranaten auf den anderen Osteuropär.

      • @Krähenauge:

        Vermutlich auch um Verbrechensanteile....

         

        Sie müssen mich nicht über Rassimus aufklären!

      • @Krähenauge:

        Zu welcher Rasse gehörte denn der andere Osteurobär?

  • Ich verstehe manchmal ehrlich nicht, was "Journalisten" wollen.

     

    Kommt eine zurückhaltende Reaktion der Politik, heißt der der Kommentar:

     

    "Wir brauchen klare Worte gegen X!"

     

    Kommt eine klare Reaktion und stellt sich im nachhinein heraus, dass es nicht so war, wie es auf den ersten Blick schien, heißt es:

     

    "Nicht in der Hysterie verfallen!"

     

    Das Problem ist, dass man Leute, die aus Prinzip immer dagegen sind, irgendwann nicht mehr ernst nehmen kann.

    • @commodore:

      Nörgler wie Sie kann man schon lange nicht mehr ernst nehmen.

       

      Es gibt einen Unterschied zwischen Berichterstattung und Meinung. Das wird heute oftmals durcheinander gebracht. Die Journalisten, die Bericht erstatten, werden während eines laufenden Ermittlungsverfahren nicht voreilig ein Urteil fällen. In einem Kommentar mag das vielleicht anders sein. Berichten die Journalisten wiederum über jemanden, der nach klaren Worten ruft, ist dies nicht dem Journalisten anzukreiden.

      • @Sapasapa:

        "Nörgler wie Sie kann man schon lange nicht mehr ernst nehmen."

         

        Und trotzdem hast Du dir die Mühe gemacht eine Antwort zu schreiben, die fast so lange ist, wie mein ursprünglicher Kommentar. Das passt nicht zusammen. Ich glaube, dass du mich sehr ernst nimmst. Zurecht!

        • @commodore:

          ;-)

  • Kommentar Anschlag von Villingen

    Maas und die Hysterieschraube

    Der Handgranatenanschlag in Villingen macht deutlich: Politiker sollten sich mit voreiligen Schlüssen in Ermittlungsverfahren zurückhalten..…"

     

    Schonn - & daß stupidia after the

    Zweite Staatsexamen - non nocet!

    Schade eigentlich!

    • @Lowandorder:

      Nicht?! - Herr Mass.

  • Naja, es war aber insbesondere auch die Asylbewerberlobby, die rumgeschrien hat. Claudia Roth hat immer noch Schnappatmung vor Empörung. Ich persönlich hatte auf eine Auseinandersetzung immDrogenmillieu getippt

  • Und wenn sie zu lange warten oder auf das laufende Ermittlungsverfahren verweisen, dann ist es auch nicht recht. Auf die Idee, dass sich Sicherheitsdienste regelrecht bekämpfen muss man auch erst mal kommen.

  • Wenn im Umfeld der Flüchtlingsunterkünfte ein Sicherheitsgewerbe operiert, das sich mit Handgranaten aufgerüstet hat, dann gibt es doch leider überhaupt keinen Grund zur Entwarnung - im Gegenteil. Wäre das Ding hochgegangen, hätte es auch Flüchtlinge treffen können. Da gab es (und gibt es wohl immer noch) eine sehr konkrete Gefahr und keine unbegründete Hysterie.

    • @Rainer B.:

      Wär ja nicht so gemeint gewesen, wenn's die Flüchtlinge getroffen hätte. Also nicht hysterisch werden!

      • @Karl Kraus:

        Ein Teil meiner Antworten könnte Sie verunsichern.