PartnerRegierungstreffen mit der Türkei steht im Schatten der Flüchtlingsfrage: Türkei will mehr Geld von der EU
Berlin taz / afp | Als Angela Merkel am Freitag ihren türkischen Kollegen Ahmet Davutoğlu zu den ersten gemeinsamen Regierungskonsultationen begrüßte, ging es ihr vor allem um den EU-Aktionsplan. Der verpflichtet Ankara dazu, seine Grenzen besser zu sichern und Flüchtlinge von der gefährlichen Überfahrt auf die griechischen Inseln abzuhalten. Im Gegenzug erhält die Türkei 3 Milliarden Euro von der EU. Außerdem hat Brüssel die Beitrittsverhandlungen wieder aufgenommen.
Schon vor seinem Besuch machte der Ministerpräsident Davutoğlu klar, dass Ankara das nicht reicht. Bisher gebe es nur „den politischen Willen zur Lastenteilung“, sagte er. Von dem Geld ist bislang nichts in der Türkei angekommen, weil sich die EU nicht einigen kann, wer welchen Anteil übernimmt.
Manche in der deutschen Regierung werfen aber auch der Türkei vor, ihre Versprechen nicht zu halten. Die türkische Regierung habe zugesagt, ihre Grenzen zu kontrollieren und den Menschenhandel zu stoppen, sagte Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel dem SWR. „Bislang sehen wir nicht, dass die Verabredungen wirken.“ Nur wenn Ankara die Zusagen einhalte, würden auch die versprochenen Milliarden „Zug um Zug“ fließen.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt fordert von Ankara mehr Engagement bei der Versorgung der Flüchtlinge: Die Flüchtlinge bräuchten „schnelle und klare Verbesserungen ihrer Lebensumstände, nur dann werden sie auch bereit sein, für eine längere Zeit in der Türkei zu bleiben“, sagte sie Spiegel Online. Bernd Riexinger, der Vorsitzende der Linkspartei, warnte deshalb vor „schmutzigen Deals“. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft der Türkei sogar vor, Flüchtlinge wieder zurück in den Nordirak und nach Syrien zu schicken.
Rund einhundert Prominente haben die Kanzlerin in einem offenen Brief aufgefordert, sich in ihren Gesprächen mit Regierungschef Davutoğlu für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus in der Türkei einzusetzen. Zu den Unterzeichnern zählen neben Shermin Langhoff, die den Brief initiiert hat, die Filmregisseure Fatih Akin, Dani Levy und Christian Petzold, die Schriftsteller Navid Kermani und Sibylle Berg sowie die Schauspielerinnen Katja Riemann, Jasmin Tabatabai und Sibel Kekilli.
Grünen-Chef Cem Özdemir kritisiert insbesondere die Kurdenpolitik. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan lasse im Südosten des Landes „auf die eigene Bevölkerung schießen“. Merkel müsse sich „um einen Waffenstillstand und eine Rückkehr zum politischen Prozess bemühen“. Sonst werde es bald neue Flüchtlingsbewegungen aus der Türkei geben, prophezeite Özdemir in der Welt.
Hunderte prokurdische Demonstranten begrüßten den türkischen Ministerpräsidenten am Freitag vor dem Kanzleramt mit einem gellenden Pfeifkonzert. Mit „Erdoğan Mörder“-Rufen und dem Slogan „Deutschland finanziert, Türkei massakriert“ empfingen etwa 300 prokurdische Demonstranten den Staatsgast. In Reden wurde geforderten, die verbotene „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) nicht mehr als Terrororganisation einzustufen. Auch etwa 50 Anhänger der türkischen Regierungspartei AKP fanden sich vor Merkels Amtssitz ein, doch es kam zu keinen Reibereien.
Daniel Bax
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen