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Kolumne Apocalypse NowDas ödipale Dreieck der Bedrohung

Sonja Vogel
Kolumne
von Sonja Vogel

„Unsere“ braven Mädchen lassen nur noch die Anderen ran. Gefährlich ist die traditionsreiche Verpackung in „Deutsches Mädel, sei wachsam!“

Junge deutsche Nadelbäume. Foto: dpa

I ch gehöre zur Generation Stoßlüften. Schon wenn jemand im Winter ein Fenster auf Kipp stellt, werde ich wütend. „Mein Freund der Baum“ ist zwar etwas älter. Aber die Stimmung hat mich geprägt. Das ewige Reden vom Waldsterben.

Überhaupt, der deutsche Wald, diese zu schützende Sehnsuchtslandschaft, der sich alle bedient haben – die Romantiker, die Nazis, die Ökobewegung, die Wohlhabenden (der Manufaktum-Effekt). Als Kind hatte ich Angst, dass es bald keine Tiere mehr gibt – die Menschen waren mir damals ziemlich egal.

Was für Zeiten! Die Welt war so einfach. Heute ist alles kompliziert. Und es ist gar nicht mehr klar, wer vor was geschützt werden muss. Selbst die politische Ordnung ist komplett verrutscht. Linke finden Merkel gut. Und eigenen Reihen rebellieren gegen die Kanzlerin. Sie malen ein Horrorbild der allmächtigen Mutter, die im Volksmund auch so heißt: Mutti. In der abendländischen Geschichte hat sie viele Vorbilder, der Weg von der heiligen Mutter zur Hure ist kurz. Und so lauert hinter der Anerkennung der Vorwurf: überfordert, irrational, ohne Weitblick. Der ganze Rattenschwanz an misogynen Stereotypen.

Dahinter steckt die uralte Idee vom Staatskopf, der für den Volkskörper entscheidet. Frauen dürfen gerade mal 100 Jahre wählen, klar wurmt es da manch einen, dass so eine jetzt ganz oben steht. Und als wäre die Übermutter nicht schon schlimm genug, vervollständigt sich das ödipale Dreieck der Bedrohung durch die einwandernden jungen, muslimischen Männer. Wir kennen die rassistischen Legenden über ihre Potenz: Falschmeldung über eine Vergewaltigung hier, dort eine Schule, die ihre Mädchen anweist, sich ordentlich anzuziehen. Zum eigenen Schutz natürlich. Klassischer Fall von Übertragung.

Die Frau ist ein Risiko

Der Philologenverband Sachsen-Anhalt, ein Club alter, heterosexueller Männer hat es schön und klar ausformuliert: „Wie können wir unsere jungen Mädchen ab 12 Jahren so aufklären, dass sie sich nicht auf ein oberflächliches sexuelles Abenteuer mit sicher oft attraktiven muslimischen Männern einlassen?“ Ein Satz wie aus einer Analysesitzung.

Im Klartext heißt das: Meine Zeit ist vorbei, „unsere“ braven reinen Mädels lassen nur noch die anderen ran. So weit, so armselig. Gefährlich ist aber die traditionsreiche Verpackung in „Deutsches Mädel, sei wachsam!“ Schließlich kann auch der privilegierteste Mann nie sicher wissen, von wem ein Kind stammt. Qua Mutterschaft ist die Frau ein Risiko.

Die Paristaz

Der Erde droht der Hitzekollaps. Deshalb wollen die Staatschefs der Welt Anfang Dezember in Paris einen globalen Klimaschutz-Vertrag vereinbaren. Die taz berichtete vom 28. November bis zum 14. Dezember 2015 täglich auf vier Seiten in der Zeitung und hier auf taz.de.

Hier zeigt sich nicht nur, wie Rassismus und Misogynie verschränkt sind, sondern auch die Sprechposition des patriarchalen Mannes: die vorgebliche Ich-Losigkeit, befreit vom eigenen Begehren zugunsten der moralischen Überlegenheit. Nicht ich, sondern wir.

Bisher hatten die alten Herrschaften keinen Grund sich um die eigene Position zu sorgen, Alter und Geschlecht schlägt schließlich noch Qualifikation. Vielleicht aber geht den alten Herren jetzt der Arsch richtig auf Grundeis. Schönwär’s ja. Der Chef der Philologen Sachsen-Anhalt, Jürgen Mannke, hat den Anfang gemacht und ist abgetreten.

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Sonja Vogel
tazzwei-Redakteurin
Vollzeitautorin und Teilzeitverlegerin, Gender- und Osteuropawissenschaftlerin.
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10 Kommentare

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  • Wenn Manchem heute "nicht mehr klar [ist], wer vor was geschützt werden muss", dann weil immer mehr Frauen Patriarch sein wollen – und als solche auch Erfolge feiern. Für traditionell sozialisierte Männer ist das in sofern irritierend, als Väterlichkeit und Mütterlichkeit keine Schnittmenge haben für sie.

     

    Die Fantasie des Menschen ist unendlich. Seine Realität nicht. Männer können zwar keine Kinder kriegen, eine Zeit nach sich selbst können sie sich aber vorstellen. Dass ihre im Schnitt deutlich größere Körperkraft und ihre zum Teil beachtliche Intelligenz ihnen bis heute nicht geholfen haben, ganz ohne Frauen Söhne zu bekommen, denen sie diese Schätze vererben können, nehmen sich manche offenbar schwer übel. So sehr, dass sie sich dringend rächen müssen. An Frauen.

     

    Vor allem eitle Männer ohne Aussicht auf ein eigenes "Werk" scheinen anfällig für Misogynie zu sein. Leider versuchen manche Frauen, ausgerechnet von solchen Männern das Siegen zu lernen. Sie streben nach der Macht, an der sie letztlich scheitern müssen. Nicht, weil sie Frauen sind, sondern weil Macht ganz prinzipiell nicht funktionieren kann.

     

    Der "Staatskopf", der den "Volkskörper" lenkt, ist eine alberne Idee. Leider eine, die gewisse Privilegien verspricht. Privilegien, mit denen Menschen ihre gekränkte Eitelkeit zu heilen suchen. Ob das nun Frauen sind, die unter Misogynie zu leiden haben, oder Männer, die ihrer Abhängigkeit vom Muttertier nicht überwinden können, ist eigentlich egal. Macht verspricht jedem Trost, egal worin sein Schmerz besteht.

     

    Das Blöde ist: Macht braucht die Machtlosen zum Existieren. Und die sind heutzutage ziemlich selten. Hier nun kommt der Migrant ins Spiel. Der will noch was und hat noch nicht. Er ist das Kind, das sich von Papa oder Mama lenken lassen muss, wenn er dazu gehören will. Ihm zeigt der Herr, wes Geistes Kind er ist. Natürlich ganz im Sinne eines WIR. Und seine lieben Kleinen himmeln ihn deswegen an.

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    Das ödipale Dreieck der Bedrohung

     

    Welcher Zusammenhang? -

    Große Frage!

    Vielleicht 'n der -> Im Klartext ->

    „Wie können wir unsere jungen Mädchen ab 12 Jahren so aufklären,

    dass sie sich nicht auf ein oberflächliches sexuelles

    Abenteuer mit sicher oft attraktiven muslimischen Männern einlassen?“

    (Obwohl der Text aus Sachsen-Anhalt stammt -

    Aber - Lehrer - bleiben - 'e selbige! - &

    Es muß ja nicht immer Schule sein;)

  • Der Aufruf des Philologenverbands S.-A. war wirklich großes Kino. Idealtypischer und zugleich geschichtsvergessener hätten die ihr Dilemma nicht auf den Punkt bringen können.

  • Oh je, wieder die Mär vom bösen weißen Heteromann, der vor alles Elend dieser Welt und aller nicht weißen hetero-Männer verantwortlich ist. Alle anderen sind ja von Geburt an heilige, weil vom weißen hetero--Mann verfolgt, begehen sie Unrecht ist das alles nur Notwehr gegen den weißen heterosexuellen Mann. Ich halte diese einseitige Weltbild, dass permanent und ausdauernd gerade von Feministinnen beschworen wird, für nicht weniger rassistisch und sexistisch wie die AfD-Variante, nach der jeder Flüchtling ein Triebtäter ist.

    • @WJR:

      Der „weiße, heterosexuelle Mann“ ist zunächst mal ein Idealtypus, eine Gedankenfigur. Niemand ist wegen seines Geschlechts, Phänotyps, seiner sexuellen Orientierung oder was auch immer auf bestimmte Verhaltensmuster festgelegt. Eine solche Deduktion auf den Einzelnen wäre rassistisch, sexistisch und unsinnig.

      Aber Menschen sind nun einmal nicht autonom, sondern entwickeln ihre Persönlichkeiten entlang verfügbarer kultureller Vorgaben und Muster, die sie übernehmen, modifizieren und weitertragen. In den letzten Jahrhunderten haben v. a. Menschen die Welt beherrscht (man kann es durchaus so drastisch formulieren), die weiß, männlich und (zumindest vorgeblich, das ist entscheidend) heterosexuell waren und deren Handlungsweisen verallgemeinernd auch typologisch kategorisierbar sind.

      Die Angst vor dem eigenen Potenz- und Machtverlust, verbunden mit der Angst vor der Potenz des nichtweißen Mannes, ist eines der, denke ich, regelmäßigsten Merkmale, wenn jmd. als Typus „w. h. M.“ auftritt (mag derjenige ansonsten auch ganz anders ticken und ein herzensguter Mensch sein). Und eben dieses Merkmal trat nun in außergewöhnlicher Deutlichkeit in der Äußerung des Philologenverbands zutage.

    • @WJR:

      Der zurückgetretene Vorsitzende des Philologenverbandes Sachsen-Anhalt mag ja (weiß man's eigentlich?) ein "weiße[r] Heteromann" sein, er ist aber sicherlich kein Prototyp. Dazu haben Sie und Sonja Vogel ihn erst gemacht. Jürgen Mannke hatte lediglich die Chuzpe, für eine Gruppe von Menschen zu sprechen, die sich nicht erkennbar gewehrt hat gegen seine Führerrolle. Ungefähr so, wie Frau Merkel für DIE Deutschen spricht, obwohl sie lediglich von einem Drittel alle Wähler dazu ermächtigt wurde. Eine "Mär"? Nein. Dieses Prinzip ist leider vollkommen real. Und wenn uns eine Apokalypse droht, dann ganz genau deswegen.

       

      In Deutschland wird wahrscheinlich nicht umsonst viel Wert auf den Bestandsschutz gelegt. Wenn so ein Deutscher was verliert, was einstmals seine Macht begründet hat, macht ihn das manchmal ganz schön aggressiv. Die Philologen haben da dieses Problem: Die meisten Leute wissen nicht mehr, was Philologen sind. Selbst unsereins muss erst das Lexikon bemühen, bevor ihm richtig klar ist, wofür sie sich zu halten haben. Das war mal ziemlich anders, glaube ich. Es hat was von Totalverlust der eigenen Rolle der Bedeutung, was diese Männer da zur Zeit erleben. Und der Totalverlust scheint ihnen ganz viel Angst zu machen.

       

      Vermutlich haben sie bis heute nicht gelernt, sich selber eine Daseinsberechtigung zuzugestehen, die unabhängig ist von jeder größeren Bedeutung für ein Über-Wir. Nun leiden sie ganz fürchterlich an der Verschwinde-Angst – und suchen dringend eine neue Rolle. Als echte Männer sind sie offenbar bereit, für diese Rolle ganz entschieden einzutreten. Sie kämpfen, wenn es nötig ist, auch gegen unsichtbare Feinde. Und zwar im Namen derer, die sich angeblich nicht selber helfen können - die deutschen Jungfrauen ab 12, die noch zu blöd sind, um zu wissen, was sie tatsächlich wollen müssten: Sie nämlich, die sugar daddys vom Verband.

  • 1000+ von der Gender-Polizei.

  • 2G
    29482 (Profil gelöscht)

    Und nu? Was soll uns der Artikel sagen? Botschaft? Ich maße mir ja nicht an ein überdurchschnittliches Textverständnis zu haben, aber das hier verstehe ich leider nicht, leider gar nicht.

    • @29482 (Profil gelöscht):

      Versuchen Sie, zu denken. Wenn es nicht hilft, machen Sie einen Parkspaziergang mit einem/einer FreundIn. Es ist nicht nötig, dass er die Materie kennt. Wenn sich die Gedanken nicht allmählich verfertigen beim Lesen/Denken, dann vielleicht beim Reden.

       

      Literatur: https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cber_die_allm%C3%A4hliche_Verfertigung_der_Gedanken_beim_Reden

      • @higonefive:

        ;) Kann nicht oft genug erwähnt werden.

         

        "Sie setzen die Kommas - wie Heinrich von Kleist"

        "Hauptsache - ich - entwickel in der Beratung die Gedanken beim Reden!"

         

        (ps hab ihm anschließend

        Ein Blatt mit Kommata -

        Z.b.V. geschenkt.

        Auch verschollen;)