Ungerechte Bezahlung in Berlin: Dicke Luft im Botanischen Garten
Darf das Land seine Angestellten für die gleiche Arbeit unterschiedlich bezahlen? Am Botanischen Garten der Freien Universität droht ein Arbeitskampf.
Vor dem Botanischen Garten in Dahlem weht der Herbstwind ein paar nasse Blätter über den Bürgersteig. Kein Herbstlaub, sondern Flugblätter, die die Gewerkschaft Verdi dort eigentlich zum Mitnehmen an Laternenmasten befestigt hat. „Die Idylle trügt: Lohndumping im Botanischen Garten Berlin“ steht auf den Flyern. Bis zu 72 Prozent Lohnunterschiede gebe es unter den Beschäftigten. Verdi hat deshalb am Mittwoch mit den Arbeitgebern Sondierungsgespräche für Tarifverhandlungen geführt – bisher ohne Ergebnis, wie die Gewerkschaft am Donnerstag mitteilte. Sogar von einem möglichen Streik ist die Rede.
Die rund 140 Arbeitnehmer im Botanischen Garten sind bei zwei unterschiedlichen Arbeitgebern angestellt: der größere Teil besitzt alte Verträge direkt mit der Freien Universität Berlin (FU), 50 jedoch arbeiten für die „Betriebsgesellschaft Botanischer Garten und Botanisches Museum“. Die wiederum ist eine Tochtergesellschaft der FU, die die Hochschule im Jahr 2007 nur für diesen Zweck gegründet hat. Der Vorwurf der Gewerkschaft lautet: Die Beschäftigten der Betriebsgesellschaft verrichten die gleiche Arbeit wie diejenigen, die noch direkt bei der FU angestellt sind – sie werden aber viel schlechter bezahlt.
„Es ist eine Zweiklassengesellschaft“, sagt Susanne Feldkötter, Verhandlungsführerin bei Verdi. Die Universität habe den Beschäftigten, die zum Teil nicht mehr als den Mindestlohn verdienten, in den Verhandlungen 70 bis 80 Cent mehr pro Stunde geboten. Das wären 7 Prozent mehr.
„Wir fordern mindestens 2,50 Euro pro Stunde, um das Lohnniveau anzugleichen“, sagt Feldkötter. Die Löhne sollten schrittweise an die Tarife des öffentlichen Dienstes (TV-L) angeglichen werden. „Im großen Haushalt der FU spielen doch solche Lohnerhöhungen für 70 Beschäftigte keine Rolle.“
Volker Jakob, ExBetriebsleiter
Die Weigerung der FU, sich auf die Forderungen einzulassen, ist ihr daher unverständlich. „Die FU bekommt jedes Jahr Zuwendungen vom Land. Die Politik sollte das in einem Tochterunternehmen des Landes nicht dulden, sondern eingreifen und Regelungen finden, mit denen die Beschäftigten ein halbwegs auskömmliches Entgelt wie im TV-L enthalten“, sagt sie. In einem öffentlichen Unternehmen dürfe die Lohndifferenz nicht so groß sein wie in Dahlem. Hintergrund für den Arbeitskampf ist auch die Frage, unter welchen Bedingungen das Land seine Angestellten beschäftigen darf – oder sollte.
Da auch die Betriebsgesellschaft weiterhin komplett der FU untersteht, ist die Universität die Arbeitgeberin für alle 140 Angestellten. Die FU hat den Botanischen Garten 1995 vom Senat übernommen; 2007 gründete sie die Tochtergesellschaft ganz offiziell zur Kostensenkung. Die FU beauftragte dafür sogar eine Unternehmensberatung. „Das hat die Stimmung im Betrieb sehr gestört“, sagt Volker Jakob, ein ehemaliger Betriebsleiter. „Anfangs wurden die Lohnunterschiede damit begründet, dass nur bestimmte Bereiche wie Reinigung, Besucherservice, Kassen und Technik in die Betriebsgesellschaft ausgelagert worden seien“, erzählt er. „Die Arbeiten, die mit den wissenschaftlichen Pflanzen zu tun hatten, haben weiterhin die Mitarbeiter mit alten Verträgen ausgeführt.“ Nach und nach aber seien auch solche Dienste von Mitarbeitern der Betriebsgesellschaft übernommen worden. „Die FU ist ein öffentlicher Arbeitgeber, sie sollte mit gutem Vorbild vorangehen und wenigstens versuchen, gegenzusteuern“, fordert er.
Seit August klagt ein Beschäftigter des Besucherservices vor dem Amtsgericht Berlin, weil ihm ein tariflich zugesicherter Zuschlag für Überstunden nicht ausgezahlt wird. Dies betrifft laut Verdi weitere 27 Beschäftigte. Ein Urteil steht noch aus.
Der Botanische Garten in Dahlem ist der größte seiner Art in Deutschland und der einzige mit einem botanischen Museum. Jedes Jahr kommen rund eine halbe Million Besucher.
Wissenschaftler arbeiten mit den Sammlungen im Botanischen Garten; er ist außerdem an Datenbanken beteiligt, die die biologische Vielfalt sichern sollen.
Seit dem Jahr 1995 gehört der Botanische Garten zur Freien Universität Berlin. Um Kosten zu sparen, gründete die Hochschule im Jahr 2007 eine Betriebsgesellschaft. Die dort angestellten Mitarbeiter werden nicht mehr nach dem Tarifvertrag der Länder bezahlt. (taz)
Das Klima indes wird rauer. „In den Gesprächen hat die Betriebsgesellschaft damit gedroht, die Reinigung an eine andere Firma zu vergeben“, berichtet Feldkötter – für Verdi ein Affront.
Die Hochschule selbst will sich zum Arbeitskampf im Botanischen Garten nicht konkret äußern, weil es sich um laufende Tarifverhandlungen handele, teilte Sprecherin Christa Beckmann mit. Den Vorwurf, dass gewerkschaftliche Arbeit behindert werde – zwei der sechs Reinigungskräfte sind auch Betriebsräte – wies sie jedoch zurück.
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